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Kategorie: Bücher
Bildschirmfoto 2019 10 14 um 02.58.32Der Deutscher Buchpreis 2019,  Teil 16

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Wenn wir das so sachlich hinschreiben, setzen wir den Ton fort, in dem Egidius Ambrosius  nüchtern-kühl vom Schrecken und dem Schrecklichen erzählt. Er hat zwar seine Meinung zu den Zuständen im Nazi- Deutschland und tut auch etwas dagegen, aber dennoch bleibt er eine Frohnatur und nimmt das Leben, sein Leben, wie es ist oder sein kann, wenn man gerne mit Frauen schläft, erst recht attraktiven Frauen, die aber halt – wie im richtigen Leben – immer schon die Frauen von anderen Männern sind!

Doch in Kriegszeiten sind Ehemänner zu Hause Mangelware – und so ist es E.A. ganz recht, daß er keine festen Bindung eingehen muß, denn neben der lange Zeit Hauptgeliebten und Strohwitwe Maria wird dann kurzzeitig die viel attraktivere Charlotte sein Sexualobjekt, neben der es aber auch noch Anna gibt. Über Maria schreibt er mitten drinnen: „Ich möchte nicht, daß sie zu mir nach Hause kommt, möchte keine allzu große Nähe; sie soll nicht zu viel von mir erfahren oder gar ein Teil meines Lebens werden. Sie erzählt mir Dinge, von denen ich nichts wissen will, redet von Liebe. Ich kränke sie mitunter, wenn ich ihr sage, es geb e keine Liebe, sondern nur Verführung und Begierde, und unsere Lust habe mit Tugenden nichts gemein. Sie weiß nichts von meiner Krankheit...“ (63)

Das Eigenartige an diesen Aufzeichnungen ist, daß sich die Welt des Protokollanten nicht um den Krieg dreht, sondern nur um dessen Folgen für ihn persönlich.Er will überleben, soll heißen, nicht der Krieg macht ihm Angst, sondern das potentielle Ausbleiben seiner Medizin gegen die Folgen der Epilepsie, die ihm der örtliche Apotheker schließlich ganz verwehrt. Der Schreiber liebt nicht die Menschen, aber er liebt die Bienen, von denen er zwar auch sachlich und keineswegs leidenschaftlich berichtet, aber doch mit tiefster Bewunderung über den Ablauf eines solchen Bienenlebens, das nur ein Ziel hat: das Überleben des Stockes. Und das ist seltsam, denn er selbst kümmert sich um die menschliche Gemeinschaft wenig. Er hat keine. Liebt man etwas, was man bei sich selber vermißt.

Das ist faszinierend zu lesen, wenngleich sich frau über ein solches Exemplar von Mann schon wundert. Daß ab Seite 36 zudem die fragmentarischen Aufzeichnungen eines Exmönches namens Ambrosius Arimond – aha, wohl ein Vorfahre von Egidius und Nektar und Ambrosia liefern doch die Bienen! - eine Rolle spielen, der 1489 in der wirklichen Welt ein Mädel kennen- und lieben lernt, die Klostermauern verläßt und nun in den Fragmenten über sein Leben räsoniert, das wirkt mir nicht nur zu gewollt, sondern läßt vermissen, an wen sich Ambrosius wendet, in welcher Form – Fragment sagt ja noch nichts aus über Brief, Tagebuch, Erlebniserzählung, Bericht? - und vor allem in welcher Sprache und Schrift.

Damals schrieben Mönche Latein, und Ambrosius? Wir lesen es in einem etwas altertümlichen Deutsch, das natürlich nichts gemein hat mit der damals aufgeschriebenen gesprochenen Sprache Deutsch. Braucht Norbert Scheuer ihn als Vorfahre wegen der Bienen, denen dieser Ambrosius diente wie nun sein Nachfahre Egidius, übrigens auch eher ein Klostername denn deutscher Vorname, wenngleich wir nicht wissen, wie die Kerle in Kall genannt werde. Nun gut.

Wir wundern uns auch ein wenig, daß Egidius in seinem Vorleben als Hauslehrer in Ägypten dort Arabisch lernt. Zwar ist es immer schön, über ägyptische Monumente zu lesen, aber das Ägyptisch, das heute dort gesprochen wird, ist zwar ein arabischer Dialekt, aber für die Ägypter ihre eigene Sprache, eben Ägyptisch. Das Volk legt auf diese Bezeichnung Wert, auch wenn die Differenz nicht so vehement wie im Iran ausfällt, wo Farsi gesprochen wird, eine indogermanische Sprache, völlig unabhängig vom Hocharabisch, in dem der Koran verfaßt ist, eine gemeinsame kulturelle Klammer für alle Muslime.

Aber das sind Petitessen in einem Werk, das wie in einem Guß dasteht, ein eigenes Klima erzeugt, eine eigene Handschrift zeigt und für sich von der Normalität eines Unnormalen erzählt. Ein Mann eben. Eben.

Foto:
Norbert Scheuer auf der Finalistenveranstaltung in Frankfurt am 29.9.
© Redaktion

Info:
Norbert Scheuer, Winterbienen, C.H. Beck, 2019