berl19 14 mutterBERLINALE 2019: Der Wettbewerb, Teil 14

Claudia Schulmerich

Berlin (Weltexpresso) – Schwierig. Man möchte ja gerne jedem Film gerecht werden. Also die Motive und Handlungsweisen des Regisseurs verstehen, zumindest rational verstehen, wenn sie sich beim Zuschauen schon nicht erschließen oder schlimmer: einen kalt lassen und unverständig zurücklassen.

Das gehört eben zum Filmschauen wie zum Lesen oder Hören, selbst zur Kunst, daß es keine objektiven Kriterien für das Gelingen gibt, sondern nur das Urteil: gefällt oder gefällt nicht. Tatsächlich sind auch Filme Geschmackssache. Aber genauso tatsächlich gibt es Kriterien, die man nutzen muß, um weder aus dem Bauch heraus noch voreilig, gar vorurteilsbeladen zu urteilen. So ist eine der zu beantwortenden Fragen bei Filmen, die nach den Personen. Ob man deren Handeln im Film verstehen lernt, eine Entwicklung der Personen feststellen kann, also in die Gefühle und Gedanken der Dargestellten eindringen kann. Und selbstverständlich ist besonders wichtig, ob man durch die filmischen Mittel den Gehalt des Films verinnerlichen kann, also auf einer anderen Ebene als der des Verstandes verstehen lernt. Einfach sich den Personen und dem Geschehen durch die Filmbilder nähern kann.

Das ist mir mit ICH WAR ZU HAUSE, ABER nicht gelungen. Der Film blieb mir so fremd, wie er begann. Die Geschichte läßt sich leicht erzählen. Astrid (Maren Eggert) ist alleinerziehende Mutter zweier Kinder. Ihr Mann starb vor 2 Jahren. Der Film beginnt, als ihr dreizehnjähriger Sohn Philip (Jakob Lasalle) nach einer Woche spurlosen Verschwindens in der Schule wieder auftaucht, aber kein Wort über seine Abwesenheit von sich gibt: weder, wo er war, noch warum er wegging. Kein Wunder, daß Astrid durcheinander ist. Allerdings scheint es, daß ihr Verhalten auch sonst so ist. Sie ist unter Druck und nervenschwach, an ihr zehrt die Situation. Sie ist einerseits stark, andererseits erschöpft. Aber das sind keine Gegensätze, sondern eher die Folgen vom einen auf das andere. Weil sie alles alleine machen will, aus ihrer Stärke heraus, lassen ihre Kräfte nach. So erläutert Maren Eggert ihre Rolle, für die ihr die Regisseurin keine Verhaltensvorgaben gab.

Diese Frage war nötig, weil Astrid immer wieder seltsam reagiert, im Reagieren sozusagen stecken bleibt, so als ob das laufende Geschehen angehalten wird, dann wieder weitergeht. Es sind lauter Einzelszenen, in denen wir die Verstörtheit der Mutter erleben, die aber keine fortlaufende Geschichte erklären. Zu diesen Einzelszenen gehören insbesondere die familiären wie auch die in der Schule. Und genau da stellen sich dem Zuschauer Fragen.

Wenn eines Tages Astrid mit Philip nach Hause kommt, hat die kleine Tochter Flo (Clara Möller) Pfannkuchen gebacken. Die Mutter rastet aus, denn Flo darf nicht alleine den Herd einschalten. Das kann sie aber dem Kind nicht einsehbar vermitteln, stattdessen wird sie immer ungehaltener, schreit herum und schmeißt Clara mitsamt dem hilflosen Philip nicht nur aus der Küche, sondern gleich aus der Wohnung auf die Straße. Später werden die Kinder vor dem Haus ausharren und darauf warten, daß ihre Mutter wieder ‚normal‘ wird. Kinder kennen ihre Eltern oft besser als diese sich selbst. Und wieviel Kinder aushalten, wenn sie das Gesamtgefüge kennen, also wie in dieser Szene wissen, daß sich ihre Mutter wieder beruhigen wird und sie wie sonst liebhaben wird, das sieht man hier.

Aber genau eine solche Erfahrung traut Angela Schanelec in der Doppelfunktion als Drehbuchautorin und Regisseurin dem Sohn Philip in der Schule nicht zu, also, daß Philip die Schulabläufe und das Rollenverhalten der jeweiligen Lehrer verstehen und akzeptieren kann. Wobei aber nicht Philip das Problem ist, der bleibt ja stumm, so daß man von ihm wenig weiß. Das Problem ist die Mutter. Sie fährt in die Schule und weist die Lehrer auf Fehlverhalten hin. Daß aber Schüler das System Schule und auch ihre Lehrer genauso einschätzen können, wie beispielsweise ihre Eltern und damit weniger Probleme haben, als die Mutter hier glaubt, darauf kommt die Regie nicht.

Mutter und Kinder sprechen auch miteinander in einem eher abstrakten und sehr verlangsamten Ton. Das ist sehr gekünstelt, aber wird nicht Kunst. Das ist wichtig festzustellen, weil dem Film dieser gewisse Ton anhaftet, mit dem sich etwas Bedeutungsvolles ankündigt, was nicht eintritt.

Humoristisch dagegen sind Szenen, die wie kleine Filme im großen Film wirken, also keinen Zusammenhang mit dem Geschehen aufweisen, wie beispielsweise der Kauf des Fahrrads. Das ist dann schon eher eine Slapsticknummer, hat aber keine Konsequenzen.

Nach diesen fragt man auch bei den Einschüben, wenn Kinder wie für eine Schulaufführung die Rollen aus HAMLET aufsagen. In hohem Ton und genauso leiernd, wie wir das alle in der Schule lernten. Welcher Zusammenhang zum Familiengeschehen besteht, ist nicht zu verstehen.

Übrigens, wie gerade in der letzten Rezension über immer wiederkehrende Motive bei den diesjährigen Wettbewerbsfilmen beschrieben, kommt auch in diesem Film den Autos und dem Verkehrslärm eine besondere Bedeutung zu. Man schreckt unwillkürlich im Kinosessel zurück vor der akustischen Gewalt, die von dem Geräuschpegel, dem An- und Abschwellen des Verkehrs ausgeht. Und auch der Wald als Naturmetapher ist vorhanden. Am stärksten jedoch bleiben die Bilder des Anfangs in Erinnerung. Der kleine Hase, der sich vor Vögeln rettet, aber dann Opfer eines Hundes wird, ein Geschehen, dem ein hinreißend sturer Esel ohne Emotion zusieht.

Foto:
Muitter mit Kindern
© Verleih

Info:
Darsteller
Astrid     Maren Eggert
Phillip     Jakob Lassalle
Flo          Clara Möller
Lars        Franz Rogowski
Claudia   Lilith Stangenberg
Herr Meissner   Alan Williams
Astrids Freund  Jirka Zett
Junger Regisseur   Dane Komljen

Buch, Regie, Schnitt Angela Schanelec
Kamera Ivan Markovic