berl kiberl kirsAbschlussbericht Berlinale Preisträger

Kirsten Liese

Berlin (Weltexpresso) - Man hat sich fast schon daran gewöhnt, dass die Jurys auf der Berlinale die falschen Filme auszeichnen. Aber dass wie in diesem Jahr zwei herausragende Werke – Agnieszka Hollands Drama „Mr. Jones“ und das österreichische Drama „Der Boden unter den Füßen“ (wir berichteten) - regelrecht leer ausgehen, ist schon ein starkes Stück.

Stattdessen gewann, vermutlich einmal wieder politisch motiviert, mit „Synonymes“ ein überdrehter vordergründiger Migrations-Film den Goldenen Bären. Über einen jungen Israeli, der nach Paris reist, um alle Verbindungen mit seinem Herkunftsland abzubrechen und Franzose zu werden, erzählt der israelische Regisseur Nadav Lapid, der in den 1990er Jahren ohne Papiere, Kontakte und einen festen Plan nach Paris kam, seine eigene Geschichte. Die Gründe für die Flucht, traumatische Erlebnisse in der israelischen Armee, vermitteln sich jedoch nur vage. Lapid inszeniert Szenen von bizarrer Komik, in denen sein exzentrischer Held Yoav rastlos mit einem französischen Wörterbuch in der Hand durch die Straßen von Paris hastet und sich seine hebräische Sprache hysterisch austreibt. Man könnte das für einen schlechten Witz halten, bedenkt man, dass angesichts des zunehmenden Antisemitismus in Frankreich derzeit viele Juden in ihre israelische Heimat zurückkehren.

Besonders großes Kopfschütteln provoziert der Silberne Regie-Bär für Angela Schanelec, deren Film „Ich war zuhause, aber“ sich dem Kino oder zumindest doch seinen Konventionen verweigert. Die Vertreterin der Berliner Schule wollte wohl ihre Trauer um ihren Mann, den 2009 verstorbenen Theaterregisseur Jürgen Gosch, verarbeiten, lässt sich nachlesen. Wer das nicht weiß, bekommt davon keine Ahnung, da sie ihre Geschichte um einen Jungen, der von seiner Mutter vermisst wird und nach seiner Rückkehr ins Krankenhaus kommt, mit vielen Leerstellen und betont künstlich inszenierten Alltags-Szenen erzählt, die einen Kontext zum dünnen Hauptstrang vermissen lassen.

Überhöht erscheint unter den Hauptpreisen auch der Große Preis der Jury für „Gott sei gelobt“ an Francois Ozon, der zwar mit seiner Kritik an der zu sexuellen Missbrauchsskandalen in ihren Reihen schweigenden katholischen Kirche einen aktuellen Beitrag leistet, das Thema aber über zuviel Gerede dröge aufbereitet. Man hat schon weitaus größere Filmkunst von diesem Regisseur gesehen, denkt man an „Unter dem Sand“ mit der grandiosen Charlotte Rampling, die dieser Berlinale mit ihrer starken Präsenz als Ehrenpreisträgerin ein Glanzlicht aufsetzte.

Immerhin gewann mit „Systemsprenger“ von Nora Fingerscheidt ein bemerkenswertes Erstlingswerk den Alfred Bauer-Preis für Filme, die neue Perspektiven eröffnen. Das Drama

um ein Problemkind, das sich jeder Erziehung verweigert und durch alle Auffangnetze fällt, hat Kritiker wie Publikum gleichermaßen mitgerissen, vor allem die zehnjährige Hauptdarstellerin Helena Zeigel mit ihrem direkten, unverstellten Spiel.

Mit den Hauptdarstellerpreisen für Yong Mei und Wang Jingchun honorierte die Jury schließlich den chinesischen Beitrag „So long, my Son“, der am Ende eines schwachen Wettbewerbs viel Beachtung fand, gleichwohl mit seiner sehr komplizierten, verschachtelten Erzählweise nicht restlos überzeugte. Gegenwart und Vergangenheit gehen in diesem dreistündigen Familiendrama um 40 Jahre chinesische Geschichte stets fließend ineinander über, was die Orientierung erschwert, wenngleich es doch berührte, welche individuellen Schicksale die Ein-Kind-Politik mit sich brachte.

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