Drucken
Kategorie: Berlinale 2019
berl18 18BERLINALE 2019: Der Wettbewerb, Teil 18

Claudia Schulmerich

Berlin (Weltexpresso) – Gibt es denn so was? Nämlich daß man einen Film, der in Schwarzweiß eine vergangene Zeit beschwört, lange für die wunderbarste Verfilmung eines für die damalige Zeit unerhörten Sujets hält und einen dann, noch mitten im Film, eine Ahnung überkommt, daß vor unseren Augen alles zu schön, zu nostalgisch, zu abgepackt erscheint. Ja, sind wir denn übermütig, arrogant und fies anspruchsvoll geworden oder zu abgefüllt der guten Dinge, daß wir handwerklich Gutes nicht mehr würdigen wollen?

Aua, kann man da nur sagen, wo es doch wirklich um einen schönen Film geht, der detailgenau in stimmigen Bildern vom Schicksal zweier Frauen erzählt, die heute geboren, die Probleme nicht hätten, die sie 1901 hatten. Spätestens dann, denn da gaben sich sich in der Kirche San Jorge in La Coruña (interessant übrigens, daß die Stadt heute als A Coruña amtlich die galicische Sprache verwendet) das Ja-Wort, Elisa Sánchez Loriga (Natalia de Molina) und Marcela Gracia Ibeas (Greta Fernández). Wie das, zwei Frauen, die im Jahr 1901 heiraten? Ja und nein, und diese Gegensätzlichkeit, diesen Widerspruch bekommen wir mit. Beide lernen sich als Schülerinnen in einer Nonnenschule kennen – und lieben auch. Aber sie werden getrennt, finden sich als Erwachsene wieder und leben ihre Liebe so lange ungehindert, bis es der Umgebung auffällt. Sie wissen, sie können dem Skandal nur entgehen, wenn sie sich erst einmal trennen. Marcela bleibt, fängt etwas mit einem Verehrer an, dann kommt ein gewisser Mario des Wegs, keine andere als Elisa, als Mann verkleidet.

Beide foppen den katholischen Priester, der dann aber der erste ist, der den Stein auf sie wirft, als ihr Komplott von der bösen Nachbarschaft enttarnt wird. Da hilft auch das schöne Hochzeitsfoto nicht und auch nicht, daß Marcela schwanger ist. Sie kommen ins Gefängnis. Wie war das eigentlich, sind sie nach Portugal geflohen? Auf jeden Fall wird dort Amtshilfe geleistet. Die beiden kommen ins Gefängnis, beide in die Damenabteilung. Sie haben Glück, mit dem Gefängnisdirektor einen liberalen Mann vor sich zu haben, der dazu von seiner forschen Frau orientiert, den beiden hilft wie er kann – zudem wird dadurch den strengen und hochnäsigen Spaniern eins ausgewischt. Das kann nie schaden. Die Hilfe geht so weit, daß seine Frau das Kind übernimmt und beide es aufziehen, während die beiden Frauen offiziell deportiert, inoffiziell auf eigene Faust das Weite suchen, wo Jahrzehnte später Marcelas Tochter die beiden besucht. Mit ihr, nämlich ihrem Ankommen, hatte der Film auch begonnen, den wir als Rückblende dann als einheitliche Erzählung erlebt hatten.

Interessante Geschichte, von der Isabel Coixet, katalanische oder sollte man sagen, spanische Regisseurin aus Katalonien, dann erzählte, daß sie das Drehbuch seit 10 Jahren fertig in der Schublande hatte, aber niemand den Film hatte produzieren wollen. Und jetzt kam das Wespennest, in die die Vorführung im Wettbewerb sticht, was dazu führte, daß bei der Vorführung Proteste laut geworden waren, die nicht dem Film, sondern seiner Aufführung als Netflixproduktion auf einem Filmfestival galten. Denn die von Netflix produzierten Filme kommen vielleicht zu einer Premiere ins Kino, aber nicht in den laufenden Kinobetrieb. Die Regisseurin stellte klar, daß ihr gesagt wurde, daß der Film beim Erfolg in Spanien in die europäischen Kinos käme. Wir werden dies anhand dieses Filmes auf jeden Fall verfolgen. Für Isabel Coixet ist das Wichtigste, daß sie Filme machen kann. Wo die gezeigt werden, ist dann erst ihre zweite Sorge.

Das bleibt jedoch ein Nebenkriegsschauplatz, wenn es um die Beurteilung des Films im Wettbewerb geht. Denn einige sagten unmittelbar nach der Vorstellung, man habe eben den Bärengewinner gesehen. Und weil der Film so schön ist und mit dem Thema lesbischer Liebe unter skurrilen Bedingungen auch den Zeitgeist miteinwickelt, ist uns das alles auf einmal zu geschleckt, zu passend, zu vorhersehbar, zu perfekt. Leider. Und wir erinnern uns an diesen wunderbaren poetischen portugiesischen Beitrag vor Jahren, der in Sepia vergangene Zeiten beschwörte. Diesem gut gemachten Film fehlt dennoch etwas. Ist es etwa Saudade? 

Diese Form des Weltschmerzes kennen aber nach Fernando Pessoa:
Saudades – nur Portugiesen
können dieses Gefühl kennen.
Weil nur sie dieses Wort besitzen,
um es wirklich beim Namen zu nennen.

Foto:
Natalia de Molina, Greta Fernández
© Netflix