a joel antje rowohlt‚PRÜGEL. Eine ganze gewöhnliche Geschichte häuslicher Gewalt‘ von Antje Joel bei rororo, Teil 2/2

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Und da sind wir schon wieder in die Falle getappt. Eigentlich wollten wir nicht mehr den Ausdruck ‚männliche Gewalt‘ benutzen, denn er klingt so sachlich, wo der Vorgang roh, gemein und blutig ist. Prügel ist zwar auch noch ein zu harmloses Wort für das oft krankenhausreife Zusammengeschlagenwerden, das ihr und anderen Frauen widerfährt. Aber an diesem Beispiel ist uns aufgefallen, wie wortarm wir persönlich – oder auch die deutsche Sprache? - sind, wenn es um brutales Schlagen und Verprügeln geht.

Also, sie unterfüttert die persönliche Geschichte mit Beispielen von anderen oder hebt es durch statistischen Unterbau über die individuelle Erfahrung hinaus. Die Geschichte von Tina Turner und ihrem Förderer und ersten Ehemann, dem Schläger, ist hinreichend bekannt. Sie ist nicht schlecht gewählt, denn auch mit der Sängerin verbinden wir Stärke und nicht ein kleines schwaches Etwas. Und auch deshalb nicht schlecht gewählt, weil beide ihre jeweiligen Schlägerehemänner dann doch verließen, sich befreiten.

Da ich im Thema nicht zu Hause bin, waren mir die ganzen ‚Beweise‘ für den zentralen gesellschaftlichen Stellenwert des Schlagens von Frauen, einschließlich der Frauenhäuser, überwiegend neu und deren Häufigkeit wirklich erschütternd. Später dachte ich, und wenn es nur eine auf hundert Frauen wäre, ist das nicht hinnehmbar. Aber natürlich wird erst durch die Masse diese häusliche Gewalt (schon wieder so sachlich) als Problem dieser Gesellschaften erkannt. Und natürlich stellt sich die Frage, in welchen Gesellschaften gibt es das Schlagen von Frauen durch ihre Männer nicht? Doch damit wäre das Buch überfrachtet, das bei den Ausführungen zwischen den Erzählteilen, noch etwas leistet, wie z.B die Warnhinweise, auf den Seiten 102 bis 112. Dort wird dem Leser und erst recht den Betroffenen unter herausgehobenen Stichworten ein Instrumentarium an die Hand gegeben, wie man Verhaltenszüge des Partners in Richtung Gewalt erkennen und analysieren kann.

Die Autorin geht auch auf die Möglichkeit der Verhaltensänderung dieser Männer ein, führt alles auf, was geschehen muß – Seite 311 - was für sie sprechen könnte, ein Anderer zu werden, aber sie hält deren Wesensänderung für nicht sehr wahrscheinlich. Wir auch nicht.

Bleibt also die Früherkennung und das Darüberreden, damit die nächste Frau nicht dasselbe erlebt. Denn das wird auch aus allen Buchstaben, Worten und Sätzen deutlich. Es handelt sich um ein Männerproblem, das endlich auch die anderen Männer als eines ihres Geschlechts erkennen müssen und sich ebenfalls darum kümmern müssen. So wie es die Anonymen Alkoholiker gibt, müßte es die Anonymen Schläger geben, die verpflichtend werden, wenn ein Mann auch nur einmal seine Frau schlägt. Denn die Gewalt kommt von innen, aus der Familie. Die weitere Gewalt, die Frauen in der Öffentlichkeit droht, ist eine andere Baustelle.

PS.: Zu den Zeitungsartikeln zur Gewalt an Frauen, die mir während des Lesens unterkamen, gehören ein interessantes Interview mit dem Kriminologen Christian Pfeiffer über Grundmuster familiärer Gewalt, deren Anlaß jüngste Ermordungen ganzer Familien durch Angehörige waren. Aber das war nur die Spitze des Eisbergs, denn es gab tatsächlich fast jeden Tag Meldungen über Gewalt an Frauen.

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Die Autorin
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Info:
Antje Joel
"PRÜGEL - Eine ganz gewöhnliche Geschichte häuslicher Gewalt"
Rowohlt 2020 (rororo)
256 Seiten, 12 Euro
Erscheint am 28. Januar

Blicke, Worte, Fäuste.
Jeden Tag versucht allein in Deutschland ein Mann seine Partnerin zu ermorden, jeden zweiten Tag ist einer erfolgreich. Jede dritte Frau erfährt Gewalt durch ihren Partner. So auch Antje Joel. Mit 16 lernt sie ihren späteren Mann kennen. Er schlägt sie nach wenigen Monaten. Ihre Eltern sagen, was sie von vielen Seiten hören wird: "Selbst schuld!" Sie empfindet es auch so und kehrt zu ihm zurück. Wieder und wieder. Antje Joel erzählt, was Frauen in Gewaltbeziehungen treibt und sie darin gefangen hält. Und wie sie sich schließlich doch befreit hat.

ANTJE JOEL
geboren 1966, arbeitet seit 1994 als freie Journalistin und Autorin. Ihre Texte erschienen unter anderem in der Süddeutschen Zeitung, der Brigitte, im Tagesspiegel und im Spiegel. Sie erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter der Axel-Springer-Preis und der Egon-Erwin Kisch-Preis.