c hitze2DIE KRIMIBESTENLISTE IM NOVEMBER, Teil 1

Elisabeth Römer

Hamburg (Weltexpresso) – Zugegeben, die Liste gibt es schon seit zwei Wochen, aber es war Unerhörtes passiert. Statt wie sonst, so etwa die Hälfte der letztmonatlichen Liste durch neue Krimis zu ersetzen, hat sich die Jury aufgeschwungen und hat sieben (in Ziffern 7) neue Krimis auf die Liste befördert, die ja für die wie uns, die diese Auswahl kommentieren, vor gewaltige Probleme setzt,
alle Bücher zu besorgen, 
alle zu lesen,
bis wir über alle schreiben können. Jetzt ist es soweit!!

Zuerst aber die allergrößte Frechheit, aber eine gern gesehene! Denn HITZE von Garry Disher , herausgegeben vom kleinen feinen KrimiVerlag Pulp Master, bleibt auf Platz 1 . Gefühlt steht er da schon ein Jahr und wir wollen unten den Link zu den bisherigen Besprechungen angeben, denn wir fanden ihn auch richtig, richtig gut und wissen trotz der vielen vielen neuen Kriminalromane seit seinem Erscheinen auf der Liste immer noch, um was es geht und wie kunstvoll der Plot geschmiedet ist mit einem literarischen Personal, das einen einfach interessiert.

Haha, das stimmt zwar, aber man fällt mit dem gefühlten Gefühl eben auch leicht herein, denn der Zufall wollte es, daß Garry Disher mit einem im Schweizer Unionsverlag erschienen Krimi KALTES LICHT seit August die Krimibestenliste anführte und dann im September erst einmal zusätzlich Garry Dishers obiger Krimi HITZE auf Platz 8 dazukam. Das ist wirklich ungewöhnlich und wird erst durch die zwei Verlage verständlich. Und als nach dreimaligem AufderListeStehen KALTES LICHT abdanken mußte, war HITZE zur Stelle und führte den Spitzenplatz für Garry Disher fort. Das ist schon ein Unikum.

Beides auseinanderzuhalten, ist einfach, weil es völlig verschiedene Sachverhalte, vor allem aber unterschiedliche Personen sind. Mit HITZE gibt es den achten Roman über Wyatt. Das ist nun ein ganz Spezieller. Ja, schon, ein Gangster, aber kein gewöhnlicher, sondern einer, der so nebenbei auch für Gerechtigkeit auf der Welt sorgt. Man kann bei allen Aufregungen sicher sein, daß man zu den richtigen hält, daß am Schluß die Bösen bestraft werden und die Guten zumindest nicht gefaßt und weiterleben können. Das ist aber nicht sozialromantisch verkitscht, sondern spannend mit allen Emotionen, die vor allem für Deutsche eintreten, wenn es um ein Gemälde eines flämischen Meisters geht, das einst im Nazi-Deutschland jüdischen Deutschen billig abgepreßt wurde undsoweiterundsofort. Ausführlicher in den bisherigen Besprechungen.

Also überkommen auf Platz 1 Garry Disher, dann, bitte schauen Sie auf die Liste, gibt es gleich vier neue Krimis, ehe mit Dror Mishanis DREI vom Diogenes Verlag erst der zweite Kriminalroman den Monatswechsel überdauert hat. Die Neuen sind auf Platz 2 Franz Dobler mit EIN SCHUSS INS BLAUE aus dem Verlag Tropen, auf Nummer 3 Paulus Hochgatterer, bekannter österreichischer Autor, mit FLIEGE FORT, FLIEGE FORT, vom Wiener Deuticke Verlag. Er ist weniger für Krimis bekannt, aber da er im Brotberuf die Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität im niederösterreichischen Tulln leitet, darf man schon schlußfolgern, daß sein literarischer Held, Psychiater Raffael Horn, etwas mit seiner Tätigkeit zu tun hat. Ob er tatsächlich sein alter Ego ist, können wir noch nicht beurteilen, wollen aber auch die bisherigen zwei Vorgängerbände miteinbeziehen. Sicher wird sich hier die Frage stellen, wo ein Kriminalroman anfängt, bzw. aufhört. Aber nachdem die Psychiatrie nicht erst heute als Aufenthaltsort für Unangepaßte benutzt wird, also entsprechend Renitente dorthin abgeschoben werden, Fall Gustl Mollath läßt grüßen, sind wir da noch geneigter, gleich von gesellschaftlichen und individuellen Verbrechen auszugehen. Daß der jetzt übrigens mit 600 000 Euro Schadensersatz für die sechs Jahre Haft in der Psychiatrie ‚belohnt‘ wird, kann ihm die Jahre der Scham und Erniedrigung nicht zurückgeben, soll uns aber wachhalten, überall aufzupassen, wenn angebliche Experten Urteile fällen.

