Bildschirmfoto 2019 10 25 um 00.14.31Nachtrag Buchmesse: Diogenes Gesprächsrunde auf der Agora, Teil 1/2

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Am Buchmessendonnerstag gab‘s im Frankfurt Pavilion, dem Rund, das zur Buchmesse als feste Einrichtung neben dem Lesezelt auf der Agora steht, dem Platz zwischen dem Forum, wo der Ehrengast residiert und ausstellt, den Hallen 3 und 4 und im Rücken die 5 und 6 wieder die Buch-Autoren-Gespräche, hier von Diogenes, die von Shelly Kupferberg moderiert wurden, die unsereiner von ihrer Opera-Lounge an der Deutschen Oper Berlin kennt.

Bildschirmfoto 2019 10 25 um 00.13.26Solche Gesprächsrunden sind ja gar nicht einfach lebendig und informativ zu halten, sollen doch Personen, die die Bücher noch nicht gelesen haben, eventuell, aber nicht zwangsläufig deren Autoren kennen, nach dem Gespräch wissen, worum es im Roman, im Buch geht, einen Eindruck von der sprachlichen Gestaltung erhalten und auch noch die Persönlichkeit des Schriftstellers erlebt haben. Vorneweg gab die Cheflektorin von Diogenes, dem in Zürich beheimateten Verlag, Ursula Bergenthal eine Einführung in Verlagsgeschäfte, die wir meist aus US-Filmen wie Howl oder  Kill Your Darlings  (Jack Kerouac, Allen Ginsberg und William S. Burroughs) kennen, nämlich die Angst der Schreibenden keine Veröffentlichsmöglichkeit zu finden und die Angst der Verlage, ihren Einsatz für die Falschen zu wagen und dabei das eine Genie, das absolute Genie übersehen zu haben. Wie es einem kleinen, aber profunden Frankfurter Verlag gegangen war, als sie Andrzej Szczypiorskis Manuskript : Die schöne Frau Seidenmann ablehnten, was dann bei Diogenes ein großer literarischer wie Verkaufserfolg wurde.

Wer entscheidet also bei Diogenes, aus welchem Manuskript ein Buch wird. Ursula Bergenthal erläuterte wie es im Haus geht. Tatsächlich wird das nicht im einzelbesetzten Kämmerlein entschieden, sondern bezieht sehr viele Personen mit ein, die alle ihre Meinung zum besagten Roman äußern. Das Publikum solle sich das so vorstellen wie beim Literarischen Quartett oder in der Jury des Deutschen Buchpreises, wo nicht nur über ein Buch Meinungen ausgetauscht werden, sondern regelrecht gekämpft, ja gestritten werde, nämlich über die Qualität und auch über die Verkaufsmöglichkeiten des Manuskripts. „. Letzten Endes sei es die Aufgabe der Talentsucher, Autoren zu „ertrüffeln“. Ein echt Schweizer Lebensmittel greife auch Verleger Philipp Keel auf, wenn er von Diogenesautoren den Test anwende, der sonst für Schweizer Käse gelte: an allen Stellen in den Text hineingebohrt, muß überall gut sein.

Später wurden dazu Fragen gestellt, nämlich, ob es Schwerpunkte der einzelnen Saisons gebe. Nein, ist die Antwort, denn die Schwerpunkte sind die Autoren, die, wenn sie sozusagen Stammautoren sind, auch in der Regel mit jedem Buch veröffentlicht werden. Beispiele dafür wären Paulo Coelho, Tomi Ungerer, Donna Leon, Bernhard Schlink, Ingrid Noll, Martin Suter u.a.

Das Verlagsprogramm müsse in jedem Halbjahr rund werden, harmonisch zusammenpassen, was eben nicht heiße, daß alles gleich sei, sondern in der Verschiedenheit eine Einheit fände.

Bildschirmfoto 2019 10 25 um 00.14.12Und dann führte im ersten Durchgang die Moderatorin das Gespräch mit Simone Lappert, DER SPRUNG, und Thomas Meyer mit WOLKENBRUCHS WAGHALSIGES STELLDICHEIN MIT DER SPIONIN, das gleich mit dem berühmten Bonmot begann, das Doris Dörrie erneut bekräftigt hatte, daß man im Grunde immer über sich selber schreibe. „Ich fürchte: Ja“, äußerte Meyer, und es wurde der verstorbene Urs Widmer, ebenfalls Diogenes Autor, zitiert, der davon sprach, daß nichts herauskomme, was nicht hineingefügt, hineingekommen sei.

Simone Lappert stellt anschließend ihren Roman DER SPRUNG vor, der auf Anhieb auf die Liste des Schweizer Buchpreises sprang, bzw. von der Jury hingehievt wurde! Dieser Buchpreis wird am 10. November in Basel verliehen. Mit ihr auf der finalen Liste übrigens drei andere Autorinnen (Sibylle Berg, Tabea Steiner, Ivna Žic) und ein Autor, Alain Claude Sulzer, was deshalb erwähnenswert ist, weil in den letzten Jahren immer männliche Autoren den Preis errangen.

