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Kategorie: Bücher
c derneudeutscheArye Sharuz Shalikars neues Buch: „Der neu-deutsche ANTISEMIT. Gehören Juden heute zu Deutschland? Eine persönliche Analyse“, Verlag Hentrich & Hentrich

Elvira Grözinger

Berlin (Weltexpresso) - Arye Sharuz Shalikar ist seit Erscheinen seines ersten Buches „Ein nasser Hund ist besser als ein trockener Jude“ in Deutschland kein Unbekannter. Während er in diesem Buch seine schwierige Kindheit und Jugend als Jude im muslimischen Teil von Berlin – Wedding - beschrieb, geht er in dem neuen Werk hart ins Gericht mit verschiedenen Gruppen in Deutschland, die gegenwärtig den - antisemitischen - Diskurs bestimmen.

Der Autor wurde 1977 als Sohn persisch-jüdischer Eltern in Göttingen geboren, die frühe Kindheit verbrachte er in Berlin-Spandau. Als er 13 wurde, zogen seine Eltern nach Wedding um, wo er im aggressiven muslimischen Milieu sogar um sein Leben fürchten musste, bis er ein Teil der kriminellen muslimischen Jugendbande wurde. Er war u.a. Mitglied der Berliner Straßengang Black Panthers, gründete die deutschlandweit berüchtigte Graffitigang Berlin Crime, schaffte dennoch nebenher das Abitur und leistete danach den Wehrdienst ab. 2001 wanderte er nach Israel aus, diente auch dort noch einmal in der Armee und studierte anschließend an der Hebräischen Universität Jerusalem, meiner Alma Mater, Internationale Beziehungen, Nahoststudien sowie Europastudien, die er mit Auszeichnung abschloss. Von 2009 bis 2016 war er, im Rang eines Majors, offizieller Sprecher der israelischen Armee. Seit 2017 ist der Familienvater Direktor für Auswärtige Angelegenheiten im Ministerium für Nachrichtendienste im Büro des israelischen Ministerpräsidenten. Als Blogger, Gastautor, Experte und Kommentator in den Medien hält er den Kontakt nach Deutschland. Sein Buch ist eine Abrechnung mit der deutschen Gesellschaft und eine bittere Bilanz.

Sharuz Shalikar hat seinem Buch zahlreiche Zitate aus den Internetkommentaren, die er auf seinem Blog und der Facebook-Seite bekam, beigefügt. Es scheint mit einer heißen Feder geschrieben, ist leidenschaftlich, erhebt keinen Anspruch, ein literarisches oder wissenschaftliches Werk zu sein, sondern stellt ein mit Herzblut verfasstes Manifest gegen den gegenwärtigen Judenhass in Deutschland dar, dessen aufmerksamer Beobachter und Zeuge der Autor ist:

„18.4.2018. Mein Körper befindet sich in Israel. Meine Gedanken jedoch in Berlin. Meine Berliner Vergangenheit holt mich ein. Wieder einmal. Leider. Seit Anfang 2018 immer öfter. Täglich.“ So beginnt das Vorwort, in dem der Autor die Initialzündung für diesen Band benennt – die Gürtelattacke eines jungen Arabers auf einen vermeintlich jüdischen Kippaträger, der aber in Wahrheit ein christlicher israelischer Araber war, der die Kippa als einen Experiment trug, um zu überprüfen, ob es auf deutschen Straßen wirklich gefährlich sei, sich als Jude zu outen. Doch bereits nach 5 Minuten wurde er attackiert und der Vorfall gefilmt. Sharuz Shalikar postete das Video auf seiner Facebookseite ab und erhielt hunderte von Kommentaren. Aber eigentlich waren als der „Startschuss“ für das Buch die ‚neue deutsche Realität‘ - der Hass auf Israel und Antisemitismus auf Berliner Straßen der Krieg gegen die Hamas in Gaza im Jahre 2014. An den antiisraelischen Demonstrationen, so schreibt er, müssen Tausende von Menschen beteiligt gewesen sein. „Unter ihnen aufgestachelte Araber, andere islamistisch-eingestellte Muslime, linksradikale und rechtsradikale Deutsche und selbst der Otto-Normalverbraucher-Antisemit von nebenan, der sich vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben getraut hat, an einer offiziellen Kundgebung teilzunehmen, die gegen den jüdischen Staat gerichtet war. Das war eventuell der Startschuss in die neue deutsche Realität.“

