c krokodilstranenKrimibestenliste Oktober 2018, Teil 2

Elisabeth Römer

Hamburg (Weltexpresso) – Und wenn wir bewundern, wie sehr es Nesbo gelingt, die charakteristischen Figuren wie z.B. Lady Macbeth wiederauferstehen zu lassen, ist auch ganz klar, daß er sich nicht herausreden kann, dieser Macbeth, denn das Nach-Macht-Gieren seiner Frau kann ja nur aufgehen, weil er verführbar ist und bald die Mordmaschinerie verinnerlicht hat.

Nein, wir wollen die Geschichte hier gar nicht weitererzählen, sondern lieber von den Mitteln sprechen, die Nesbo gekonnt einbaut, ohne die ein Macbeth eben auch nicht zu denken wäre, nicht zu haben ist. Da bleibt die Lady mit ihren Wahnvorstellungen, doch besser: den Voraussagen des künftigen Geschehens die zentrale Figur. Und wie die Prophezeiungen der Hexen aus dem Stück hier das Geschehen vorantreiben, ist literarisch wirklich gelungen, weil dem ganzen Text ein Furor innewohnt, der einen weiterlesen läßt, als ob man sich selbst im Sog wie unter Drogen befindet.

Das Volk, aua, also die Bevölkerung der Stadt, die gibt es irgendwie gar nicht. Alle sind Statisten bis auf die wenigen Personen, die vor allem die Kollegen des Kommissariats ausmachen, die systematisch von Macbeth reduziert werden, bis keine mehr übrig bleiben, die ihn...aber nein, die List der Geschichte und die unheilvollen Voraussagen schlagen auch hier zu.

Wie sagten wir: große Oper. Genau! Dazu hätte es ehrlich gesagt, eines so dramatischen, aber eben auch reißerischen Untertitels wie BLUT WIRD MIT BLUT BEZAHLT nicht bedurft. Denn das gilt für jeden herkömmlichen Racheroman. Aber dies hier ist MACBETH. Also eine andere Größenordnung.

Zugegeben, es ist ein Abstieg! Denn noch im September waren die KROKODILSTRÄNEN überraschend auf Platz 3 eingestiegen. Aber da kannten wir den Roman noch nicht und konnten nur darauf verweisen, daß der Schweizer Unionsverlag gleich zwei Autorinnen aus Südamerika auf der Krimibestenliste führt: mit der1958 in Montevideo geborenen, in Uruguay sehr bekannten Rosende die weltweit bekannte Claudia Pineiro, die mit DER PRIVATSEKRETÄR schon länger auf der Liste stand.

Der Sprecher der Jury, Tobias Gohlis führt zu dem Roman der Mercedes Rosende aus: „Das Montevideo, in dessen Altstadt und Fußgängerzone Úrsula López, die Heldin der Krokodilstränen wohnt, gilt als eine der sichersten Städte Lateinamerikas. Aber das Montevideo, das die Rechtsanwältin und Autorin Rosende uns in diesem wilden, multiperspektivischen und verwirrend konstruierten Roman vorführt, ist ein Ort heftigster Emotionen und weit ausschlagender Charaktere.“ Dazu gleich mehr. Aber erst einmal müssen wir loslegen damit, daß wir vor 20 Jahren einen ganz anderen Eindruck von der Sicherheit dieser Hauptstadt hatten. Da sind wir nämlich am Flughafen ausgeraubt worden. Total. Noch dazu mit einem besonders fiesen Trick. Der eine ging, einen Leihwagen zu ordern, die andere – also ich – stand mit den Koffern und dem Handgepäck auf dem Gepäckwagen wartend im Flughafen. Da brach zwei-drei Meter von mir entfernt, eine alte Frau zusammen und schrie. Was tut man da? Man rennt rasch hin und kümmert sich darum. Doch als ich ihr aufhalf, war sie schnell wieder obenauf und als ich zum Gepäckwagen zurückging, war der zwar noch da: aber völlig leer. Selbst das Handgepäck, alles war weg. Und als ich mich umdreht, auch die alte Frau. Mehr will ich dazu überhaupt nicht sagen, denn das ist eine eigene Geschichte, was man tut, wenn alles weg ist, auch der Rückflug. Ich erinnere mich nur noch daran, daß ich ein Schild bastelte, auf das ich schrieb: Soy una victima de un robo, por esto....Dieses Schild hielt ich Busfahrern vor, die mich daraufhin umsonst durch die Stadt kutschierten...

