amp madamecurieportraitMarie Curies „Selbstbiographie“ – neu herausgegeben von Tobias Wimbauer

Alexander Martin Pfleger

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Seit über einem halben Jahrhundert ist „eine der lesenswertesten autobiographischen Schriften der Physikgeschichte“ (Tobias Wimbauer) nicht mehr lieferbar und auch antiquarisch kaum greifbar gewesen. Diesem Mißstand leistete nun der international renommierte Ernst-Jünger-Forscher Tobias Wimbauer mit seiner Neuausgabe der „Selbstbiographie“ der Madame Curie eine mehr als überfällige Abhilfe.

Genaugenommen stellt dieser Text keine klassische Autobiographie dar, sondern präsentiert sich eher als autobiographischer Essay, der höchstens einige markante Streiflichter auf einzelne Lebensstationen der Verfasserin wirft und dessen eigentliche Bedeutung in dem Versuch einer Definition der Stellung der Wissenschaften in Zeiten des Umbruchs und ihrer damit einhergehenden sozialen und politischen Verantwortlichkeiten liegt.

„Von Kindheit an liebte ich die Poesie und lernte sogar lange Werke oder Abschnitte aus den Werken unserer großen Dichter auswendig.“ (S. 12)

Die Interessen und Aktivitäten der 1867 in Warschau als Marie Skłodowska geborenen und 1934 weltberühmt als „Madame Curie“ in Passy verstorbenen Autorin sollten sich nicht auf das Gebiet der Literatur und der Sprachen beschränken – auch dem Bereich der Gesellschaftswissenschaften und der exakten Naturwissenschaften wandte sie sich bald zu, und insbesondere im letzteren sollte sie, die in ihrer polnischen Heimat nicht studieren durfte und ihr Glück ab 1891 in Paris suchen mußte und auch fand, schon bald reüssieren.

Ihre gemeinsam mit ihrem Ehemann Pierre Curie und nach dessen Tod allein betriebenen Forschungen zur Radioaktivität, für die das Ehepaar Curie gemeinsam mit Henri Becquerel 1903 mit dem Nobelpreis für Physik und Marie allein 1911 mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet wurde, lassen sich nach ihrem Verständnis durchaus als eine Form der „Poetisierung der Welt“, im Sinne von „Verbesserung“, begreifen:

„Es ist leicht zu begreifen, wie wertvoll für mich die Überzeugung ist, daß unsere Erfindung zu einer Wohltat für die Menschheit wurde, und zwar nicht nur durch ihren großen wissenschaftlichen Wert, sondern auch dadurch, daß dank dieser Erfindung menschliches Leid gelindert und die furchtbare Krankheit, der Krebs, geheilt werden kann. Dies ist wirklich ein herrlicher Preis für unsere jahrelangen großen Anstrengungen. Die Heilungsergebnisse sind selbstverständlich abhängig von einer genauen Kenntnis der im verwendeten Präparat enthaltenen Radiummenge. Eine genaue Feststellung der Radiummenge betrachte ich deshalb als ebenso wichtig für die Therapie und Industrie wie auch für physikalisch-chemische Forschungen.“ (S. 52)

Zweifelsohne atmen diese Zeilen einen Fortschrittsoptimismus, der sich heutzutage kaum noch nachvollziehen läßt, dessen utopische Konnotationen man indes nicht belächeln, sondern als Ansporn für unsere Gegenwart auffassen sollte:

„Die Menschheit braucht sicherlich praktisch denkende Menschen, die zwar für die Bedürfnisse der Allgemeinheit arbeiten, dabei aber vor allem an ihre eigenen Ziele denken. Sie braucht jedoch auch Schwärmer, deren Drang, gesteckte Ziele zu erreichen, derartig groß ist, daß sie ihre persönlichen Interessen völlig außer acht lassen, daß sie gar nicht in der Lage sind, an eigene materielle Vorteile zu denken. Man könnte auch sagen, daß diese Idealisten vielfach keinen Reichtum gewinnen, weil sie ihn nicht erstreben. Es scheint jedoch, daß eine fortgeschrittenere Gesellschaft die entsprechenden Mittel für eine erfolgreiche Tätigkeit dieser Schwärmer sicherstellen müßte, damit sie, befreit von materiellen Sorgen, sich voll und ganz dem Dienste der Wissenschaft widmen können.“ (S. 78)

Als Grundlage dieser Neuauflage diente die alte DDR-Ausgabe von 1962 (B. G. Teubner, Leipzig), deren Text, inklusive einiger Fußnoten der damaligen Herausgeber, unverändert übernommen wurde – was man, diese süffisante Bemerkung sei gestattet, nicht zuletzt den Fußnoten anmerkt.

In seinem Vorwort zur Autobiographie dieser Ausnahmewissenschaftlerin schreibt Tobias Wimbauer:

„Curies Autobiographie bedurfte keiner Ergänzung. Der Text steht für sich selbst. Die Strahlkraft (sic!) dieser tapferen Frau hat auch nach hundert Jahren nichts eingebüsst, und ihre selbstlose Leidenschaft für ihre Wissenschaft, die Bescheidenheit bezüglich der eigenen Person und ihr sozialer, politischer Einsatz und tiefer Humanismus ist so aktuell wie zu Curies Lebzeiten.“ (S. 6)

Dem ist, in positiver wie in negativer Hinsicht, nichts hinzuzufügen.

Foto: Cover

Info: 

Marie Curie:
Selbstbiographie
Mit einem Vorwort von Tobias Wimbauer
Nimmertal 75. Schriftenreihe des Antiquariats Wimbauer Buchversand. Dritter Band
Norderstedt: BoD, 2016
84 Seiten, 12 EUR
ISBN 9783741284717

WELTEXPRESSO weist darauf hin, daß Madame Curie eine der 'Säulenheiligen' unserer Zeitung ist; Sie finden sie als junge Wissenschaftlerin in der Köpfeleiste unter den Buchstaben LT. Die Redaktion