Als der Sprecher der israelischen Verteidigungstreitkräfte war der Autor an der Front und versuchte, der Welt zu erklären, was dort geschah, aber es war kaum möglich, denn die Sympathien lagen auf der Seite der Terrororganisation Hamas, die zuvor Hunderte von Raketen auf israelische Zivilisten im grenznahen Kernland – nicht in den sogenannten „Besetzten Gebieten“ – abschoss, zig Tunnels zwecks Sabotage und Anschlägen anlegte und sich in den kriegerischen Auseinandersetzungen feige hinter den menschlichen Schutzschildern versteckte. Die internationalen Medien filmten nicht die durch Raketen zerstörten israelischen Kindergärten, sondern die durch Israel zerbombten Straßen von Gaza. Die einseitig antisemitische Berichterstattung und Propaganda hatte nicht nur diese in vielen Städten Europas, nicht nur Deutschlands, stattfindende Demonstrationen zur Folge, sondern Israel wird seither bis heute als „Terrorstaat“ und „Kindermörder“ angeprangert.

Der Autor wehrt sich gegen die Verharmlosung des Israel-bezogenen Antisemitismus – gerade wie die erst neulich in der Sendung WDR-Presseklub über den Terror von Rechts am letzten Sonntag von einer am Telefon zugeschalteten Person geäußerte Behauptung – es gäbe keinen muslimischen Antisemitismus, sondern es sei alles nur (berechtigte) „Israelkritik“. Und er „will den Versuch unternehmen, anhand der folgenden persönlichen Analyse ein für alle Mal Schluss zu machen mit der Relativierung‚ man wird doch wohl mal sagen dürfen‘ bzw. ‚Israel kritisieren dürfen‘.“ Sharuz Shalikar wie jeder denkende Mensch auch, begreift nicht, dass „Kritik“ nur an einem einzigen Land in der Welt in Deutschland im Alltag existiert, und einzig im Deutschen „Anti-Israelismus“ als Begriff verwendet wird, was ihn zu der sarkastischen Bemerkung verleitet, man könne diesen bald im Duden finden. Nun ist es aber tatsächlich soweit – seit 2017 ist „israelkritisch“ als Begriff im Duden zu finden, nicht aber etwa „irankritisch“, geschweige denn bezüglich anderer Länder. Ein Schelm, der Böses dabei denkt!

Der Verfasser stellt fest, dass sich seit 2014 das deutsche Antisemitismus-Problem nur verstärkt hätte. Stellenweise ist das Buch sogar amüsant, etwa, wenn sich die PolitikerInnen und Medienleute auf den „Nahostkonflikt“ als ausschließlich zwischen Israelis und den Palästinensern kaprizieren, wo doch der Bürgerkrieg zwischen Sunniten und Schiiten in Syrien bisher an die 500.000 Tote und Millionen Flüchtlinge hervorgebracht hat, mehr als es Palästinenser in der gesamten Region gibt, und das ganz ohne israelische Beteiligung... Erdogan nimmt z.B. den Kurden ihren Lebensraum, aber das stört keinen.

Die Kapitel des Buches sind den verschiedenen Erscheinungsformen des Antisemitismus gewidmet. Im ersten Kapitel „Aggressiver muslimischer Judenhass erobert deutsche Straßen“ beschreibt der Autor die Traumata seiner Jugend, als er und sein Bruder um ihr Leben und gegen den Judenhass kämpfen mussten, der ja immer noch da ist. Dass Muslime diesen Hass auf Israel übertragen, es einen „Terrorstaat“, „Landdieb“ und „Kindermörder“ nennen, ist für ihn ein klarer Ausdruck des Antisemitismus. Denn sie äußern dabei auch unverhohlen und ungestraft ihre Sympathien für Adolf Hitler und dessen „Judenvernichtung“.

