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Kategorie: Alltag
 ethikratVeröffentlichungen des Paritätischen Gesamtverbandes, Berlin, Teil 123

Der Paritätische

Berlin (Weltexpresso) - Der Deutsche Ethikrat hat am 4. April 2022 eine Stellungnahme veröffentlicht, in der er die Erfahrungen bei der Eindämmung der COVID-19-Pandemie reflektiert und daraus Lehren für den zukünftigen Umgang mit Pandemien zieht. Es werden ethische Kriterien für komplexe Entscheidungen entwickelt und Empfehlungen vorgelegt, um künftig besser auf unterschiedliche Vulnerabilitäten - also die Verwundbarkeit und Verletzlichkeit - einzelner Individuen, aber auch ganzer Institutionen eingehen und deren Resilienz stärken zu können.

Seit Anfang des Jahres 2020 fordert die Eindämmung der COVID-19-Pandemie eingriffsintensive Infektionsschutzmaßnahmen und die Abwägung unterschiedlicher gesellschaftlicher und individueller Interessen und Bedarfe. Dabei geht es nicht nur im politische Verantwortung, sondern ebenso um ethisch legitimierte Entscheidungsfindungsprozesse. Moralische Güter, wie z. B. individuelle Freiheiten und der Gesundheitsschutz der Allgemeinheit, müssen insbesondere in pandemischen Zeiten oftmals zueinander ins Verhältnis gesetzt werden - nicht selten begleitet von der Notwendigkeit, zumindest zeitweise das eine über das andere zu stellen. Dies erfordert stichhaltige ethische Handlungsmaßstäbe.

Während der Corona-Pandemie wurden und werden einzelne Menschen und bestimmte Personengruppen anhand spezifischer Merkmale, wie z. B. des Alters oder einer Vorerkrankung, als besonders vulnerabel eingestuft. Vulnerabilität ist jedoch ein grundlegender Bestandteil menschlicher Existenz, d. h. alle Menschen sind auf unterschiedliche Art und Weise und an unterschiedlichen Punkten verletzlich. Umso wichtiger ist es, Vulnerabilität nicht ausschließlich vor dem Hintergrund potenziell schwerer/ tödlicher Krankheitsverläufe oder eines erhöhten Expositionsrisikos zu betrachten. Auch die ergriffenen Infektionsschutzmaßnahmen selbst können die Vulnerabilität anderer Personengruppen erhöhen, wie z. B. von Kindern, Jugendlichen, Auszubildenden und Studierenden durch weitreichende Einschränkungen ihrer Ausbildungswege und ihres Soziallebens. In Rücksichtnahme auf erstgenannte wurden letztgenannten Gruppen immense solidarische Leistungen, oftmals auf Kosten der eigenen seelischen wie auch körperlichen Ausgeglichenheit, abverlangt. Die nuancierte Betrachtung unterschiedlicher Vulnerabilitäten kann daher künftig eine verstärkt zielgruppenspezifische Förderung von Resilienz, also der (gesundheitlichen) Widerstandsfähigkeit, ermöglichen. Daran schließen sich zahlreiche Diskurse und Fragen nach intergenerationaler, aber auch internationaler Gerechtigkeit an, die es weiter zu beraten und zu beantworten gilt.

Aus seinen Überlegungen hierzu leitet der Deutsche Ethikrat in seiner Stellungnahme Empfehlungen für Entscheidungs- und Abwägungsprozesse im Kontext von Pandemien ab. Gefordert werden u. a. verbesserte Kommunikations- und Informationsstrategien sowie die Einbeziehung von Menschen mit eingeschränkten Partizipationsmöglichkeiten in die sie betreffenden Entscheidungen. Ebenso spricht sich der Ethikrat für die Förderung von Eigenverantwortung, Solidarität und gesellschaftlichem Zusammenhalt sowie für die Berücksichtigung des gesellschaftlichen Spaltungspotenzials von Maßnahmen bei politischen Entscheidungen aus.

Die vollständige Stellungnahme des Ethikrates ist sowohl online als auch im Anhang dieser Fachinformation verfügbar.

Dokumente zum Download
2022-04-04_Stellungnahme_Vulnerabilitaet_und_Resilienz_in_der_Krise_Ethikrat.pdf (4 MB)
https://www.der-paritaetische.de/fileadmin/user_upload/2022-04-04_Stellungnahme_Vulnerabilitaet_und_Resilienz_in_der_Krise_Ethikrat.pdf

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