BuchplatzDie Verschwörungsphantasien des PEN

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Das deutsche PEN-Zentrum entdeckt in der Corona-Krise den Buchhandel.

Es plädiert dafür, jedem Sortiment den Status eines lebensnotwendigen Geschäfts zuzuerkennen und es dadurch vor der vorübergehenden, mittelfristigen oder gar längerfristigen Schließung zu verschonen. Denn andernfalls sei die Existenz sowohl vieler Buchhandlungen als auch die von Verlagen bedroht.

Als die Zeiten für den vertreibenden und herstellenden Buchhandel noch besser waren, vor allem für Filialisten wie Hugendubel, Osiander und Thalia/Mayersche, ganz zu schweigen von Amazon, habe ich keinen Protest vom PEN vernommen. Obwohl die erwähnten Buchkaufhäuser und der Versandriese Amazon kleine und mittlere Buchhandlungen zumindest indirekt in den Ruin getrieben haben. Allein die Todesliste in Frankfurt weist ehemals bedeutende Firmen auf: Frankfurter Bücherstube Schumann & Cobet, Blazek & Bergmann, Carolus, Kohl. Drastische Umsatzeinbußen gestatteten keine Kapitalbildung, die in dieser Branche bei Betriebserträgen um ein Prozent ohnehin schwierig ist (die Angabe beruht auf Zahlen des jährlichen „Kölner Betriebsvergleichs“, der vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels initiiert wird). Hohe Ladenmieten in den Innenstädten erschweren dringend notwendige Ladenerweiterungen und Umbauten zur Verbesserung der Warenpräsentation. Regelmäßig müssen Buchhandlungen ihre Ladenlokale in Nebenstraßen verlegen. Dort wäre in Corona-Zeiten kein 1,5 Meter-Mindestabstand von Kunde zu Kunde zu gewährleisten. Diese Buchläden könnten zu Hotspots des Virus werden – falls sie öffnen dürften.

PEN nimmt es auch hin, dass vor allem die so genannten Publikumsverlage den Filialisten sowie dem Versandhändler Amazon Rabatte zugestehen, die eindeutig gegen die Vorschriften des deutschen Preisbindungsgesetzes verstoßen, also die maximalen 50 Prozent übersteigen. Das geht zu Lasten der kleinen und mittleren Sortimente, die beim Einkauf außerhalb von Messe und Vertreterbesuch kaum noch mit guten Bezugskonditionen rechnen dürfen. Während die Großunternehmen regelmäßig mehr als die Hälfte ihrer disponierten und zumeist noch nicht bezahlten Einkäufe remittieren (was die Verlage lediglich mit einer Faust in der Tasche beantworten), muss das kleine Sortiment Bettelbriefe wegen der Rücknahme von fünf Exemplaren schreiben. Die in der Branche kursierenden Zahlungsfristen von drei und mehr Monaten, die Hugendubel, Osiander, Thalia/Mayersche und Amazon zugestanden werden, werden von diesen nicht bestritten. Buchhandlungen und Verlage, die nicht zu Konzernen gehören, werden von diesen Rahmenbedingungen in ihrer Existenz bedroht. Deswegen steht die Preisbindung für Verlagserzeugnisse längst auf der Prüfliste der EU-Wettbewerbskommissare. Die Einschränkungen während der Schutzmaßnahmen gegen Corona sind im Vergleich dazu vernachlässigbar. Wer Details nachlesen möchte, dem sei das jährlich erscheinende Handbuch „Buch und Buchhandel in Zahlen“ empfohlen.

Wenn Ralf Nestmeyer, der PEN-Vizepräsident, schreibt: „Der Zugang zu Büchern und damit zu Wissen und Information darf in einer freiheitlichen Demokratie unter keinen Umständen eingeschränkt werden. Buchhandlungen und Bibliotheken müssen daher umgehend wieder geöffnet werden! Gerade in Zeiten von Schulschließungen ist die beratende Funktion des Buchhandels für Eltern unverzichtbar. Die nötige physische Distanz könnte beim Verkauf über den Tresen der Buchhandlung problemlos eingehalten werden“, erweist sich dieses Wunschdenken in der Praxis als barer Unsinn.

Denn der Zugang zu Büchern ist keineswegs bedroht; nicht nur Amazon & Co unterhalten Kataloge im Internet und sind auf digitalen Bestellverkehr inklusive Zustellung an der Haustür eingerichtet. Eltern, welche die Kulturtechnik des verstehenden Lesens beherrschen und diese auch ihren Kindern vermitteln wollen, sollten in www.buchhandel.de recherchieren oder in den Katalogen jener Buchhandlungen, welche auf die Corona-Bedrohung nicht mit Klagegesängen reagieren, sondern mit kreativem Handeln. So wie beispielsweise die Buchhandlung BUCHPLATZ in Frankfurt-Sachsenhausen.
Die Frankfurter Literaturinitiative PRO LESEN e.V. hat vor zwei Tagen dieses Sortiment den Lesern ihrer Internetzeitschrift „BRÜCKE unter dem MAIN“ vorgestellt:

„Seit fünf Jahren ist der BUCHPLATZ den Leserinnen und Lesern im südlichen Sachsenhausen ein Begriff. Doch Mitte März musste der Laden an der Ecke Ziegelhüttenweg/Mörfelder Landstraße den direkten Publikumsverkehr wegen der vom Corona-Virus ausgehenden Ansteckungsgefahr einstellen.

Indessen läuft die Auftragsabwicklung hinter der verschlossenen Tür auf Hochtouren. Per Telefon, E-Mail und Internetshop (letzterer verfügt über einen umfassenden Katalog) gehen Kundenbestellungen ein. Titel, die nicht am Lager sind, müssen beim Grossisten bestellt werden, der am nächsten oder übernächsten Tag liefert. Wenn alles verfügbar ist, werden Papiertüten mit Büchern gefüllt, Rechnungen geschrieben, Botentouren für die Zustellung beim Kunden zusammengestellt und ein Großteil der Aufträge vor der Tür in Kisten zur Abholung bereitgestellt, nach Kundennamen sortiert.

Barzahlung ist nicht möglich, Geschäftsführer Daniel Bogdanov hofft aber auf zeitnahe Überweisung der Rechnungsbeträge. Lediglich das Geld für Glückwunsch- und Grußkarten, die im Ständer vor dem Eingang angeboten werden, kann abgezählt in ein buntes Sparschwein eingeworfen werden. Bogdanov vertraut seinen Kunden und die setzen auf ihn, wollen ihre Buchhandlung mit dem ambitionierten Angebot nicht im Corona-Regen stehen lassen.“

Auch andere Buchhandlungen bieten einen ähnlichen Kundendienst an.

Foto:
Die Buchhandlung BUCHPLATZ zu normalen Zeiten
© Daniel Bogdanov