Sharuz-Shalikar lässt kein gutes Wort an den deutschen „Leit“Medien, die stets israel-kritisch sind, und besonders in Konfliktsituationen die negative Stimmung derart auf heizen, dass es kein Wunder ist, wenn als Folge auf deutschen Straßen Ende 2017 Demonstranten wieder „Juden ins Gas“ gebrüllt und dabei die israelische Fahne verbrannt wird. Die Medien spielen, so der Verfasser, somit eine aktive negative Rolle bei der Erzeugung von Konflikten in der Gesellschaft und bei der Verstärkung des Antisemitismus, die Journalisten verlassen sich zu oft auf dubiose Quellen aus dritter Hand und recherchieren nicht selbst. Sharuz-Shalikar attestiert ihnen hierbei Faulheit.

Auch die als angeblich friedenbewegten christlichen Kirchen und ihre Organisationen sind mitschuldig am Antisemitismus, so etwa Pax Christi, nicht jedoch die Evangelikalen Christen, die mehrheitlich Israel als von Gott verheißenes Land und dien Juden als Gottes auserwähltes Volk unterstützen. Schließlich sind mit von der Partie der Antisemiten die „selbsthassenden“ Juden, die als „Alibi-Juden“ betrachtet und gern gehört werden, welche die Boykottbewegung gegen den jüdischen Staat unterstützen. Namentlich wird hier die Aktivistin Evelyn Hecht-Galinski erwähnt, die, zusammen mit ihrem Münchner Mitstreiter Bernstein als Israel-Gegnerin und Palästinenserfreundin von den Medien hierzulande gleich den „kritischen“ Israelis, etwa Prof. Moshe Zimmermann und Botschafter a.D. Avi Primor, überaus gern zitiert wird. Zu den innerjüdischen Israelfeinden gehört auch die fanatische religiöse jüdische Sekte Neturei Karta. Sie macht sogar gemeinsame Sache mit Judenhassern wie Mahmoud Ahmadinedjad, weil sie einen jüdischen Staat vor dem Kommen des Messias ablehnen und ihn als Sünde betrachten, weshalb sie dessen Zerstörung befördern.

Arye Sharuz Shalikar benennt unter den Antisemiten die deutschen rechten Verschwörungstheoretiker, die von der „jüdische Weltverschwörung“ quasseln, die Hip-Hop-Szene und den deutschen Rap – dies wurde endlich anlässlich der Echo-Preisverleihung an Kollegah öffentlich thematisiert.

Kaum ein Thema wird nicht wenigstens angeschnitten – so auch die deutsche Israel-Fixierung (zu Israel hat fast jeder Deutscher eine meist kritische Meinung) als eine der Erscheinungsformen des Antisemitismus, welche zum Teil mit der Täter-Opfer-Umkehr zusammenhängt. Verstört hat ihn auch die gemeinsame Teilnahme der Neonazis und der Muslime an einer antiisraelischen Demonstration am 14. Mail 2018, dem 70.Unabhängigkeitstag Israels in Dortmund, wo sie auf einem Banner den klassischen Slogan des Antisemitismus trugen, Treitschkes „Die Juden sind unser Unglück“.

Viele der Erkenntnisse sind nicht neu, sie sind denjenigen bekannt, die täglich mit dem Thema zu tun haben, wie etwa in der neuesten Studie der Kognitionswissenschaftlerin Monika Schwarz-Friesel über die Judenfeindschaft im digitalen Zeitalter nachgewiesen wurde. Dennoch ist das gut lesbare Buch von Arye Sharuz-Shalikar ein wichtiges und notwendiges Kompendium all dessen, was den Juden in Deutschland und ihren nichtjüdischen Freunden derzeit Bauschmerzen bereitet und es ist allen zur Lektüre empfohlen, die diese Bestandsaufnahme unserer Gegenwart in Kurzform brauchen können. Eine breite Leserschaft wäre überaus wünschenswert.

Dem Verlag ist für die Veröffentlichung einer solchen unbequemen Streitschrift zu danken, der Preis von 16,90 € ist käuferfreundlich.

Foto:
Cover

Info:
Arye Sharuz Shalikar, „Der neu-deutsche ANTISEMIT. Gehören Juden heute zu Deutschland? Eine persönliche Analyse“, Hentrich & Hentrich, Berlin, Leipzig 2018, 160 S.