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Kategorie: Bücher
c die alteBildschirmfoto 2019 11 22 um 21.48.18DIE KRIMIBESTENLISTE IM NOVEMBER, Teil 4

Elisabeth Römer

Hamburg (Weltexpresso) – Na, so geht es ja nicht, Äpfel mit Birnen vergleichen, aber Frauen sind es auf jeden Fall, die in den beiden Krimis HOTEL CARTAGENA von Simone Buchholz, erschienen bei Suhrkamp, neu auf Platz 6 und DIE ALTE von Hannelore Cayre von Ariadne im Argument Verlag, ebenfalls ganz frisch auf Platz 10 gerutscht, die sicher im Dezember die Plätze hochklettert, so frech und ungewöhnlich kommt sie daher, diese Patience Portefeux.

 
Da glaubt man, man kenne schon so viel, richtig, aber so eine war noch nicht dabei, diese erst einmal graue Maus, die sich als rosa Endfünfzigerin entpuppt. Um eine Verpuppung, besser um das Aussteigen aus dem bisherigen lahmen, ja geradezu armseligen Leben, ein Aufbruch in eine lohnenswerte Zukunft ist selten so dynamisch aus eigener Kraft geschehen, wenngleich, wenngleich, da gibt es schon einen Pferdefuß, den die Leserin aber lieber klein hält, denn diese Patience Portefeux entwickelt sich zur Kriminellen, aber nicht zur Kleinkriminellen, sondern mit Zustimmung der Leser zur Kriminellen in großem Stil.

Denn sie schlägt nur zurück, diese Geduldige, die nun die Geduld verloren hat. Von vorne. Sie ist eine von den Unscheinbaren, gefesselt durch die alte, demente Mutter, die als Wiener Jüdin die Shoah überlebte, im Altersheim Jiddisch spricht und die ungeliebte Tochter Patience in Atem hält. Deren beide Töchter kommen kaum vor, erben dann aber von Patience ein Vermögen, das dem entspricht, was der Vater einst besaß und verschleuderte. Das war noch in den alten guten Zeiten, die zwar immer alt, aber gut nur für die Kolonialherren waren, hier die Franzosen in Tunesien, die bei der Unabhängigkeit zurück siedelten nach Frankreich, wo sie nur noch schlichte Franzosen waren. Im Falle des Vaters der Patience war das Verschleudern des Vermögens verbunden mit seinem Selbstmord. Und was übrige war, gab dann die Mutter noch aus, während Patience für alles zuständig ist, der Mann ist tot, der Freund auf Distanz, die Töchter im eigenen Leben.

Ihr Brot verdient sie seit 25 Jahren mit Übersetzen, denn wenigstens das Arabische ist ihr geblieben aus den alten Zeiten. Und nun kommt‘s. Ihre Arbeitsstelle sind die Staatsanwaltschaft und alle ermittelnden Behörden, die die Telefongespräche der Verdächtigen abhören, die sie nun übersetzen muß. Das ist für den Leser erstmal spannend, aber für Patience wird das die Chance schlechthin. Wie das geschieht, wollen wir nicht verraten, aber das ist so sinnig geplant und ausgeführt, daß es nur so eine Freude ist, die Alte bei ihren Vorhaben zu begleiten.

Die Autorin Hannelore Cayre, Jahrgang 1963, war uns unbekannt. Sie ist Strafverteidigerin in Paris, hat schon fünf Romane verfaßt, schauspielert, schreibt Filmskripte und verfilmt sie. Also ein Allroundtalent, aber die Juristerei ist inzwischen der Schwerpunkt, ohne den dieser Roman nicht denkbar ist, denn es geht ja auch um das Entlangschrammen an der Festnahme und Anklage. Zu diesem vielgelobten und vielfach ausgezeichneten Roman hat sie ebenfalls das Drehbuch verfaßt, das gerade mit Isabelle Huppert als Patience Portefeux verfilmt wurde. Das paßt.

Und man muß unbedingt auch darauf zu sprechen kommen, welche tollen Autorinnen immer wieder bei ARIADNE im Argument Verlag zu Wort kommen!!

Die Junge vom HOTEL CARTAGENA ist gar keine ganz Junge, sondern eine Frau in den besten Jahren, die noch dazu auf der Seite des Rechts steht, die Staatsanwältin Chastity Riley, der Simone Buchholz den neunten Krimi auf den Leib schreibt. Diesmal nähern wir uns von zwei Seiten., die wundersam in einer Bar zusammenlaufen. Erst einmal ist man erschüttert, wie es manche Menschen besonders beutelt. Denn als Henning von Sankt Pauli, da wo auch die Staatsanwältin zu Hause ist, nach schrecklicher Kindheit, die bruchlos in das Erwachsenenleben überging, in den 80ern nach Kolumbien aufbricht, wendet sich dann alles zum Besseren, als er eine gute Frau findet, mit ihr ein Kind hat – und dann die Vergangenheit ihn einholt. Denn er hatte sich auf ein Drogengeschäft eingelassen, wo er recht clever die Puppen tanzen ließ und zwar nicht das Hauptgeschäft kassierte, aber gut abstaubte. Bis dann die Vergangenheit zuschlug. Das ist der eine Strang.

Der andere bleibt am Schauplatz der Hotelbar am Hamburger Hafen, wo außer der Reihe Chastity Riley mit Freunden verabredet ist, sich anfängt wohlzufühlen, als eine Truppe schwer Bewaffneter die Bar mitsamt der Gäste in Geiselhaft nimmt. Nicht mit der Riley, sagt die sich und handelt nicht immer ganz besonnen, aber dann doch erfolgreich.