Simone Lappert kommt gleich zur Sache und liest, wie ihr Roman beginnt: „Bevor sie springt, spürt sie das kühle Metall der Dachkante unter den Füßen. Eigentlich springt sie nicht, sie macht einen Schritt ins Leere, setzt den Fuß in die Luft und läßt sich fallen, mit offenen Augen läßt sie sich fallen, will alles sehen auf dem Weg nach unten, alles sehen und hören und fühlen und riechen, denn sie wird nur einmal so fallen, und sie will, daß es sich lohnt; und nun fällt sie, fällt schnell, Adrenalin flutet...“, woran sich die Frage anschloß, wie sie zu so einem dramatischen Anfang kam, der ja oft der Endpunkt eines Romans ist. Es geht um Manu, eine junge Frau in Gärtnerkleidung, die tatsächlich da oben auf dem Dach für einen Tag und eine Nacht die Welt verändert.

Tatsächlich folgt ihr Roman einer wahren Begebenheit, aus der sie ihre Geschichte konzipierte und auch solchen Aufforderungen wie „Dann spring doch.“, und was Menschen noch an Ungeheuerlichkeiten ihren Mitmenschen wünschen. Ihr Thema ist die Empathie, bzw. die fehlende, die auch den Menschen zusteht, die nicht Nullachtfünfzehn leben, sondern für andere aus der Reihe tanzen. Sie mußte einfach darüber schreiben, weil dieser Sprung oder der beabsichtigte Sprung das Leben von zehn anderen Personen zum Tanzen bringt. Und genau dies ist ihr Thema, wie das Verhalten eines einzigen Menschen das Leben vieler nicht nur beeinflußt, sondern aus dem Tritt bringt. Sie hatte das Ereignis schon einmal in einer Kurzgeschichte 2012 festgehalten.

Thomas Meyer erheiterte erst einmal damit, daß es mit dem Schreiben des Buches wie mit dem Verlieben sei. Es passiere, es kommen die Ideen: „Wieso ich Wolkenbruch beschreiben wollte, weiß nur der!“ Motti Wolkenbruch bricht mit seiner jüdischen Familie und findet bei Gleichgesinnten – Den verlorenen Söhnen Israels - seine neue Heimat. Was heißt schon Gleichgesinnten, denn auf einmal stellt sich heraus, daß diese durchaus etwas ganz anderes vorhaben, als ihm bisher vorschwebte. Nichts anderes als die Weltherrschaft. Haha, endlich wird die ansonsten immer fabulierte jüdische Weltverschwörung Wirklichkeit. Aber es bleibt bei der Idee, die Taten sind folgenlos, bis nun Motti sich dieser Sache annimmt und das Vorhaben ungeahnte Fahrt aufnimmt, wobei die im Titel benannte Spionin Hulda, die natürlich wie es Spioninnen so an sich haben, von attraktiver Gestalt ist, sich ihm in den Weg stellt, denn da ist eine Nazigruppe, die dasselbe vorhat...

Da glaubt man, ein Autor namens Thomas Meyer käme so eher durchschnittlich daher. Pustekuchen. Schweizer und Insider kennen den Vorgänger „Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse“, was unter dem Titel Wolkenbruch im letzten Jahr zudem ein großer Kinoerfolg in der Schweiz wurde. Im Gespräch ging es dann ebenfalls darum, was im Kopf vor dem Schreiben vorgeplant und was beim Schreiben einfach passiere. Letzteres gilt für Simone Lappert, die beim Schreiben ihre Figuren so richtig kennenlernt: „Ich laß mir den Weg vorgeben, von den Figuren.“

So mußte sie erst mit der Figur aufs Dach steifen, um zu wissen, warum sich Manu hinunterstürzen will. Wenn wir eine Erklärung bekommen, sind wir beruhigt, schlußfolgerte sie und genau dem habe sie sich verweigern wollen.

Meyer hingegen läßt seine Figur die Situation ausloten. Keine Familie mehr, kein Umfeld, niemand. Das ist in der orthodoxen Welt ein Wagnis, besser, ein Wagnis, wenn einer rausfällt aus dieser Welt und in der nichtorthodoxen zurechtkommen muß. Hauptsächlich sind das Probleme in Israel und den USA. Aber auch in Zürich. Er geht mit der Blase der angeblichen Herrschaft eines angeblichen Weltjudentums – wir kennen den Roman ja noch nicht und wissen darum nicht, wie offensiv und lächerlich machend Thomas Meyer mit der gefälschten Schund- und Schandschrift, dem antisemitischen Pamphlet Die Protokolle der Weisen von Zion umgeht, lachen uns aber schon beim Verschwörungsdenken schief. Dabei werden ja schlimme Dinge angesprochen, wie man die Welt manipulieren kann beispielsweise. Und wie das war, ob Harvey Weinstein dann den pleite gegangenen Verein finanziert oder die veganen Orangen – lesen!, kann man da nur sagen.

Wir werden es tun, was man dann hier nachlesen kann.

FORTSETZUNG FOLGT

Fotos:
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Info:
Simone Lappert, Der Sprung, Roman, Diogenes 2019
Thomas Meyer, Wolkenbruchs waghalsiges Stelldichein mit der Spionin, Roman, Diogenes 2019