c putzhilfeSerie: DIE KRIMIBESTENLISTE im Februar 2020  Teil 3

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Höchste Zeit, ausführlicher auf DIE PUTZHILFE einzugehen, ein Krimi, der im Dezember auf Anhieb auf Platz 5 einstieg, im Januar auf den vierten Rang hochstieg und dieses Mal auf Platz 9 immer noch dabei ist. Mit Recht.

Starkes Buch. Das bezieht sich erst einmal auf die ungewöhnliche Protagonistin, ach was, nicht die Frau ist so ungewöhnlich, sondern ihre Handlungsweise. Das fesselt von der ersten Zeile, wo sie uns Leser mitnimmt, wenn sie heimlich mit kleinem Gepäck ihr Heim, also ihr ungeliebtes Haus in der Neubausiedlung und ihren Ehemann im Münsterland verläßt: „Aber es gab kein Zurück. Sie käme auch gar nicht mehr ins Haus. Sie hatte ihren Schlüssel dort gelassen, damit sie es sich im letzten Moment nicht anders überlegte.“ Diese erzählerische Mischung aus Handlungsschritten, Reflexionen der Handelnden über ihr Tun und allgemeine Erläuterungen, ergeben von Beginn an ein Bild von der Situation, so daß wir gleichzeitig zum einen mit der Fliehenden innerlich unterwegs sind, zum anderen ihre Flucht wie auf der Leinwand von außen verfolgen.

Ja, die Sprache ist bildmächtig und schreit schon jetzt nach einer Verfilmung. Aber zuerst müssen wir etwas anderes loswerden, das wieder einmal wie die Vorsehung wirkt. Seit ich mich gegen einen gewissen inneren Widerstand bereiterklärte, ein Buch über Gewalt an Frauen, dessen Grundlagen persönliche Erfahrungen sind, zu besprechen, kommen mir die geschlagenen mißhandelten Frauen überall entgegen: in der Zeitung fast täglich und hier heißt es auf Seite 8 gleich: „Die Hämatome auf ihren Oberarmen, blau-lila, würden sich in ein paar Tagen verändern und eine häßlich gelbe Farbe annehmen.“ Daß und wie sie von ihrem Mann geschlagen wurde, das kommt dann später. Dabei hätte auch die normale Schilderung ihres Ehealltags gereicht, daß sie hätte gehen dürfen, aber jetzt versteht man das ‚heimlich‘ besser. Nur wer ist sie?

Das behält Autorin Regina Nössler lange unter Verschluß, wir bemerken aber, daß sie einen Topos aus ihrem Erfolg von 2018 SCHLEIERWOLKEN wiederaufnimmt: die Frau, die sozial abgesichert und mit erfolgreichem Studium – hier promovierte Soziologin und adäquater Stellung - an der Uni gerne tätig - alles Stehen und Liegen läßt und unter Zurücklassung von allem, auch ihrem eigenen Namen, an anderer Stelle, hier Berlin-Neukölln, unter erbärmlichen sozialen Umständen in einer ekligen Absteige unterkommt. Was sie tut? Erst einmal nichts. Ein Großteil ihrer Energie geht darauf, daß niemand mitbekommt, wer sie ist und was sie tut. Um die Tage herumzubringen und auch aus Interesse, haben es ihr vor allem die Museen angetan, wo sie den ganzen Tag zubringen kann und sogar eine Art Tagebuch schreibt. Und dort passiert etwas, was nach 60 Tagen ihr Berliner Leben verändert.

„Franziska kam aus dem dritten Stock und wollte die Alte Nationalgalerie gerade verlassen um im Café des Bode-Museums Schokoladenkuchen zu essen...den Höhepunkt ihrer Woche.“ (22) Im zweiten Stock des Treppenhauses taumelt eine ältere Frau aus dem Saal, sucht Halt und sinkt zu Boden, wo sie liegen bleibt. Franziska ist in Aufruhr. Sie will auf und davon, aber die Frau braucht Hilfe, nun hat sie sich zwei Monate mustergültig versteckt und dann das! Öffentlichkeit.

Natürlich hilft sie ihr auf, als die Frau aus der Ohnmacht erwacht und keinen Arzt, sondern einen Kaffee mit ihr trinken will und sich als Henny Mangold vorstellt, woraufhin „‘Marie‘, sagte Franziska Oswald. ‚Marie Weber‘“. Und aus dem Gespräch erwächst die heftige Bitte der Älteren, ihr in ihrer feudalen Wohnung in einer alten Villa im feinen Dahlem beim Putzen zu helfen. Darauf läuft hinaus, was erst einmal mit einer Kaffeeeinladung eingeleitet wird, die Franziska mit der Linie U3 nach Steglitz-Zehlendorf bringt.

