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Kategorie: Bücher
kpm Literatur und Kultur April Titel 72Der Schriftsteller Peter Kurzeck (1943 – 2013)

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Den Nobelpreis für Literatur hat er nicht bekommen, obwohl Peter Kurzecks Frankfurter Schriftstellerkollege Andreas Maier diese Auszeichnung für durchaus angemessen hielt.

Auf eine entsprechende Umfrage im Jahr 2008 antwortete er: „Natürlich Peter Kurzeck, weil er das Jahrhundertgenie deutscher Sprache ist. So etwas wie das, was er macht, gibt es sonst nirgends. Der Einzige auf Marcel-Proust-Niveau.“

Doch auch für das Lesefest „Frankfurt liest ein Buch“ wurde Kurzeck, bzw. einer seiner Romane bislang nicht nominiert.

Möglicherweise könnte es daran liegen, dass Peter Kurzeck ein Erzähler war, der so geschrieben hat wie er sprach. In allen seinen Romanen hat er sich dem eigenen mündlichen Erzählduktus angenähert. Das erschwert die Lektüre seines Werks. Denn wer mündlich erzählt, der erzählt nicht linear, nicht der Reihenfolge nach. Er erzählt so, wie ihm die Erinnerungen kommen. Er korrigiert sich, beginnt neu, wiederholt, beleuchtet Dinge noch einmal, von einer anderen Seite. Er benutzt auch eine andere Sprache als jemand, der von vornherein schreibt, kürzere Sätze, knappere Sätze, Sätze die einen Klang entwickeln und damit einen Sog erzeugen. Und eine Schnelligkeit, bei der man beim Lesen den Atem verlieren kann.

Kurzeck wurde 1943 im Sudetenland geboren, 1946 kam er mit seinen Eltern nach Oberhessen. Seine Kinder- und Jugendjahre verbrachte er in Staufenberg, unweit von Gießen gelegen. 1977 gab er seine Tätigkeit als leitender kaufmännischer Angestellter bei der US-Army auf und ließ sich in Frankfurt als Schriftsteller nieder. Um diese freiberufliche Tätigkeit finanzieren zu können, arbeitete er halbtags in einem Antiquariat.

Die Themen seiner Erzählungen sind die Kinder- und Jugendjahre in Staufenberg und sein Leben als Autor in Frankfurt am Main. Mit dem Beginn der 1990er Jahre entstand der Zyklus „Das alte Jahrhundert“, der auf zwölf Bände angelegt war. Fertig geworden sind lediglich fünf, ein sechster blieb unvollendet.

Die Sachsenhäuser Literaturinitiative PRO LESEN stellt am 25. April im Bibliothekszentrum Sachsenhausen die ersten zwei Bände vor: „Übers Eis“ und „Als Gast“. Damit verbindet der Verein die Hoffnung, diesen bemerkenswerten Schriftsteller im Bewusstsein der literaturinteressierten Öffentlichkeit zu halten. Der Stroemfeld Verlag, der seine Romane publizierte, besteht leider nicht mehr. Die Rechte sind übergegangen an den renommierten Schöffling Verlag, der ebenfalls in Frankfurt ansässig ist. Es ist zu hoffen, dass Peter Kurzeck und seinem Werk damit das Schicksal des Vergessenwerdens erspart bleiben.

Tauchen wir kurz ein in die Welt von Peter Kurzeck; eine Welt, die aus Sprache gefertigt ist, in der das Vergangene zur Gegenwart wird und alle und alles lebendig werden:

„In der Juliusstraße. Wo ist denn die Juliusstraße? Gleich rechts von der Leipziger. An der Ecke ein Supermarkt, ein HL, und direkt daneben grüngekachelt ein Kasten, ein Apartmenthaus... Beim Hauseingang jetzt. Eine ganze Wand Briefkästen. Die meisten offen. Aufgebrochen, die Türen verbogen. Ganz ohne Türen. Und Briefkästen, in denen es gebrannt hat.“

Wer das liest, erhält einen Eindruck von dem, was ihn im Romanzyklus „Das alte Jahrhundert“ erwartet. Der Titel des ersten Bands heißt „Übers Eis“, er erschien 1997.

