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Kategorie: Berlinale 2019
hwk akinWie bewertet man Berlinale-Filme (Tagebuch 4)

Hanswerner Kruse

Berlin (Weltexpresso) - Spätabends saß ich am Samstag, wie so oft weit vor Filmbeginn, in Fatih Akins „Der goldene Handschuh“ und tippte während der Wartezeit unter anderem ins iBook: „Es gibt keine schlechten Filme.“ Dann sah ich diesen ätzenden Streifen mit blutigen Morden, die der Killer Fritz Honka einst in Hamburg beging. Schimpfend kam ich aus dem Kino, dieses Machwerk, diesen „schlechten Film“, brauche die Welt nun wirklich nicht, da war ich mit einigen Presseleuten einig.


Doch bereits auf dem Nachhauseweg kamen mir Zweifel. Ich fragte ich mich, was habe ich eigentlich gesehen? Das sollte man ja vor der schnellen Bewertung als erstes mal bei einem Kunstwerk herausfinden: Ich begriff, Akin schafft es, die authentische und beklemmende Atmosphäre des lumpenproletarischen Milieus in Hamburg St. Pauli in den frühen 70er-Jahren darzustellen.

Dann meine zweite Frage, was hat mich warum geärgert? Dieses Hinterfragen des „Bauchgefühls“ machte mir klar, der Film löst miese Gefühle aus, ist gleichsam ein Schlag in den Bauch: Er zeigt eindringlich, ohne moralische Wertung die düstere, herunterziehende Rückseite des deutschen Wirtschaftswunders: Die saufenden Verlierer in der Kneipe, die verwahrlosten älteren Frauen als Opfer. Sein Bauchgefühl zur Beurteilung (!) von Filmen heranzuziehen, ist nicht besonders hilfreich. Ich persönlich vermisse zwar grotesken Humor in den bisherigen Berlinale-Streifen, aber das ist ja nun wahrlich kein Qualitätsmerkmal. Jeder Film hat das Recht, aus sich selbst heraus bewertet zu werden...

Tagtäglich bin ich hier von Filmkritikern umgeben, die fast alle Werke zerpflücken und ihre Weltanschauung, Ernährungsweise oder sonstige persönliche Empfindungen zum Maßstab machen. Ich sehe mich dagegen nicht als Kritiker, sondern als Kino-Liebhaber, der mit Anderen seine Lust daran teilen und herausfinden möchte, was könnten der Regisseur und sein Team gewollt haben? Ist es ihnen gelungen, das wirklich zu zeigen? Und wenn ich mir darüber im Klaren bin, wie kann ich das später den Lesern vermitteln und sie ins Kino locken?

Ein guter Ort für diese und weitere Fragen sind die Pressekonferenzen: Sie sind wie Workshops, in denen man viel über das Filmemachen erfahren kann. Ach ja, Akin sagte uns hier gestern übrigens: „Es galt einen Weg zu finden, um Gewalt zu erzählen, ohne sie zeigen.“

Ein toller Film, wenn man seine Bauschmerzen hinterfragt hat.

Foto:
Pressekonferenz mit Fatih Akin und seinem Team
© Hanswerner Kruse