Im Roman finden wir eine eigenartige Mischung aus ganz detaillierten Beschreibungen und nebulösen Angaben, die hier beispielsweise die Beschäftigung von Henny Mangold angeht, womit irgendwas nicht stimmt. Aber nicht nur hierbei wird uns beim Lesen die Dame immer rätselhafter. Doch längst hat ein Teenager die Erzählung übernommen. Schon ganz am Beginn war der 15jährigen Sina diese seltsame Franziska aufgefallen. Und was mit den beiden passiert, gehört zu den echt aufregenden menschlichen Begegnungen, denn erst überfällt Sina die als unauffällig zu auffällige Franziska und dann ...Aber nein, wir wollten diese drei Frauen vorstellen, die durch ihr Zusammentreffen etwas in Gang setzen, wobei Franziska der Anker bleibt, schließlich heißt es ja auch DIE PUTZHILFE und – nicht zu vergessen – ein Krimi ist es auch! Ein richtig guter.

Fortsetzung folgt.


DIE KRIMIBESTENLISTE vom FEBRUAR  2020

1(3)
Sarah Schulman
Trüb
Aus dem Englischen von Else Laudan.
Ariadne im Argument Verlag, 270 Seiten, 20 Euro

New York 2017. Suchtkranke verstehen was von Sucht. Maggie Terry nutzt ihre
zweite Chance. Als Privatermittlerin eines Anwalts quält sich die Expolizistin, nach
dem Entzug geschüttelt von Flashbacks und Versuchungen, ermittelnd zurück ins
Soziale. Vereinsamt, verraten, in einer kranken Stadt.


2(–)
Attica Locke
Heaven, My Home
Aus dem Englischen von Susanna Mende.
Polar, 322 Seiten, 22 Euro

„Hopetown“, Ost-Texas. Ein neunjähriger Bengel ist verschwunden, Blacks und
Native Americans verteidigen ihre Heimat am Lake Caddo, Trump ist gewählt.
Darren, schwarz, Texas Ranger, konstruiert Beweise gegen die „Arische
Bruderschaft“, will seinen Leuten helfen, seinen Job behalten, das Richtige tun.

3(–)
Nicci French
Was sie nicht wusste
Aus dem Englischen von Birgit Moosmüller.
C. Bertelsmann, 446 Seiten, 16 Euro

London. Neve hat mit Künstlermann ohne Job, Kindern und Beruf genug am
Hut, da kommt ihr die Affäre mit dem Chef wie die große Freiheit vor. Bis sie ihn
tot im Stelldichein findet, die Spuren von Mord und Affäre beseitigt und abhaut.
Gut gemachtes Hohelied auf die toughe Durchschnittsfrau.

4(–)
Ahmed Saadawi
Frankenstein in Bagdad
Aus dem Arabischen von Hartmut Fähndrich.
Assoziation A, 296 Seiten, 22 Euro
Bagdad 2005. Aus den versprengten Resten von Anschlagsopfern bastelt Geschichtenerzähler und Trödler Hadi den „Soundso“, ein Monster, beseelt von den
Vergeltungswünschen und Sehnsüchten einer Stadt in Angst und Verwirrung.
Anspielungsstarke Horror-Krimi-Parabel auf Verzweiflung, Angst und Gewalt.

5(2)
Melba Escobar
Die Kosmetikerin
Aus dem Spanischen von Sybille Martin.
Heyne, 320 Seiten, 9,99 Euro

Bogotá. Karen ist Spezialistin für Depilationen im „Haus der Schönheit“. Als
eine siebzehnjährige Kundin tot aufgefunden wird, gerät Karen zwischen die
Fronten: hier reiche Politiker, da die Aufklärung fordernde Mutter. Des Mordes
beschuldigt, steht die Kosmetikerin allein da. Noir unter Frauen.

6(10)
Robert E. Dunn
Dead Man’s Badge
Aus dem Englischen von Philipp Seedorf.
Luzifer, 356 Seiten, 14,95 Euro

Texas. Longview Moody, Geldkurier eines Drogenkartells, entkommt seiner
Hinrichtung und gibt hinfort als sein Bruder Paris Tindall den Polizeichef im
Grenzort „Lansdale“. Der fest in den Klauen der DEA und eines anderen Kartells
ist. Longview weiß, wie man solche Leute zurechtstößt. Rasanter Thriller.