Es ist kalt, nass und ungemütlich im Januar 1984. Unumwunden und ehrlich beschreibt Kurzeck sein Leben in seiner Wahlheimat Frankfurt. Da ist Sybille, seine Lebensgefährtin, die ihn verlassen hat, Carina, die gemeinsame Tochter, da ist der chronische Geldmangel und die existentielle Krise, unter der er leidet. Er versucht, wieder mit dem Leben klarzukommen, unternimmt nie enden wollende Spaziergänge durch Frankfurt: Auf Wohnungssuche, auf Jobsuche, mit seiner kleinen Tochter Carina. In den Straßen, in Tram und U-Bahn, in Gaststätten und Geschäften begegnet er Menschen, die typisch sind für die damalige westdeutschen Gesellschaft. Insbesondere die in einer Wirtschaftsmetropole wie Frankfurt am Main, wo die längst eingesetzte soziale Spaltung einer Stadt, eines Landes, eines Kontinents deutlich wird. Kein Wunder, dass Kurzeck als ein Chronist seiner Zeit gelten kann.

Wiederholt wird von dem Zeitabschnitt erzählt, als die Weichen gestellt wurden, sich selbst stellten. Durch Unterlassen, durch das Sichabfinden. Im Oktober 1983. Carina ist da, die kleine Tochter, die Partnerin Sibylle, die Freunde Pascale und Jürgen, die in Frankreich leben, und all die anderen, die Namenlosen aus dem Frankfurter Westend. Und dann folgen Januar und Februar 1984.

Ein Leben im Stillstand, in dem alles schon vergangen und zugleich Gegenwart ist. Da gibt es den Kinderladen und die kleine Dachkammer. Rückblicke auf Sibylles Aushilfsjob im Verlag und auf den Autor, der seine Stelle im Antiquariat verliert. Der Rest ist Arbeit an der Schreibmaschine, das tägliche Pensum, damit ein weiteres Buch fertig werden kann. Nichts Neues. Nichts passiert. Doch plötzlich nachts eine Panikattacke. Sie kündigt an, was geschehen wird, was abzusehen war, aber verdrängt wurde: Sibylle wird weggehen und die kleine Familie wird zerfallen. Wenige Wochen danach, im Januar und Februar, beginnen die gedanklichen Rückreisen ins eigene Leben.

Foto: 
Programmheft zur Themenwoche „Das alte Jahrhundert“
© PRO LESEN e.V.

Info:
Bibliografie der wichtigsten Buchveröffentlichungen
Der Nussbaum gegenüber vom Laden, in dem du dein Brot kaufst:
Die Idylle wird bald ein Ende haben
Roman
Frankfurt a.M. 1979

Das schwarze Buch
Roman
Frankfurt a.M. 1982

Kein Frühling
Roman
Frankfurt a.M. 1987

Keiner stirbt
Roman
Frankfurt a.M. 1990

Mein Bahnhofsviertel
Ursprünglich1984 im „Pflasterstrand“ veröffentlicht
Buchausgabe Frankfurt a.M. 1991

Vor den Abendnachrichten
Beiträge für die Reihe „Edition Künstlerhaus“,
Künstlerhaus Edenkoben
Heidelberg 1996

Übers Eis
Roman
Frankfurt a.M. 1997

Als Gast
Roman
Frankfurt a.M. 2003

Ein Kirschkern im März
Roman
Frankfurt a.M. 2004

Oktober und wer wir selbst sind
Roman
Frankfurt am Main 2007

Vorabend
Roman
Frankfurt a.M. 2011

Bis er kommt
Romanfragment
Frankfurt a.M. 2015

Der vorige Sommer und der Sommer davor
Romanfragment
Frankfurt a.M. 2018