»Nur wer sich aufgibt, ist verloren«. Alfred Hausser - Porträt eines Antifaschisten, Teil 5
Conrad Taler
Bremen (Weltexpresso) - Der 82-Jährige weiß, dass seine Partei beim Umgang mit dem deutschen Widerstand gegen Hitler Fehler gemacht hat. Ihr Bestreben, möglichst alle wichtigen Posten mit eigenen Leuten zu besetzen und die NS-Opfer für parteipolitische Zwecke zu instrumentalisieren, schuf Misstrauen und Zwietracht ausgerechnet in den Reihen derer, die das moralische Fundament des demokratischen Neubeginns abgeben sollten. Sie arbeitete damit jenen Kräften in die Hände, die von Anbeginn die Aktivitäten der Antifaschisten mit Argwohn beobachteten. Hausser selbst ist zunächst in diese Auseinandersetzungen nicht verwickelt. Er widmet sich der Jugendarbeit.
Als ihm zwei Jahre nach Kriegsende die Stelle eines Redakteurs bei einer Jugendzeitschrift angeboten wird, die mit einer Lizenz der französischen Militärregierung in den drei westlichen Besatzungszonen erscheint, sagt er zu. Seine Haltung im politischen Richtungsstreit beschreibt er so:
Alfred Hausser: »Für mich selber galt, von damals bis zum heutigen Tag, als eines der großen Erlebnisse aus der Haft – das ist die Toleranz; dass man den anderen in seiner Meinung, in seiner Weltanschauung, in seinen religiösen Gefühlen tolerieren muss, ob man sie sich selbst zu Eigen macht oder nicht, ist nicht die Frage. Aber das gemeinsame Grundanliegen des Antifaschismus, dass musste über alle diese unterschiedlichen Positionen hinweg Gültigkeit haben. Schade, dass wir das nicht durchhalten konnten.«
Als die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) gegründet wird, übernimmt Hausser 1948 in Stuttgart die Presse- und Sozialarbeit. Er orientiert sich an dem, was die 1. Interzonale Länderkonferenz der VVN im März 1947 postuliert hatte: »Mit allem Nachdruck fordern die berufenen Vertreter von 250.000 Überlebenden des faschistischen Terrors eine Wiedergutmachung, die sie als eine politische, moralische und rechtliche Pflicht des deutschen Volkes betrachten.« Aber inzwischen richtet sich das allgemeine Interesse auf andere Dinge: Die Alliierten von einst haben sich zerstritten und denken in erster Linie an die Sicherung ihrer Kriegsbeute. Diesseits und jenseits der Demarkationslinie hängt das Ansehen der Widerstandskämpfer zunehmend davon ab, auf welche Seite sie sich in der Ost-West-Auseinandersetzung schlagen. Dennoch hoffte manch einer immer noch auf eine Wende zum Guten.
Alfred Hausser: »Aber die Ernüchterung kam sehr, sehr schnell. Ich denke da an solche Ereignisse wie den Koreakrieg, wie man die Entnazifizierung Zug um Zug ins Gegenteil verkehrt hat und plötzlich alte Nazis wieder überall erschienen sind, und man hat sich damals gefragt: Ja, also, kann das die Lehre und der Sinn dessen sein, wofür Millionen Menschen umgekommen sind, sei es in den Konzentrationslagern oder sei es auch als Soldaten an den Fronten. Das konnte doch nicht der Schluss sein aus alledem, was das deutsche Volk mitzumachen hatte. Ja, so ist natürlich nach der Hochstimmung sehr schnell die Ernüchterung gekommen, und daraus auch die Verpflichtung, sich gegen diese Restauration zur Wehr zu setzen. Und das habe ich dann auch auf allen Ebenen getan.«
Das bleibt nicht ohne Folgen. Als Hausser in einem Artikel über den Koreakrieg die Amerikaner der Aggression beschuldigt, kommt er vor Gericht und wird zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Fünf Jahre nach der Befreiung aus Nazihaft landet er wieder in der Haftanstalt Ludwigsburg. Dort entdeckt er unter dem Aufsichtspersonal das eine oder andere Gesicht, das ihm von früher her in Erinnerung ist. Die unbewältigte Vergangenheit begegnet ihm in der Folgezeit noch sehr oft. Irgendwann im Verlaufe unseres Gesprächs kommen wir darauf, dass die Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS (HIAG) in den Verfassungsschutzberichten nicht mehr als rechtsextremistische Organisation aufgeführt wird, während die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes in der Rubrik »Linksextremistische Bestrebungen« aufgeführt ist.
Alfred Hausser: »In dieser Gegenüberstellung haben wir sogleich die Antwort auf die Beschaffenheit unserer Demokratie. Der Antifaschismus wird zwar lobend erwähnt – ich denke da an den Vorspruch zum Bundesentschädigungsgesetz, in dem es heißt, dass der aus politischer Überzeugung oder des Glaubens oder des Gewissens willen geleistete Widerstand gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft ein Verdienst um das deutsche Volk war, aber von diesem plakativ gesprochenen Satz bis zur Realität, zum Umgang mit den Antifaschisten, denen diese Anerkennung gewidmet ist, ist natürlich ein großer Abstand im Vergleich zu dem, wie man sich gegenüber den ehemaligen Nazis verhalten hat. In diesem himmelschreienden Gegensatz zeigt sich auch ein Stück dessen, was wir von unserer Demokratie zu halten haben: Dass sie nicht bereit war, sich gegen diese Kräfte zu wehren. Sie hat sie toleriert, weil sie in der Industrie und bei anderen Kreisen einen Rückhalt hatten, den wir nicht hatten. Und so sind die Dinge also auf den Kopf gestellt worden.«
Forsetzung folgt
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Text einer Radio-Bremen-Hörfunksendung vom 31. März 1995