Also in dieser Stadt eigentlich übersichtlichen Stadt geht es, was die im Roman vorgeführten Menschen angeht, hoch her. Wenn schon bei MACBETH die Drogen und der permanente Drogenrausch eine surreale Situation ergaben, so setzt Mercedes Rosende noch eins drauf. Denn zuvorderst Úrsula López, eßgestört, weil fressüchtig, der nervenschwache entführungswillige Germán, der berüchtigte Verbrecherboss El Roto, erst recht dieser zwielichtige Anwalt Doktor Antinucci, und leider auch die schwache, erfolglose Kriminalkommissarin Leonilda Lima, sie alle wirken wie auf Droge, so abgehoben irre sind ihre Gedanken, ihre Taten, und vor allem ihre Nichttaten. Deshalb wundert man sich auch kaum, daß der Roman im Vorspann anhebt mit ABRAKADABRA OPFERSEGEN, wo von der düsteren Rose, der libyschen Seherin,Donner und Regen, der in knisternden Fäden fällt, die Rede ist und alles einer Dichtung von Julio Herrera y Reissig (Uruguay 1875-1910) zu verdanken ist. Da wüßten wir doch gerne mehr.

Aber wenn man mitten im Mysterienspiel ist, denn diese Úrsula treibt es wirklich zu bunt, um beim einmaligen Lesen die Übersicht zu behalten – und waren da nicht zwei Úrsulas, oder wer foppt uns da? Also, über diese essgestörte Úrsula López sagt Rosende „in einem Interview mit dem ihr eigenen feinen Humor: ‚Sie hat einige Schuld auf sich geladen, die sie auch bereut, aber nicht allzu sehr.‘“ So berichtet es Tobias Gohlis. Und während wir uns noch mit den Úrsulas mühen und uns fragen, ob dieser Name etwa mit Lieschen Müller zu vergleichen ist oder eher Soraya Meier, kapieren auch wir, daß es stimmt, daß es die zwei Úrsulas gibt, aber nur am Anfang, denn am Schluß wird die dicke, die freßsüchtige die andere ermordet haben.

Aber da sind wir jetzt unserer Zeit voraus. Denn tatsächlich geht es erst um die geplante Entführung des Industriellen, die dem Angstbündel Germán tatsächlich gelingt, ach ja, die später ermordete Úrsula Lopez hat dabei ihre Finger im Spiel und auch der Verbrecher....ach, haben wir uns gesehnt, wenigstens eine sympathische Figur zu finden, an der wir uns festhalten können, wenn wir diese irren Wirren oder wirren Irren in Gängen, in Fahrten, treppauf, treppab durch Montevideo begleiten. Die Toten, das ist irgendwie nicht so ganz ernst gemeint, ein wenig wartet man drauf, daß ein Kasperle kommt und mit dem Ende alle Toten gleich wieder für den Applaus lebendig werden. Also, es ist etwas Komödiantisches, aber nichts Leichtes, sondern recht Abgründiges um diese Figuren und diesen Roman.

Das wußte wohl schon Hansi Lang, der für folgenden Liedtext verantwortlich ist, den die spanischsprachige Autorin nicht kennen kann, aber wir:

Monte Video

Über Monte Video scheint die Sonne so rot.
Monte Video
In Monte Video spielt die Sonne mit dem Tod.
Monte Video
Über Monte Video ist der Himmel so rot.
Monte Video
Nach Monte Video lebendig oder tot.
Monte Video
In Monte Video blühen die Rosen so rot.

Ein Wort zuviel,
ein Wort zuviel und du bist ihr Ziel.
Ein Wort zuviel
dann bist du einer zuviel in ihrem Spiel.

