Drucken
Kategorie: Bücher
c nicciSerie: DIE KRIMIBESTENLISTE im Februar 2020  Teil 2

Elisabeth Römer

Hamburg (Weltexpresso) – Es kommt ja immer doller. Hatten wir für den Vormonat triumphiert, daß ganze vier weibliche Autorinnen im Januar die Krimibestenliste anführten, so sind es diesmal die ersten Drei, aber insgesamt sind tatsächlich sieben Schriftstellerinnen auf den ersten zehn Plätzen dabei! Nein, so etwas hat es noch nie gegeben. Aber, sicher, das wird nicht das letzte Mal sein. Daß nicht drei Männer die Liste komplettieren, sondern vier zu den sieben Frauen hinzukommen, um die zehn Plätze zu besetzen, hat einen einfachen Grund, den die Liebhaber von Nicci French natürlich längst kennen.


Nicci French, auf Platz 3 mit WAS SIE NICHT WUSSTE, erschienen bei C.Bertelsmann, ist nämlich das Ehepaar Nicci Gerard (*1958) und Sean French (*1959), das  seit 1997 unter dem gemeinsamen Pseudonym Nicci French psychologische Kriminalromane schreibt. Wir haben die Serie der Wochentage journalistisch begleitet, die nach acht Romanen, in deren Mittelpunkt die Londoner Psychotherapeutin Frieda Klein steht, zu Ende ist. Es begann mit dem BLAUER MONTAG 2011, Jahr für Jahr ein neuer Tag, endete mit BLUTROTER  SONNTAG, was aber doch nicht der letzte Krimi blieb, sondern dem ein DER ACHTE TAG im Jahr 2018 folgte. Mehr als elf Romane hatten sie schon seit 1997 zusätzlich geschrieben. Also ein erfolgreiches Team, das mit der Frieda-Klein-Serie hohe Auflagen erreichte. An ihnen kann man ganz gut die Systematik der Krimibestenliste erkennen. Denn so lange ich mich erinnern kann, kam diese erfolgreiche Serie darin nicht vor, obwohl oder vielleicht weil diese Bücher solche Bestseller waren. Auch der neue, also auch außerhalb der abgeschlossenen Wochentagsserie spielende Kriminalroman hat sofort den Aufkleber: SPIEGEL  Bestseller-Autorin!

Wir hatten ihn gleich gelesen, aber nicht erwartet, daß WAS SIE NICHT WUSSTE auf die Krimibestenliste kommt.  Sind aber einverstanden. Wie das Ehepaar ihre Romane schreibt, werden wir ein andermal besprechen. Dann nämlich, wenn der Roman das nächste Mal wieder/noch draufsteht. Es ist gar nicht so leicht, die Geschichte von der Art des Lesens zu trennen. Denn Thrillerautoren bauen die Spannung als durchlaufendes Element ein. Kein Wunder, wenn es so losgeht, daß eine gebeutelte Frau - also eine mit Mann, der sich als Illustrator als echter Künstler fühlt , aber nichts verkauft und für andere Arbeit zu gut ist, auch nicht außer Haus kann, einer muß sich um die Kinder kümmern...und vom Leben doch anderes erwartet, von ihrem Chef umschmeichelt eine Affär mit ihm hat und ihn dann bei einem Stelldichein tot vorfindet. So geht es Neve Connolly. 

Das war die Kurzfassung. Neve ist eine clevere Frau, inzwischen Mitte vierzig, auch sie hat künsterlisches Potential als Grafikdesignerin und so arg sind die finanziellen Verhältnisse nicht, denn immerhin leben sie im eigenen Haus in London, was für dort normal, für uns sensationell ist. Aber die derzeitige Lebenssituation ist mehr als öde die älteste Tochter macht ihr und ihrem Mann ein Problem nach dem anderen, hungern, Drogen, mal liebt sie das Leben, mal ist sie lebensmüde und aus der Beziehung mit ihrem Mann ist die Luft raus, Alltag, Gewohnheiten, Pflichten, dann wird auch noch ihre Firma von einer anderen geschluckt, fusioniert nennt man das, aber gewissermaßen aus Rache an allem wird ihre neuer, natürlich auf dem Lande glücklich verheirateter Chef ihr Liebhaber. 

Und so fängt der Roman mit ihrem Alltag an, wie sie die Schäbigkeit ihres Zuhauses im Morgenlicht kritisch mustert, wie sie mit falscher Munterkeit ihren Sohn zum Frühstück begrüßt, dasselbe wie jeden Tag, immer eine Spur munterer, als ihr zumute ist. Wie es eben Mütter und Frauen allegemein hinbekommen, von deren Lebenskraft Familien profitieren. Das Ganze kommt erst einmal so alltäglich, aber total stimmig daher. Vor allem, weil im inneren Monolog die ganzen Bedenken und Reflexionen von Neve geäußert werden. Doch, das ist wirklich richtig gut gemacht. Eben auch damit, daß sie weiß, so kann sie nicht weitermachen.