7(5)
John le Carré
Federball
Aus dem Englischen von Peter Torberg.
Ullstein, 352 Seiten, 24 Euro

London. Nat und Ed, alternder Spion und radikal junger Remainer, ein wenig
Vater und Sohn, bei 15 Badmintonspielen. MI6 und Bruderdienst CIA in Zeiten
von Brexit und Trump: wenig Verstand, politisch konfus, dreist korrupt. Le Carré
mit 88: liebenswürdig, klar, elegant. Verficht Jugendtraum Europa.

8(1)
Hannelore Cayre
Die Alte
Aus dem Französischen von Iris Konopik.
Ariadne im Argument Verlag, 203 Seiten, 18 Euro

Paris. Madame Portefeux übersetzt seit 25 Jahren Arabisch für die Polizei. Ihr
Verdienst geht für das Altenheim der Mutter drauf. Als sie auf einen Berg
Haschisch stößt, greift sie zu. Alle leben vom Drogenhandel – warum nicht sie?
Nieder mit der Heuchelei, die Frechheit an die Macht!

9(4)
Regina Nössler
Die Putzhilfe
Konkursbuch, 402 Seiten, 12,90 Euro

Senden, Berlin-Neukölln. Klassenwechsel: Die promovierte Soziologin
Franziska lässt in der Münsterländer Provinz Mann und Haus hinter sich, taucht in
Berlin unter und verdingt sich als Putzhilfe. Raffiniertes Spiel mit Krimi- und
Sozialklischees. Ganz aus der Perspektive dreier verstörter Frauen.

10(–)
Liz Moore
Long Bright River
Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus
Timmermann. C.H. Beck, 414 Seiten, 24 Euro

Philadelphia. Kacey nimmt Drogen, Mickey ist Polizistin, im Stadtteil geht ein
Frauenmörder um. Das ist der Rahmen für den Schwesternkampf, hier die
alleinerziehende Mutter, rechtschaffen und pflichtbewusst, da die unbeherrschte
Abhängige. Drumherum Opioid-Katastrophe. Wem ist noch zu trauen?


Die Krimibestenliste, wo kann man sie lesen, wer erstellt sie, wo wird sie veröffentlicht?

WO? außerhalb von WELTEXPRESSO
Die Krimibestenliste auf Deutschlandfunk Kultur
www.deutschlandfunkkultur.de

Die Krimibestenliste am ersten Sonntag des Monats: www.faz.net
Die zehn besten Kriminalromane des Monats Februar 2020 sind allerdings nur noch über online verfügbar. In der Vergangenheit veröffentlichte die FAS, die Sonntagszeitung der FAZ, an jedem ersten Sonntag im Monat die jeweilige Liste. Leider gibt es die Liste seit 2020 nur noch im Internet. Ob die FAZ und FAS wissen, welche Einbuße sie damit bei Krimilesern erfahren?

An jedem ersten Sonntag des Monats geben 19 Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Die Krimibestenliste ist eine Kooperation der Frankfurter Allgemeinen mit Deutschlandfunk Kultur.

Die Jury: Tobias Gohlis, Sprecher der Jury | Volker Albers, „Hamburger
Abendblatt“ | Andreas Ammer, „Druckfrisch“, BR | Gunter Blank,
„Rolling Stone“ | Thekla Dannenberg, „Perlentaucher“ | Hanspeter
Eggenberger, „Tages-Anzeiger“ | Fritz Göttler, „Süddeutsche Zeitung“ |
Jutta Günther, „Radio Bremen Zwei“ | Sonja Hartl, „Zeilenkino“,
„Culturmag“, „Deutschlandfunk Kultur“ | Hannes Hintermeier, „Frankfurter
Allgemeine Zeitung“ | Peter Körte, „Frankfurter Allgemeine
Sonntagszeitung“ | Alf Mayer, „Culturmag“, „Strandgut“ | Kolja Mensing,
„Deutschlandfunk Kultur“ | Marcus Müntefering, „Der Spiegel“ | Ulrich
Noller, „Deutschlandfunk Kultur“, „Deutschlandfunk“, SWR, WDR | Frank
Rumpel, SWR | Ingeborg Sperl, „Der Standard“ | Sylvia Staude,
„Frankfurter Rundschau“ | Jochen Vogt, „NRZ“, „WAZ“

Foto:
© Cover