Insofern ist dieser Krimi die notwendige Antwort auf diesen Liedtext, den wir fanden, weil es verschiedene Schlager über Montevideo gibt.

PS.: Wir lasen und hörten (Hörbuch Hamburg) MACBETH sozusagen gleichzeitig und wenn wir es ernst nehmen, eigentlich dadurch fast doppelt. Denn das Hin- und Hersuchen zwischen Buch und den Hörbuchstellen, ist oft komplizierter und dauert länger, als schnell noch mal das Gelesene auch zu hören und umgekehrt. Dadurch haben wir die Gewißheit, diese Geschichte wirklich erlebt zu haben und sind gewiß, das wird einmal verfilmt. Denn das Geschehen ist so bildmächtig, daß man tatsächlich beim Wiederhören oder Wiederlesen sich wie im Kino vorkommt.


DIE KRIMIBESTENLISTE OKTOBER
Die zehn besten Kriminalromane des Monats Oktober 2018

1(–)
Tom Franklin
Krumme Type, krumme Type
Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl.
Pulp Master, 416 Seiten, 15,80 Euro
„Chabot“, Mississippi. Alle nennen ihn „Scary Larry“. Hat er wieder, wie vor
25 Jahren, ein Mädchen umgebracht? Constable Silas, einst eine schwarze
Baseball-Hoffnung, zweifelt. Einen Sommer lang waren die beiden Außenseiter
Freunde. Schweigen, Angst, Rassismus – gelähmte Gesellschaft, tolles Buch.

2(–)
Mick Herron
Slow Horses
Aus dem Englischen von Stefanie Schäfer.
Diogenes, 480 Seiten, 24 Euro
London. Versager, „Slow Horses“ im Geheimdienstjargon, landen im Slough
House, um Sinnloses zu tun, bis sie freiwillig kündigen. Als rechte Dumpfbacken
einen Hassan entführen, um ihn öffentlich zu köpfen, schlägt die Stunde der lahmen
Gäule. Der Feind lauert im Innern – des Geheimdienstes. Feiner Start.

3(9)
Jo Nesbø
Macbeth
Aus dem Englischen von André Mumot.
Penguin, 624 Seiten, 24 Euro
Schottland. SWAT-Führer Macbeth und Casinochefin Lady, am Drogen-Bändel
von Gangster Hecate, schalten die Polizeiführung aus. Macbeth, „Mann aus dem
Volk, für das Volk“, bringt Freunde, Feinde, Kinder um. Aktuelle, atmosphärisch
schlüssige Transposition des Shakespeare-Stoffs. Nesbøs bestes Buch.

4(–)
André Georgi
Die letzte Terroristin
Suhrkamp, 362 Seiten, 14,95 Euro
Deutschland 1991. Ungelöste Rätsel, die dritte Generation der RAF im Verborgenen.
Plausible Fiktion zum Mord an Treuhandchef Dahlmann. Sandra Wellmann,
dicht am gut geschützten Opfer, unter Mordzwang. Verstörender Rückblick auf die
Nachwendezeit: DDR-Übernahme und die leere Binnenwelt der Terroristen.

5(–)
Simone Buchholz
Mexikoring
Suhrkamp, 248 Seiten, 14,95 Euro
Hamburg, Bremen. Versicherungsvertreter Nouri Saroukhan erstickt in einem
angezündeten Auto. Chastity Riley und Kollegen prallen gegen die Mauer der
Clans, die Nouri und die junge Aliza verstoßen haben. Staatsohnmacht. Autos
brennen überall. „Links von uns ist ein Riss im Himmel.“

6(3)
Mercedes Rosende
Krokodilstränen
Aus dem Spanischen von Peter Kultzen.
Unionsverlag, 224 Seiten, 18 Euro
Montevideo. Die sicherste Stadt Lateinamerikas, ins Chaos gestürzt von
Rechtsanwältin Rosende. Heldin Úrsula frisst, Knasti Germán ist Paniker. Sie heult,
er kotzt. Ihre Familie hat sie schon fast verschlungen, jetzt erbeutet sie souverän mit
rosa Tasche Millionen. Leider gibt es auch Polizei.