Aber, da ist alles längst passiert. Also hat sie zu diesen Gedanken den besten Grund. Nur weiß sie das noch icht. Denn, als sie an ihrem freien Vormittag ihren Geliebten in seiner Londoner Wohnung außer der Reihe besuchen will, weiß sie, wie sie den Code eingeben muß und steht drinnen. Aber als sie ihn im Blut liegen sieht, erschrickt sie natürlih, hat abfer ür Gefühle keine Zeit und fällt spontan eine Entscheidung, die verheerende Konsequenzen hat: sie fängt an, die ganze Wohnung zu säubern, von ihr zu säubern, von ihren Fingerabdrücken, dem Blut und dann wäscht sie auch noch den Hammer ab, mit dem er niedergeschlagen und ermordet wurde. Was tun mit dem Hammer, das wird sie sich noch oft fragen, der Hammer wird der running gag im ganzen Krimi. 

Das Geschehen entwickelt sich in irre Richtung und sie merkt bald, daß mit ihrer Tochter noch mehr nicht stimmt, als die ganze Zeit. Gleichzeitig ist sie für die ganze Welt diejenige, die alle Probleme der anderen löst, einfach eine patente Frau. Das merkt auch der Detective Inspector Hitching, der sie sich als Vertrauensperson aussucht, aber auch ein wenig Verdacht schöpft. Wenn der wüßte...

Und dann nimmt der Krimi eine völlig überraschende Entwicklung mit der Neve, die mit dem Mord wirklich nichts zu tun hat, nie und nimmer gerechnet hätte. Das ist alles spannend erzählt, aber man fühlt sich am Schluß, wenn auf einmal der Mörder überführt wird, schon veralbert, weil das Ende nicht dem Aufwand und auch der präzisen Beschreibung des Vorherigen entspricht. 

Was einem gefällt, ist gleichzeitig das, was etwas nervt. Ich habe selten von einem so realistischen Alltag einer verheirateten und berufstätigen Mutter gelesen. Nicci French traut sich, deren Alltagsleben in aller Ausführlichkeit, in allen Details, also auch mit der einhergehenden Langweiligkeit zu schildern. Aber es wird dem Leser wie auch der Mutter, Ehefrau und Geliebten etwas zu viel. 
 
Fortsetzung folgt.

 

DIE KRIMIBESTENLISTE vom FEBRUAR  2020

1(3)
Sarah Schulman
Trüb
Aus dem Englischen von Else Laudan.
Ariadne im Argument Verlag, 270 Seiten, 20 Euro

New York 2017. Suchtkranke verstehen was von Sucht. Maggie Terry nutzt ihre
zweite Chance. Als Privatermittlerin eines Anwalts quält sich die Expolizistin, nach
dem Entzug geschüttelt von Flashbacks und Versuchungen, ermittelnd zurück ins
Soziale. Vereinsamt, verraten, in einer kranken Stadt.

2(–)
Attica Locke
Heaven, My Home
Aus dem Englischen von Susanna Mende.
Polar, 322 Seiten, 22 Euro

„Hopetown“, Ost-Texas. Ein neunjähriger Bengel ist verschwunden, Blacks und
Native Americans verteidigen ihre Heimat am Lake Caddo, Trump ist gewählt.
Darren, schwarz, Texas Ranger, konstruiert Beweise gegen die „Arische
Bruderschaft“, will seinen Leuten helfen, seinen Job behalten, das Richtige tun.

3(–)
Nicci French
Was sie nicht wusste
Aus dem Englischen von Birgit Moosmüller.
C. Bertelsmann, 446 Seiten, 16 Euro

London. Neve hat mit Künstlermann ohne Job, Kindern und Beruf genug am
Hut, da kommt ihr die Affäre mit dem Chef wie die große Freiheit vor. Bis sie ihn
tot im Stelldichein findet, die Spuren von Mord und Affäre beseitigt und abhaut.
Gut gemachtes Hohelied auf die toughe Durchschnittsfrau.


4(–)
Ahmed Saadawi
Frankenstein in Bagdad
Aus dem Arabischen von Hartmut Fähndrich.
Assoziation A, 296 Seiten, 22 Euro
Bagdad 2005. Aus den versprengten Resten von Anschlagsopfern bastelt Geschichtenerzähler und Trödler Hadi den „Soundso“, ein Monster, beseelt von den
Vergeltungswünschen und Sehnsüchten einer Stadt in Angst und Verwirrung.
Anspielungsstarke Horror-Krimi-Parabel auf Verzweiflung, Angst und Gewalt.


5(2)
Melba Escobar
Die Kosmetikerin
Aus dem Spanischen von Sybille Martin.
Heyne, 320 Seiten, 9,99 Euro

Bogotá. Karen ist Spezialistin für Depilationen im „Haus der Schönheit“. Als
eine siebzehnjährige Kundin tot aufgefunden wird, gerät Karen zwischen die
Fronten: hier reiche Politiker, da die Aufklärung fordernde Mutter. Des Mordes
beschuldigt, steht die Kosmetikerin allein da. Noir unter Frauen.