Auf Platz 4 kommt dann – ersehnt! - FEDERBALL von John le Carré, Ullstein Verlag. Und wir sagten uns, daß wir erst mit unserem Lieblingsautor beginnen wollen, ehe die Liste abgearbeitet wird. Nur auf Platz 4? Da kann es sich nur darum handeln, daß noch nicht alle Jurymitglieder ihn lesen konnten. Wir auf jeden Fall nicht. Denn wir hatten ihn schon längst vor seinem Auftauchen auf der Liste auf unserem Schirm, fragten die Jury zudem, warum er nicht auf der Oktoberliste stehe, hielten das für einen Skandal, hörten dann aber, daß seine Auslieferung erst im Oktober erfolge, weshalb er frühestens auf die Novemberliste könne, wie geschehen. Und dann waren wir froh drum. Denn unser Exemplar kam und kam nicht. Mehrfache Nachfragen. Kurzfristige Flaute und dann, als FEDERBALL in unseren Händen ruhte, wußten wir, warum. Es steht nämlich schon 2. Auflage in dem doch neuesten Roman von John le Carré, was kein Wunder ist, denn er kann es einfach, das Milieu der Spionage als so zwielichtig wie anheimelnd darzustellen. Mehr bald.

Dann folgt auf Platz 6 ebenfalls eine Neuheit einer längst bekannten und immer für einen Krimibestenplatz guten deutschen Autorin: Simone Buchholz, HOTEL CARTAGENA, bei Suhrkamp. Ihre Staatsanwältin Chastity Riley ist sicher die ungewöhnlichste, nicht nur Hamburger, sondern Deutschlands Staatsanwältinnen, wobei wir zugeben, daß wir die sowieso nur aus den Tatort-Folgen kennen oder gerade mal aus einer Pressekonferenz, die übertragen wird. Da dürfen nämlich oft Frauen sprechen, das ist mir schon aufgefallen. Ob sie aber auch in der Behörde das Sagen haben?.

Danach dann der dritte der vom Oktober Überlebenden: Adam Brookes DER CHINESISCHE VERRÄTER, ebenfalls Suhrkamp Verlag, die sich ja seit Jahren erstaunlich zu einem auch soliden Krimiverlag gemausert haben. Gefolgt auf den letzten drei Plätzen von wiederum neuen Büchern, auf Platz 8 ein weiterer deutscher Krimi: Norbert Horst, Bitterer Zorn, Platz 8 BLUTWUNDER von Lisa McInerney, erschienen bei Liebeskind und auf dem 10. Rang endlich wieder eine französische Autorin, nein, nicht Fred Vargas, von der schon sooo lange kein neuer Roman folgte, sondern von Hannelore Cayre DIE ALTE, bei dem Verlag, der wohl die interessantestes Ermittlerinnen und Autorinnen in Masse ans deutsche Licht bringt: Ariadne im Argument Verlag. Und jetzt die Liste.

FORTSETZUNG FOLGT



Die KrimiBestenliste November
 

1 (1)
Garry Disher: Hitze
Aus dem Englischen von Ango Laina und Angelika Müller.
Pulp Master, 278 Seiten, 14,80 Euro
Queensland. Wyatt soll ein Gemälde stehlen. Nazi-Raubkunst, die wieder aufgetaucht ist. Ob die Story stimmt? Wyatt ist nicht der einzige Dieb an der Goldküste. Und hat zudem abgehängte Komplizen auf den Fersen. Da passt es prima, dass seine Auftraggeberin Ex-Soldatin ist. Cool, cooler, Wyatt.


2 (-)
Franz Dobler: Ein Schuss in Blaue
Tropen, 288 Seiten, 20 Euro
München. Ein Islamist soll in der Stadt sein, auf ihn sind 2 Millionen Kopfgeld ausgesetzt. Ein Job für Robert Fallner und SIS. Doch: Informationsnebel, rivalisierende Dienste. Zeugen verschwinden, Schüsse fallen. Realität als Tiefschlag. Dobler dekultiviert den Mist aus Vorurteil und Hasstiraden.