7(–)
Jérôme Leroy
Die Verdunkelten
Aus dem Französischen von Cornelia Wend.
Edition Nautilus, 224 Seiten, 18 Euro
Frankreich, nahe Zukunft. Attentate, Militärdiktatur, Chaos. Immer mehr Leute
verlieren die Lust an dem Scheiß, verschwinden einfach, verdunkeln. Gefahr für die
öffentliche Sicherheit! Schriftsteller Trimbert reflektiert seinen Weg ins Dunkle.
Geheimagentin Agnès jagt ihn, fasziniert.

8(–)
Ryan Gattis
Safe
Aus dem Englischen von Ingo Herzke und
Michael Kellner.
Rowohlt, 412 Seiten, 20 Euro
South Los Angeles. Safespezialist Ghost reagiert auf die Lehman-Pleite.
Er knackt die Tresore lokaler Drogenbarone und verteilt das Bare an
die Armen. Im aussichtslosen Fight mit Boss Rooster hat Ghost zwei
Verbündete: seinen Tumor und die Skrupel eines Gangsters. Romantische
Gettoballade.

9(–)
Dennis Lehane
Der Abgrund in dir
Aus dem Englischen von Steffen Jacobs und
Peter Torberg.
Diogenes, 528 Seiten, 25 Euro
Boston. Frau liebt Mann, Mann rettet Frau. Sie erschießt ihn. Rachel ist
schlau, Tochter einer manipulativen Mutter, ein Fall für die Psychiater.
Da begegnet ihr Brian, liebevoll, zugewandt, stark. Sie möchte, will ihm
trauen. Lehanes Variante des Girl-Krimis: Psychothriller wird
Gaunerkomödie.

10(2)
Lisa McInerney
Glorreiche Ketzereien
Aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence.
Liebeskind, 448 Seiten, 24 Euro
Cork, Irland. Seniorin Maureen erschlägt einen Einbrecher mit einem
Heiligen Stein. Die Leiche muss weg. Wie überhaupt alles, was den Anschein von
Wohlanständigkeit stören könnte. Poetisch, direkt, kalt servierter schwarzer
Humor: endlos die Spirale von gekränkter Ehre, Demütigung und Gewalt.


Über die Krimibestenliste

An jedem ersten Sonntag des Monats geben 19 Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und
der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Die Krimibestenliste ist eine Kooperation der
Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung mit Deutschlandfunk Kultur.

Die Jury der Krimibestenliste

Tobias Gohlis, Sprecher der Jury | Volker Albers, „Hamburger Abendblatt“
| Andreas Ammer, „Druckfrisch“, BR | Gunter Blank, „Sonntagszeitung“
| Thekla Dannenberg, „Perlentaucher“ | Hanspeter Eggenberger,
„Tagesanzeiger“ | Fritz Göttler, „Süddeutsche Zeitung“ | Jutta Günther,
„Nordwestradio“ | Sonja Hartl, „Zeilenkino“, „Polar Noir“ | Hannes Hintermeier,
„Frankfurter Allgemeine Zeitung“ | Peter Körte, „Frankfurter Allgemeine
Sonntagszeitung“| Kolja Mensing, „Deutschlandfunk Kultur“ | Marcus Müntefering,
„Spiegel Online“, „Krimi-Welt“ | Ulrich Noller, „Deutsche Welle“,
WDR | Frank Rumpel, SWR | Margarete von Schwarzkopf, Literaturkritikerin |
Ingeborg Sperl, „Der Standard“ | Sylvia Staude, „Frankfurter Rundschau“ |
Jochen Vogt, „NRZ“, „WAZ“

Die Krimibestenliste auf Deutschlandfunk Kultur
www.deutschlandfunkkultur.de
Die Krimibestenliste am ersten Sonntag des Monats und auf
www.faz.net/krimibestenliste


Foto:
Cover

Info:
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/13793-krumme-type-krumme-type-von-tom-franklin-bei-pulp-master-auf-platz-1
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/13925-ein-merkwuerdiger-spionagethriller
https://nesbo.de/harry-hole