talerZur zweiten Auflage des Buches „Zweierlei Maß“ von Conrad Taler

Justus Bernstein

Radevormwald (Weltexpresso) - Der Freispruch für die Nazijustiz ist nicht, wie vielfach behauptet wird, die Folge eines Versagens der bundesdeutschen Richterschaft; er wurde  bewusst herbeigeführt, gestützt im Wesentlichen auf ein Urteil des Bundesgerichtshofes vom 7. Dezember 1956.

Darin heißt es, die Verurteilung eines Richters wegen Rechtsbeugung nach § 336  StGB erfordere „bestimmten, nicht nur bedingten Vorsatz“. Um straffrei zu bleiben, brauchten die Schergen des Unrechtsstaates nur zu beteuern, sich an die geltenden Gesetze gehalten zu haben. An denen hatte der  BGH nichts auszusetzen.  Er entschied am 19. Juni 1956. (AZ 1 StR 50/56) dem nationalsozialistischen Staat könne man nicht ohne weiteres das Recht absprechen, strenge Gesetze zum Staatsschutz erlassen zu haben.

Als nach dem Untergang der DDR deren Richter zur Rechenschaft gezogen werden sollten,  saß die bundesdeutsche Justiz in der Falle. Nach geltender Rechtsprechung mussten auch sie freigesprochen werden. Dem stand allerdings der Wunsch von Bundesjustizminister Klaus Kinkel (FDP) entgegen, die DDR zu delegitimieren. Bei dem halsbrecherischen Wendemanöver, das die bundesdeutsche Justiz daraufhin vollzog, ging nicht nur alles über Bord, was bis dahin in Sachen Rechtsbeugung als Richtschnur gegolten hatte, sondern auch eine Reihe von Grundsätzen des Rechtsstaates, wie der Gleichheitsgrundsatz oder das Verbot rückwirkenden Bestrafens nach Artikel 103 des Grundgesetzes. Den Richtern der DDR nutzte es nichts, wenn sie erklärten, sich an die geltenden Gesetzen gehalten zu haben. Bei ihnen stand die Wissentlichkeit der gesetzwidrigen Entscheidung "regelmäßig nicht in Frage“.

Dieses Messen mit zweierlei Maß steht im Mittelpunkt des gleichnamigen Buches von Conrad Taler, das jetzt in zweiter Auflage im PapyRossa Verlag erschienen ist. Der Verfasser lässt den Bundesgerichtshof immer wieder selbst zu Wort kommen. So erfährt der Leser unter anderem, dass nach Ansicht des höchsten deutschen Strafgerichtes in der Periode des Kalten Krieges „auf beiden Seiten“, also in der DDR und in der Bundesrepublik, „eine ‚politische Justiz’ mit einer aus heutiger Sicht nicht immer nachvollziehbaren Intensität betrieben“ worden sei. (AZ 5 StR 747/94).

Nach Meinung des Bundesgerichtshofes hätte eine Vielzahl ehemaliger NS-Richter durchaus zur Verantwortung gezogen werden müssen. Dass das nicht geschehen sei, darin liege ein „folgenschweres Versagen bundesdeutscher Strafjustiz.“ Im Fall des zu drei Jahren und neun Monaten Freiheitsstrafe verurteilten ehemaligen DDR-Richters  Hans Reinwarth stellte der BGH selbstkritisch fest, es liege nicht fern,  anzunehmen, dass ihm eine „grundlegend veränderte Rechtsprechung, ohne die seine Verurteilung nicht möglich wäre, kaum als gerecht zu vermitteln sein dürfte“.

Insgesamt eine spannende Lektüre, allen zu empfehlen, die nach der Rolle der Justiz oder den Gründen des heutigen Wahlverhaltens ehemaliger DDR-Bürger fragen. Der bekannte Verteidiger in politischen Strafsachen Heinrich Hannover schreibt in seinem Vorwort, wer das Buch mit der Bereitschaft lese, Justizunrecht auch dort zur Kenntnis zu nehmen, wo vermeintlich „alles rechtsstaatlich“ zugehe, dem würden einige Zweifel kommen, „ob Anspruch und Wirklichkeit unseres Rechtsstaates tatsächlich übereinstimmen.“

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Info:
Conrad Taler, Zweierlei Maß – Freispruch für NS-Richter-Schuldspruch für DDR-Juristen“, PapyRossa Verlag 2020, Zweite Auflage, 189 Seiten,  14,90 Euro