3 (-)
Paulus Hochgatterer: Fliege fort, fliege fort
Deuticke, 286 Seiten, 23 Euro
„Furth am See“. Mehr Provinzstadtanalyse als Kriminalroman: Opfer von Kinderheimgegewalt nehmen sich das Recht zur Vergeltung, kommentiert und observiert von Kripomann Kovacs und Psychiater Horn. Rassistenautos brennen, Kinder entführt. Offen in alle menschlichen Richtungen, Lob der Erzählfreiheit.


4 (-)
John le Carré: Federball
Aus dem Englischen von Peter Torberg.
Ullstein, 352 Seiten, 24 Euro
London. Nat und Ed, alternder Spion und radikal junger Remainer, ein wenig Vater und Sohn, bei 15 Badmintonspielen. MI6 und Bruderdienst CIA in Zeiten von Brexit und Trump: wenig Verstand, politisch konfus, dreist korrupt. Le Carré mit 88: liebenswürdig, klar, elegant. Verficht Jugendtraum Europa.


5 (5)
Dror Mishani: Drei
Aus dem Hebräischen von Markus Lemke.
Diogenes, 336 Seiten, 24 Euro
Tel Aviv, Bukarest. Drei Frauen – immer derselbe Mann. Über ein Dating-Portal für Geschiedene kommen Orna und Gil zusammen. Bis sie mitkriegt, dass er sie getäuscht hat. Emilia und Ella queren auch seinen Weg. Der Rest ist Kritikers Schweigen und Bewunderung. Vivisektion der Alltagsbösartigkeit.


6 (-)
Simone Buchholz: Hotel Cartagena
Suhrkamp, 230 Seiten, 15,95 Euro
Hamburg, Cartagena. Henning ist der Seemann, der nie wieder nach Hamburg zurückkommen will. Sein Glück findet er im kolumbianischen Cartagena, sein Unglück auch, das kommt aus der Hansestadt. Chastity und Freunde werden Geiseln eines großen Racheakts. „Überall schwarze Löcher.“ Blow out.


7 (7)
Adam Brookes: Der chinesische Verräter
Aus dem Englischen von Andreas Heckmann.
Suhrkamp, 402 Seiten, 15,95 Euro
Peking, London. Nach zwanzig Jahren gelingt Peanut die Flucht aus dem Arbeitslager. MI6 soll ihn rausholen, als Gegenleistung für Raketengeheimnisse. Korrespondent Philip Mangan wird widerwillig seine Kontaktperson. Die Gier der Geheimdienste bringt sie beinahe um. Pikanter Politthriller, China heute.


8 (-)
Norbert Horst: Bitterer Zorn
Goldmann, 320 Seiten; 13 Euro
Dortmund. Im Krieg zweier Clans wird ein Mädchen entführt. Ein junger Einbrecher ist auch verschwunden. Steiger behält im Dauerstress klaren Kopf und hat Ideen. Das Gesetz (des Handelns) halten andere in der Hand. Straßenrealistisch, seelengenau: Bei Norbert Horst wird Polizeialltag Literatur.


9 (-)
Lisa McInerney: Blutwunder
Aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence.
Liebeskind, 334 Seiten, 22 Euro
Cork. Nach „Glorreiche Ketzereien“ die Gangsterballade. Ryan Cusack möchte alles: Sauber bleiben, rumvögeln, Karine heiraten, leichtes Geld verdienen. Leider schert das die Gangsterbosse einen Dreck. Und so muss der Junge ohne Mutter sich von Frauen das Leben retten lassen. So ein Pech aber auch.


10 (-)
Hannelore Cayre: Die Alte
Aus dem Französischen von Iris Konopik.
Ariadne im Argument-Verlag, 203 Seiten, 18 Euro
Paris. Madame Portefeux übersetzt seit 25 Jahren Arabisch für die Polizei. Ihr Verdienst geht für das Altenheim der Mutter drauf. Als sie auf einen Berg Haschisch stößt, greift sie zu. Alle leben vom Drogenhandel – warum nicht sie? Nieder mit der Heuchelei, die Frechheit an die Macht!

Rang (Vor-monat)


Foto:
© Cover