Berlinale WhatSheSaid PaulineKael 29PicturesAus der Sektion Berlinale Panorama 2019, Teil 3/3

Claus Wecker

Berlin (WEltexpresso) - Bob Garvers Porträt der 2001 verstorbenen amerikanischen Filmkritikerin ist ein Geschenk für alle Filmverrückten. Das liegt an der streitbaren Kritikerin, die mit ihren aggressiven Verrissen provoziert hat, und an den zahllosen Filmausschnitten, mit denen Garvers ihre Karriere illustriert. Da jagt ein Déjà vu das andere.

Es ist schon erstaunlich, welch breite und tiefe Spur die Filmgeschichte in unserem Gedächtnis hinterlassen hat. Zur ironischen Kommentierung des Lebensweges einer Filmkritikerin taugen die Ausschnitte allemal, für die kommerzielle Auswertung des Films dürften die Rechte an ihnen zu einem Finanzproblem werden.

Großes Vergnügen bereiten auch die vielen Anekdoten, die über Pauline Kael existieren. „She was a western girl“, heißt es einmal, und wenn damit ihre Unerschrockenheit gemeint ist, kann man nur zustimmen. Wer sonst wagt es schon, einen Filmheiligen wie Charlie Chaplin zu attackieren. LIMELIGHT und Chaplins hochsentimentales Spätwerk insgesamt bekamen einen Verriss, den frühen, frechen Chaplin mochte sie – das war ihr spektakulärer Einstieg ins Geschäft. Alles Prätentiöse, den Fluss eines Films Hemmende war ihr zuwider. Bei den endlosen Wiederholungen in LETZTES JAHR IN MARIENBAD sagte sie sich: Weiter, weiter, das haben wir schon beim ersten Mal verstanden. LAWRENCE VON ARABIEN hielt sie für ein überhöhtes und verkitschtes Porträt – ihr wäre eine fiktive Wüstengeschichte lieber gewesen. Den großen Regisseur David Lean griff sie auf einer Kritiker-Gesellschaft so an, dass er eingeschüchtert fragte, ob er in Zukunft nur noch schmale Filme in 16 mm und schwarzweiß machen dürfe. Darauf die Kael: „Farbe ist erlaubt.“ Überhaupt verdammte sie Großproduktionen und breite Leinwand, womit die Frage nach ihrer Einschätzung heutiger Blockbuster schon beantwortet wäre.

Sie hatte mehr Testosteron hatte als ihre männlichen Kollegen, aber sie liebte auch die Filme, die sie für Meisterwerke hielt, inbrünstig: CITIZEN KANE und Orson Welles zu Recht, BONNIE AND CLYDE vielleicht etwas zu sehr, hier war ihre Lobeshymne eine gute Werbung für den Film. Manch einer kaufte sich den „New Yorker“ vor allem, um zu lesen, was Pauline Kael über Filme geschrieben hatte. Viele Zeitzeugen kommen zu Wort in dieser Dokumentation: ihre Tochter, Regisseure, Kollegen und Kolleginnen. Bob Garvers Film wirft einen wunderbaren Blick in ein Goldenes Zeitalter des Films – und der Filmkritik.

Foto:
Pauline Kael
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