Öffentliche WLAN-Netze sind Instrumente im Kampf um den gläsernen Bürger

Klaus Philipp Mertens


Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Die offiziöse Bundesrepublik begrüßt ein trojanisches Pferd, sogar ganze Herden dieser getarnten Eroberer der Privatsphäre. Ich meine die öffentlichen WLAN-Netze, die künftig nicht mehr der so genannten Störerhaftung des BGBs unterliegen und folglich kostenlos (also ohne Regressansprüche von Urhebern befürchten zu müssen) nutzbar sein sollen.



Irgendwie scheint kaum einer der Enthusiasten zu realisieren, dass in der neoliberalen kapitalistischen Welt nichts kostenlos erhältlich ist (die Ausnahmen sind in der Regel steuerfinanziert bzw. beruhen auf eher seltenem uneigennützigem bürgerlichem Engagement - ich denke beispielsweise an Weltexpresso). Denn Datennetze sind keine natürlichen Vorkommen wie Boden, Luft oder Wasser (die längst auch der Vermarktung unterliegen). Sie müssen aufwendig installiert werden, was hohe finanzielle Investitionen erfordert. Auch ihr Unterhalt ist nicht zum Nulltarif zu haben. Deswegen bezahlt man auch bei vermeintlichen Gratisangeboten im Netz immer, nur eben in einer anderen Währung. Und diese heißt „personenbezogene Daten“. Also mit all dem, was ein Bürger normalerweise lieber höchst vertraulich behandelt sehen möchte, weil es andere eigentlich nichts angeht.

Sicherlich gibt es technische Möglichkeiten, das eigene Smartphone sicherer zu machen. Aber das wissen die, welche sich große Geschäfte vom Datenhandel versprechen, auch. Und treffen entsprechende Vorkehrungen, damit durch Verschlüsselung und Nutzung von VPN-Netzwerken lediglich Bruchteile des Marktes verloren gehen, und das häufig auch nur kurzfristig. Erfahrungsgemäß laufen die technischen Absicherungen den raffinierten Methoden der Datenspionage hinterher. Es verbleiben faktisch Zeiträume des eingeschränkten Schutzes, aber diese reichen offenbar aus, um die begehrten Personenprofile zu erstellen.

Neben der fehlenden Risikoabschätzung fällt auch die fast pathologische Surf-Lust der Nutzer auf. Mutmaßlich ist das ein wechselseitiger Prozess. Was ist so dringend, dass man es auf den Arbeits- und Schulwegen unverzüglich online recherchieren muss? Was ist nicht aufschiebbar, dass selbst der Besuch eines Kaffeehauses bei herrlichem Wetter durch den Online-Zwang eingeschränkt wird?

Wenn ich meinen Mitpassagieren in der Frankfurter U-Bahn über die Schulter sehe, fällt mir auf, dass sie zu einem nennenswerten Teil in Suchmaschinen unterwegs sind. Oder in kommerziellen Kommunikationsnetzen, die ein satanischer Geist mit dem Attribut „sozial“ versah, die sich aber bekanntlich als höchst dissozial erweisen. Wissbegierig starren die Mitreisenden auf die Mini-Monitore ihrer Smartphones. Diese zumeist jüngeren Menschen scheinen hochintelligent und überdurchschnittlich gut informiert zu sein. Dass ihre Jagd nach Informationen dazu beiträgt, die Personenprofile zu schärfen, die Google, Facebook, Whatsapp und andere über sie anlegen, scheint sie nicht zu stören. Oder sie wissen es nicht, was sofort den Verdacht aufkommen lässt, dass sie so intelligent, wie zunächst von mir angenommen, doch nicht sein könnten. Vermutlich beherrschen sie die Technik, technokratische Abläufe insgesamt. Aber der Zusammenhang von Kommunikationstechnik, den Inhalten von Kommunikation und nicht zuletzt die Stellung jener, die mit Kommunikation viel Geld verdienen und die Kommunikation nach Kategorien wie wünschenswert, vernachlässigbar und völlig unerwünscht steuern bzw. manipulieren, scheint hingegen weniger klar zu sein.

Unlängst habe ich von meinem PC WIKIPEDIA aufgerufen und literaturwissenschaftliche und philosophische Begriffe abgefragt. Die Angaben waren überwiegend umfangreich und weithin auch zutreffend. Aber mir fiel auf, dass sie beispielsweise den Beschreibungen in Fachlexika wie den Literaturlexika von Kindler und Killy aufs Haar glichen (bis auf Flüchtigkeitsfehler, die mutmaßlich beim Abschreiben passierten). Auch aus Rehfus‘ „Geschichte der Philosophen“ ist fleißig kopiert worden. Ebenso schien das „Historische Wörterbuch der Philosophie“ die Verfasser der Artikel überdeutlich inspiriert zu haben. Texte aus dem Handbuch „Religion in Geschichte und Gegenwart“, an dem Geisteswissenschaftler nicht vorbeikommen, sind ebenfalls stellenweise 1:1 übernommen worden. Von der urheberrechtlichen Problematik einmal abgesehen, die keineswegs eine lässliche Sünde darstellt, haben diese Recherchen meine bereits früher gewonnenen Eindrücke bestätigt: Das aus dem Internet abrufbare Wissen ist ein unvollständiger Spiegel dessen, was bereits seit Jahrzehnten in gedruckter Form vorliegt. Wobei das digitale Medium wissenschaftlich notwendige Aktualisierungen selten oder erst mit großer Verzögerung aufnimmt. Was daran liegen könnte, dass die Verfasser den Kauf kostspieliger Bücher scheuten und zunächst mal im Internet auf Suche gingen, aber nichts gefunden hatten...

Und noch etwas wurde mir erneut deutlich: Wenn man solide Vorkenntnisse besitzt, wenn man die lexikalischen Angaben korrekt zuordnen kann, ist die Online-Recherche ein praktikables Instrument. Dann hat man sich auch im Lauf der Jahre ein Gespür dafür angeeignet, die Aktualität der Angaben einschätzen zu können. Sind Schüler, Studierende, aber auch Berufsanfänger dazu aber in der Lage? Selbst wenn sie sich in U-Bahnen, in Kneipen, auf Plätzen etc. die Finger wundsurfen? Mir scheint, dass das Ding an sich ihnen verschlossen bleiben könnte. Weil die digitale Welt nur ein Teil der Welt ist.

Foto: Trojaner (Arbeitskammer Wien 2014)

Info:
Zur Problematik der Digitalisierung des Alltags ist unlängst ein sehr lesenswertes Buch erschienen:

Harald Welzer
Die smarte Diktatur
Der Angriff auf unsere Freiheit
S. Fischer Verlag
ISBN 978-3-10-002491-6
Erschienen im April 2016