DSC04104 bereinigt 2019 2Sally Perel trug die Geschichte seiner Rettung vor: als jüdischer Hitlerjunge überlebte er den Holocaust unter einer unerkannten doppelten Identität, die überzeugte, Teil 1/2

Heinz Markert
 
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Mit einer wirrköpfigen Rassenlehre schlug der Nationalsozialismus sich selbst: ein Junge aus jüdischem Haus überlebte den Holocaust unter einer vorgeblich ‚arischen‘ Identität, weil das NS-System ihn als einen der Ihren integrierte.


Der Abend mit Sally Perel in der Evangelischen Akademie Frankfurt wurde unter dem Titel „Ich war Hitlerjunge Salomon“ (nach dem Buch von 1992) mit einem dezenten Anklang an Sensation vorab kommuniziert. Sein Lebensgang war tatsächlich ungewöhnlich, die Singularität diente auch als Vorlage für den Film ‚Hitlerjunge Salomon‘ (1990).


Geboren 1925, ist Sally noch immer regelmäßig auf Tour durch die Schulklassen die, wie er sagt, ihm die eigentlichen Adressaten sind. Bei ihnen kommt er gut an. Er liebt sie und sie lieben ihn. Jugend zeigt Offenheit für ein Schicksal, besonders jene, die nach der Vereinigung geboren sind. Für sie liegt der Nationalsozialismus im Dunkeln. Sally kommt regelmäßig aus Israel nach Deutschland auf Vortragsreisen. In diesem Land konnte er nach der Verbrechensherrschaft Hitlers nicht mehr leben. Ein Mädchen aus einer Klasse fragte ihn mal, ob er nach dem, was er erlebt habe, ein glücklicher Mensch sei. Er bestätigte es ihr mit einfachen Worten. So ist naheliegend, dass er sich in der israelischen Friedensbewegung für die friedliche Koexistenz mit den Palästinensern einsetzt.


Beste Fähigkeit: Erinnern
 
Die Erinnerung wachzuhalten ist ihm wesentlich, denn eine alte jüdische Weisheit besagt: das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung. Zwischendurch reflektiert er immer wieder zur Unbegreiflichkeit des Grauens, das Menschen anderen Menschen bereiten. In den Zwischenzeiten wird abgeleugnet, hierfür ist die Auschwitzlüge der Ur-Fake, denn Auschwitz ist mit nichts zu vergleichen (daher geht es schwer in einen Kopp hinein). Er meint, dass die, die vom Unbenennbaren nichts wissen wollen, dumm sind, wenn sie aber von ihm wissen, dann seien sie Verbrecher. Auschwitz war die von langer Hand organisierte Todesfabrik. Sally hält fest: es war die schlimmste Tragödie in der Geschichte der Menschheit. Eineinhalb Millionen Kinder wurden zu Asche.
 
Das wirft Fragen über Gott auf. War Gott auch in Auschwitz? Er meint, Gott war nicht in Auschwitz.- Ist er dann noch allmächtig? Am späteren Abend gibt er preis: als Jude, dem ein rabbinischer Vater gegeben war, habe er den Glauben an Gott verloren. Es sei nur Glaube. Dass jeder am Lebensende zu Gott zurückkehre weist er ab. Auschwitz, die schlimmste Tragödie - unter Vermittlung durch Gaskammern - und Gott passten nicht zusammen. Sein Motto lautet: Ich bin noch zu jung [für das Jenseits], ich habe noch Zeit [zum dozieren].

 
Jüdischer Vater und jüdische Mutter stehen dialektisch in Verbindung

Vater und Mutter spielten für ihn eine bedeutende, aber jeweils unterschiedliche Rolle. Der Vater, Rabbiner, sprach: „was auch komme, bleibe immer Jude, glaube an Gott, dann wird Dich Gott immer beschützen“. Die Mutter gab ihm den Auftrag unter dem magisch erteilten Befehl: „Du sollst leben!“. Der habe ihn gerettet. Denn er musste im kritischen Augenblick von der moralischen Ansage des Vaters abweichen, um sein Leben zu retten. Dazu Sally: Kinder seien zu jeder Zeit clever, sie vermögen es, sich abzuschirmen, haben Abwehrstrategien. Er gab uns preis, in Anbetracht der Doppelexistenz, die ihn rettete: „Ich habe verdrängt, was sich um mich abspielte“. Als Jugendlicher hat er sich die eigene Welt gegen die der Erwachsenen bewahrt. So konnte er in die Haut eines Nationalsozialisten schlüpfen, der nicht als Jude erkannt wurde. Und blieb doch dabei er selbst.
 
Zur Kindheit schrieb Janusz Korczak, der Kinderarzt und Kinderbuchautor: auch Kinder haben Rechte und ein Recht auf eine glückliche Kindheit. Er begleitete zu jener Zeit Kinder ins Vernichtungslager, das auch für ihn den Tod bedeutete. Sallys Kindheit endete nach zehn Jahren. 1935, kamen die Rassengesetze. Der Holocaust begann, im Land von Kant, Lessing und Schiller. Er wurde „von der Schule geschmissen“, als Schüler der 3. Klasse. Das ist ihm bis heute eine offene Wunde. Das Trauma setzte sich fort mir der Verschleppung aus der schönen Heimat Peine nach Lodge, ins Ghetto für polnische Juden. Am 1. September 1939 begann der Überfall auf Polen – der sog. Blitzkrieg – und damit die sechs Jahre 2. Weltkrieg mit 55 Millionen Opfern, mehr noch mit all den Russen. Sally floh mit dem Bruder nach Ostpolen. Es war ein Abschied für immer von Mutter und Vater. Das war damals noch nicht klar. Doch die Mutter schickte die Kinder aus dem Haus, aus Mutterliebe.

Fortsetzung folgt

 
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© Heinz Markert

Info:
„Ich war Hitlerjunge Salomon“, Ein Abend mit Sally Perel, Montag, 16. Dezember 2019, 19.00 Uhr, Evangelische Akademie Frankfurt, Römerberg 9, 60311 Frankfurt

Buch:
‚Ich war Hitlerjunge Salomon‘, Sally Perel, Nicolaische Verlagsbuchhandlung Beuermann GmbH und autorenagentur lansk mehr, beide Berlin, 1992, 7. Auflage 2013, ISBN 978-3-87584-424-

Die Teile der Serie in WELTEXPRESSO

1. Von der Selbstentblödung des Nationalsozialismus in Rassefragen