Das ist ein wirklich richtig spannender Krimi, der zudem so viel von der alten Bundesrepublik spüren läßt und das Sankt Pauli von damals wiederauferstehen läßt.

FORTSETZUNG FOLGT


Die KrimiBestenliste November

1 (1)
Garry Disher: Hitze
Aus dem Englischen von Ango Laina und Angelika Müller.
Pulp Master, 278 Seiten, 14,80 Euro
Queensland. Wyatt soll ein Gemälde stehlen. Nazi-Raubkunst, die wieder aufgetaucht ist. Ob die Story stimmt? Wyatt ist nicht der einzige Dieb an der Goldküste. Und hat zudem abgehängte Komplizen auf den Fersen. Da passt es prima, dass seine Auftraggeberin Ex-Soldatin ist. Cool, cooler, Wyatt.

2 (-)
Franz Dobler: Ein Schuss in Blaue
Tropen, 288 Seiten, 20 Euro
München. Ein Islamist soll in der Stadt sein, auf ihn sind 2 Millionen Kopfgeld ausgesetzt. Ein Job für Robert Fallner und SIS. Doch: Informationsnebel, rivalisierende Dienste. Zeugen verschwinden, Schüsse fallen. Realität als Tiefschlag. Dobler dekultiviert den Mist aus Vorurteil und Hasstiraden.

3 (-)
Paulus Hochgatterer: Fliege fort, fliege fort
Deuticke, 286 Seiten, 23 Euro
„Furth am See“. Mehr Provinzstadtanalyse als Kriminalroman: Opfer von Kinderheimgegewalt nehmen sich das Recht zur Vergeltung, kommentiert und observiert von Kripomann Kovacs und Psychiater Horn. Rassistenautos brennen, Kinder entführt. Offen in alle menschlichen Richtungen, Lob der Erzählfreiheit.

4 (-)
John le Carré: Federball
Aus dem Englischen von Peter Torberg.
Ullstein, 352 Seiten, 24 Euro
London. Nat und Ed, alternder Spion und radikal junger Remainer, ein wenig Vater und Sohn, bei 15 Badmintonspielen. MI6 und Bruderdienst CIA in Zeiten von Brexit und Trump: wenig Verstand, politisch konfus, dreist korrupt. Le Carré mit 88: liebenswürdig, klar, elegant. Verficht Jugendtraum Europa.

5 (5)
Dror Mishani: Drei
Aus dem Hebräischen von Markus Lemke.
Diogenes, 336 Seiten, 24 Euro
Tel Aviv, Bukarest. Drei Frauen – immer derselbe Mann. Über ein Dating-Portal für Geschiedene kommen Orna und Gil zusammen. Bis sie mitkriegt, dass er sie getäuscht hat. Emilia und Ella queren auch seinen Weg. Der Rest ist Kritikers Schweigen und Bewunderung. Vivisektion der Alltagsbösartigkeit.

6 (-)
Simone Buchholz: Hotel Cartagena
Suhrkamp, 230 Seiten, 15,95 Euro
Hamburg, Cartagena. Henning ist der Seemann, der nie wieder nach Hamburg zurückkommen will. Sein Glück findet er im kolumbianischen Cartagena, sein Unglück auch, das kommt aus der Hansestadt. Chastity und Freunde werden Geiseln eines großen Racheakts. „Überall schwarze Löcher.“ Blow out.

7 (7)
Adam Brookes: Der chinesische Verräter
Aus dem Englischen von Andreas Heckmann.
Suhrkamp, 402 Seiten, 15,95 Euro
Peking, London. Nach zwanzig Jahren gelingt Peanut die Flucht aus dem Arbeitslager. MI6 soll ihn rausholen, als Gegenleistung für Raketengeheimnisse. Korrespondent Philip Mangan wird widerwillig seine Kontaktperson. Die Gier der Geheimdienste bringt sie beinahe um. Pikanter Politthriller, China heute.

8 (-)
Norbert Horst: Bitterer Zorn
Goldmann, 320 Seiten; 13 Euro
Dortmund. Im Krieg zweier Clans wird ein Mädchen entführt. Ein junger Einbrecher ist auch verschwunden. Steiger behält im Dauerstress klaren Kopf und hat Ideen. Das Gesetz (des Handelns) halten andere in der Hand. Straßenrealistisch, seelengenau: Bei Norbert Horst wird Polizeialltag Literatur.

9 (-)
Lisa McInerney: Blutwunder
Aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence.
Liebeskind, 334 Seiten, 22 Euro
Cork. Nach „Glorreiche Ketzereien“ die Gangsterballade. Ryan Cusack möchte alles: Sauber bleiben, rumvögeln, Karine heiraten, leichtes Geld verdienen. Leider schert das die Gangsterbosse einen Dreck. Und so muss der Junge ohne Mutter sich von Frauen das Leben retten lassen. So ein Pech aber auch.

10 (-)
Hannelore Cayre: Die Alte
Aus dem Französischen von Iris Konopik.
Ariadne im Argument-Verlag, 203 Seiten, 18 Euro
Paris. Madame Portefeux übersetzt seit 25 Jahren Arabisch für die Polizei. Ihr Verdienst geht für das Altenheim der Mutter drauf. Als sie auf einen Berg Haschisch stößt, greift sie zu. Alle leben vom Drogenhandel – warum nicht sie? Nieder mit der Heuchelei, die Frechheit an die Macht!

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