6(10)
Robert E. Dunn
Dead Man’s Badge
Aus dem Englischen von Philipp Seedorf.
Luzifer, 356 Seiten, 14,95 Euro

Texas. Longview Moody, Geldkurier eines Drogenkartells, entkommt seiner
Hinrichtung und gibt hinfort als sein Bruder Paris Tindall den Polizeichef im
Grenzort „Lansdale“. Der fest in den Klauen der DEA und eines anderen Kartells
ist. Longview weiß, wie man solche Leute zurechtstößt. Rasanter Thriller.


7(5)
John le Carré
Federball
Aus dem Englischen von Peter Torberg.
Ullstein, 352 Seiten, 24 Euro

London. Nat und Ed, alternder Spion und radikal junger Remainer, ein wenig
Vater und Sohn, bei 15 Badmintonspielen. MI6 und Bruderdienst CIA in Zeiten
von Brexit und Trump: wenig Verstand, politisch konfus, dreist korrupt. Le Carré
mit 88: liebenswürdig, klar, elegant. Verficht Jugendtraum Europa.


8(1)
Hannelore Cayre
Die Alte
Aus dem Französischen von Iris Konopik.
Ariadne im Argument Verlag, 203 Seiten, 18 Euro

Paris. Madame Portefeux übersetzt seit 25 Jahren Arabisch für die Polizei. Ihr
Verdienst geht für das Altenheim der Mutter drauf. Als sie auf einen Berg
Haschisch stößt, greift sie zu. Alle leben vom Drogenhandel – warum nicht sie?
Nieder mit der Heuchelei, die Frechheit an die Macht!


9(4)
Regina Nössler
Die Putzhilfe
Konkursbuch, 402 Seiten, 12,90 Euro

Senden, Berlin-Neukölln. Klassenwechsel: Die promovierte Soziologin
Franziska lässt in der Münsterländer Provinz Mann und Haus hinter sich, taucht in
Berlin unter und verdingt sich als Putzhilfe. Raffiniertes Spiel mit Krimi- und
Sozialklischees. Ganz aus der Perspektive dreier verstörter Frauen.


10(–)
Liz Moore
Long Bright River
Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus
Timmermann. C.H. Beck, 414 Seiten, 24 Euro

Philadelphia. Kacey nimmt Drogen, Mickey ist Polizistin, im Stadtteil geht ein
Frauenmörder um. Das ist der Rahmen für den Schwesternkampf, hier die
alleinerziehende Mutter, rechtschaffen und pflichtbewusst, da die unbeherrschte
Abhängige. Drumherum Opioid-Katastrophe. Wem ist noch zu trauen?


Die Krimibestenliste, wo kann man sie lesen, wer erstellt sie, wo wird sie veröffentlicht?

WO? außerhalb von WELTEXPRESSO
Die Krimibestenliste auf Deutschlandfunk Kultur
www.deutschlandfunkkultur.de

Die Krimibestenliste am ersten Sonntag des Monats: www.faz.net
Die zehn besten Kriminalromane des Monats Februar 2020 sind allerdings nur noch über online verfügbar. In der Vergangenheit veröffentlichte die FAS, die Sonntagszeitung der FAZ, an jedem ersten Sonntag im Monat die jeweilige Liste. Leider gibt es die Liste seit 2020 nur noch im Internet. Ob die FAZ und FAS wissen, welche Einbuße sie damit bei Krimilesern erfahren?

An jedem ersten Sonntag des Monats geben 19 Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Die Krimibestenliste ist eine Kooperation der Frankfurter Allgemeinen mit Deutschlandfunk Kultur.

Die Jury: Tobias Gohlis, Sprecher der Jury | Volker Albers, „Hamburger
Abendblatt“ | Andreas Ammer, „Druckfrisch“, BR | Gunter Blank,
„Rolling Stone“ | Thekla Dannenberg, „Perlentaucher“ | Hanspeter
Eggenberger, „Tages-Anzeiger“ | Fritz Göttler, „Süddeutsche Zeitung“ |
Jutta Günther, „Radio Bremen Zwei“ | Sonja Hartl, „Zeilenkino“,
„Culturmag“, „Deutschlandfunk Kultur“ | Hannes Hintermeier, „Frankfurter
Allgemeine Zeitung“ | Peter Körte, „Frankfurter Allgemeine
Sonntagszeitung“ | Alf Mayer, „Culturmag“, „Strandgut“ | Kolja Mensing,
„Deutschlandfunk Kultur“ | Marcus Müntefering, „Der Spiegel“ | Ulrich
Noller, „Deutschlandfunk Kultur“, „Deutschlandfunk“, SWR, WDR | Frank
Rumpel, SWR | Ingeborg Sperl, „Der Standard“ | Sylvia Staude,
„Frankfurter Rundschau“ | Jochen Vogt, „NRZ“, „WAZ“

Foto:
© Cover