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Kategorie: Bücher
c winterbienenDer Deutscher Buchpreis 2019,  Teil 15

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Es erfaßt einen heiliger Ernst, wenn man zuerst vom Zustandekommen dieses Romans hört, was die Danksagung auf Seite 305 verrät. In Kall, dem Ort, in dem auch die anderen Romane Norbert Scheuers ihre Heimat haben, hatte ein Mann aus einer Runde von alten Kerlen, mit denen er beineinander saß, ihm eine Aktentasche mit Papieren gebracht, die er dem Schriftsteller gerne zeigen wollte.

Es waren Bleistiftzeichnungen, die in einem alten, entvölkerten Bienenstock versteckt gefunden wurden und die von dem Mann stammen, dem er verbunden war und der kurz nach dem Krieg von einer Tellermiene nahe der belgischen Grenze in die Luft gesprengt wurde. Genau so endet dieser Roman: „Als Egidius sah, wie sein Hund neugierig an einem metallenen Gegenstand schnüffelte, gewahrte er, daß er sich mitten in einem Minenfeld befand. Erstarrt blieb er stehen.“ (303)

Der Roman beginnt:

„Tagebuch 1944/45
Egidius Arimond
Undatiertes Blatt....
Ich wohne in einem Bergarbeiterstädtchen, das an einem Fluß liegt, der sich durch einsame, zerklüftete Landschaften schlängelt, eine Gegend mit kleinen Dörfern inmitten von Magerwiesen, Fichten-, Kiefern- und Buchenwäldern, die sich bis zur belgischen Grenze erstreckten...“

Zwischen Anfang und Ende werden wir Zeugen, mit welcher Liebe, Sorgfalt und Sachkenntnis sich Egidius Arimond, der einem ob seiner Tagebücher älter vorkommt, der aber, wie es heißt: in voller Manneskraft steht und dies in den Tagebüchern auch nicht verschleiert, um seine Bienen kümmert. Eigentlich ohne Selbstzweck, aber mit ihrer Hilfe kann er nun auch noch, ohne aufzufliegen, Flüchtlinge, meist Juden, zur belgischen Grenze bringen – gegen Geld, warum denn nicht, meint er selber dazu. Die Flüchtlinge versteckt er in seinen Bienenstöcken, die er auf einem großen Gefährt in den angrenzenden Wald bringt, wo er neben den häuslichen Stöcken noch eine große Bienenzucht betreibt, die im Winter ohne seine Hilfe auskommen müssen, was die jeweiligen Bienenvölker meist problemlos überleben.

In Bienenstöcken? Menschen transportieren? Erst überlegt man sich, wie denn die Leute hineinpassen und als nächstes, wenn man liest, daß diese für die Nazi-Schergen, die natürlich sein Gefährt durchsuchen, so oft sie den Transport mitbekommen, nicht sichtbar sind, weil sie von den Bienen umhüllt sind, fragtman sich, wie das denn geht. Dachte man doch bisher immer biologiefern, die Masse von Bienen auf menschlicher Haut würden den Tod bringen, so zeigen es jedenfalls die Horrorfilme. Aber nein, mit Hilfe von präparierten Lockenwicklern – herrlich, von den aus Kindheitstagen bekannten Lockenwicklern zu lesen, mit denen erst die Haare aufgerollt wurden und in die dann ein Bürstchen gesteckt wurde, die den Haaren Halt gaben, weshalb die Lockenwickler fest auf dem Kopf hielten, später gab es noch kleine Plastikstäbchen zum zusätzlichen ganz fest an der Kopfhaut Halten dazu – setzen sich die Bienen auf die menschliche Haut und bedecken die Flüchtlinge vollständig, weshalb so gut versteckt kein einziges Mal  jemand entdeckt wurden. Gut für den Geretteten, gut für Egidius Arimond, gut für sein Portemonnaie auch, dazu gleich mehr.

Denn obwohl alle Transporte unendeckt klappten, starben zwei Flüchtlinge. Das Baby einer jungen Frau, die bis zur Grenze mit dem Kind kam, dort aber von deutschen und belgischen Soldaten entdeckt, vergewaltigt wurde, wobei die Soldaten das Kind an der Brust der Mutter tot drückten. Tot aufgefunden wird auch der alte dicke Büchernarr, der als unangenehm beschrieben wird, wobei Egidius durchaus einer ist, der es auf dessen Bücher abgesehen hat.

Im normalen Leben vor den Nationalsozialisten war E.A. Lehrer gewesen, den diese sofort aus dem Dienst schmissen, während sein Bruder hochdekoriert Flugzeuge lenkt – die Leidenschaft für die Fliegerei zeigen die 13 Zeichnungen im Buch, auf denen die verschiedenen Kampfflieger nebst genauer Beschreibung ihrer Art und Möglichkeiten abgebildet sind, Zeichnungen, die von Erasmus Scheuer stammen, wobei uns Bilder der verschiedenen Bienenarten und ihrer Stöcke sehr viel mehr interessiert hätten. Die Prominenz seines Bruders  ist wohl der Grund dafür, daß E.A. trotz seiner Epilepsie nur entlassen wurde, nicht aber in eine der „Heilanstalten“ abgeschoben und ermordet wurde.

Für unseren Tagebuchschreiber ist es deshalb so wichtig,  für seine Rettungsaktionen Geld zu bekommen, das er für die Medikamente braucht, mit denen er die Epilepsie in Schach hält, was nur hintenrum geht, denn er kann sich solche Sachen nicht vom Arzt verschreiben lassen, der ihn sofort wegbringen ließe, während der Apotheker lange den Mund hält, denn er verdient daran, am Luminal? Der Name wird sooft erwähnt, daß es uns keine Ruhe ließ, denn in unserer Erinnerung war das ein Schlafmittel in der alten Bundesrepublik. Und dazu sagt Wikipedia: Phenobarbital ist ein 1912 eingeführter Arzneistoff aus der Gruppe der Barbiturate und wird in der Epilepsiebehandlung sowie zur Narkosevorbereitung eingesetzt. Es war ein vielgenutztes Schlafmittel bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein. Aha, dazu gelernt, nicht nur bei den Bienen, auch über Epilepsie.

Fortsetzung folgt

Foto:
Cover

Info:
Norbert Scheuer, Winterbienen, C.H. Beck, 2019