rolf rosen Veröffentlichungen des Paritätischen Gesamtverbandes, Berlin, Teil 113

Der Paritätische

Berlin (Weltexpresso) - Prof. Dr. Rolf Rosenbrock, Vorsitzender des Paritätischen Gesamtverbandes, eröffnete am 22. März neben Gesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach und der Regierenden Bürgermeisterin von Berlin, Franziska Giffey den Kongress Armut und Gesundheit. Wir dokumentieren seine Rede.

Es gilt das gesprochene Wort

Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter,

Ich bin Rolf Rosenbrock, Vorsitzender der Landesvereinigung Gesundheit Berlin Brandenburg und des Paritätischen Wohlsfahtsverbandes Gesamtverband.

Ich begrüße Sie alle zum nun schon 27. Kongress ‚Armut und Gesundheit‘, der größten Public Health Veranstaltung in Deutschland. Es spricht durchaus für diesen Kongress, dass wir nahezu stabil ca. 2.000 TeilnehmerInnen haben, obwohl wir dieses Jahr leider  nun schon zum dritten Mal digital tagen müssen.

Auch sonst ist eigentlich nichts normal,  als Gesundheitsarbeiterinnen und Gesundheitsarbeiter sind wir eigentlich im dauernden Krisenmodus.

Vor drei Jahren waren die zunehmend sichtbaren gesundheitlichen und sozialen Auswirkungen des Klimawandels unser Thema, dann  kam die Corona Pandemie als neue, im Kern aber uralte Herausforderung für Public Health und Gesundheitspolitik und seit vier Wochen wird alles überlagert vom grausamen Schieß- und Bombenkrieg in der Ukraine - ein Ende ist nicht abzusehen.

Viele von uns fühlen sich zwischen  aktionistischen  Hilfsimpulsen und bleiernen Gefühlen der Hilfslosigkeit hin und her gerissen.

Und dazu immer wieder die Wut

Wut über die eigene Machtlosigkeit und die große Unvernunft in der Welt.

Wir sind hier nicht als politische EntscheidungsträgerInnen, sondern als Gesundheitsarbeiterinnen und Gesundheitsarbeiter.

Und wir stehen vor der Frage, die auch das Motto des Kongresses ist: Was jetzt zählt?!

Dabei fällt uns zunächst  auf, dass alle diese drei Herausforderungen bzw. Katastrophen natürlich auch gesundheitliche Katastrophen sind.

Die wirtschaftlichen sozialen und gesundheitlichen Folgen  des Klimawandels betreffen zu allererst und nachhaltig am heftigsten die Menschen in Armut, denen ihre Lebensgrundlage genommen wird.

Wenn diese Herausforderung angenommen wird und wir ernsthaft die ökologische Wende betreiben, stellt sich das gleiche Problem auf der nächsten Ebene:  auch die ökologische Wende wird die sozial bedingte Ungleichheit von Gesundheits- und Lebenschancen vergrößern, wenn es nicht gelingt, sie in eine wirklich sozial-ökologische Wende zu transformieren. Das passiert nicht von alleine

Ein ähnliches Bild bei Corona:  Menschen in Armut und beengten Lebenslagen, tragen aufgrund ihrer Wohn-, Arbeits- und Mobilitätsbedingungen ein deutlich höheres Risiko, sich zu infizieren. Sind sie infiziert, haben sie ein erheblich größeres Risiko für einen schweren oder gar tödlichen Verlauf. Die in Deutschland ohnehin große Ungleichheit bildet den Humus, auf dem die zusätzliche pandemiebedingte Ungleichheit  gedeiht. Und unter den Maßnehmen zur Eindämmung der Pandemie leiden ärmere Menschen aufgrund der gleichen Faktoren sehr viel mehr als wohlhabende. Global gesehen, haben arme Menschen  auch die geringsten Chancen auf eine schützende Impfung.

Kriege wie auch der in Ukraine werden von Menschen gemacht und immer sind es die ärmeren und vulnerablen Menschen, denen das  größte Leid aufgebürdet wird, als ungefragte Opfer des Krieges oder als Fliehende.

Was jetzt zählt?

Natürlich zählt die rule of rescue, d.h.  schnellste Hilfe dort, wo die sichtbare Not am größten ist.

Die Bereitschaft dazu in Deutschland ist immer wieder überwältigend groß und bewährt sich gerade auch jetzt wieder bei der Aufnahme und Versorgung der  Geflüchteten. Viele TeilnehmerInnen dieses Kongresses sind auch dabei aktiv  -  am Messebahnhof Hannover Laatzen, hier in Berlin v.a .am Hauptbahnhof und im alten Flughafen Tegel und an tausend anderen Stellen  -  ihnen und allen HelferInnen gilt mein Respekt und mein Dank.

Aber darüber wollen wir nicht vergessen, dass die rule of rescue immer nur am Ende der Wirkungsketten greift, dass sie eben nicht bei den Ursachen, am Beginn der Wirkungsketten ansetzt.

Dieser 27. Kongress Armut und Gesundheit wird deshalb bei aller Dramatik und auch Tragik der akuten Ereignisse wieder einmal vor der dreifachen  Aufgabe stehen:

1.  Uns und der Öffentlichkeit klar zu machen, dass es eigentlich immer die Armen und Verletzlichen sind, die auch gesundheitlich am meisten unter den globalen und lokalen Katastrophen zu leiden haben,

2. Uns über Konzepte, Methoden und Projekte zu verständigen, wie wir der daraus entstehenden Not und dem Leid  professionell am besten begegnen können und

3. Koalitionen zu schmieden, die der – sowohl bei Katastrophen als auch im Normalbetrieb  wirksamen – immer weiteren Spreizung von Gesundheits- und Lebenschancen etwas Wirksames entgegensetzen.

Im Sinne dieser wohl niemals endgültig zu lösenden Aufgaben wünsche ich Ihnen und Euch drei anregende Kongresstage, spannende Diskussionen und auch Erlebnisse von Gemeinsamkeit. Das brauchen wir alle in diesen Tagen.

Von Jean Paul Sartre stammt der treffliche Satz: Vielleicht gibt es schönere Zeiten; aber diese ist die unsere.

In diesem Sinne: Glückauf!

Weiterführende Links
Dokumentation des Kongresses Armut und Gesundheit Hier finden Sie unter anderem das gesamte Video der Auftaktveranstaltung.
https://www.armut-und-gesundheit.de/ueber-den-kongress/dokumentation-2022

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