AF Weber Anne 6405 Web.jpg.59845917Die neue Stadtschreiberin von Bergen-Enkheim ab September

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Heute ist das einfach eine Meldung. Vor 46 Jahren aber, als die Idee noch neu und frisch war, da war das regional eine kleine Sensation. Damals gehörte der immer schon angesehene Ort Bergen, hoch auf der Höhe mit dem Blick ins Maintal, noch zum Kreis Hanau. Und es war ein regionales Ereignis, wenn der Stadtschreiber gekürt wurde. Nach der Eingemeindung nach Frankfurt und der Zweckgemeinschaft mit dem zu Fuße von Bergen liegenden Enkheim, wurde ein Frankfurter Literaturpreis daraus, der aber so lokal wichtig geblieben ist, wie er war. Das heißt: die Bergener halten was drauf.

In der Abfolge der vielen Namen ist zu erkennen, daß manchmal die Ausgewählten schon berühmt waren, manchmal es erst wurden. Nun also Anne Weber. In der Begründung der Jury für die Wahl der neuen Stadtschreiberin von Bergen-Enkheim heißt es dazu:

„Anne Weber ist gleichzeitig eine deutsche und eine französische Schriftstellerin. Sie schreibt in beiden Sprachen, und sie übersetzt in beide Richtungen (etwa Wilhelm Genazino und Peter Handke, Marguerite Duras und Pierre Michon), dies zeigt ihre außergewöhnliche sprachliche Sensibilität sowie ihr Gespür für Zwischenräume und Bedeutungshöfe. Anne Webers Texte sind hintergründige und existenzielle Spiele mit der Wirklichkeit, sie bringen Bewegung in scheinbar Festgefügtes, Verbrieftes oder Vergangenes. Damit öffnet sie den Raum für ein dezidiert gegenwärtiges Verständnis von Literatur. Es beschränkt sich nicht auf das Erfinden, sondern sucht nach geeigneten Wegen, mit Wissen und Erfahrungen umzugehen. Es ist ein intellektuell flirrendes, zwischen Ratio und subjektiver Selbstbefragung changierendes Schreiben in französischer Tradition. Herausragend ist unter anderem »Ahnen« (2015), Webers literarisch-essayistische Recherche über ihren Urgroßvater. Sie nähert sich diesem geheimnisumwobenen Vorfahren in einer Form, die sie zu einer ganz eigenen Gattungsbezeichnung führt: einem »Zeitreisetagebuch«. Und auch in ihrem jüngsten, wirklich als Epos angelegten Buch »Annette, ein Heldinnenepos« (2020), verbinden sich Form und Inhalt zu einer immer wieder aufs Neue überraschenden ästhetischen Erkenntnis.“

Das symbolische Amt des Stadtschreibers von Bergen-Enkheim wurde erstmals 1974 verliehen und stellt in der Tat die früheste vergleichbare Einrichtung dar, ist seitdem aber von zahlreichen anderen Städten in Deutschland aufgegriffen worden. Der Stadtschreiberpreis wird von einer Stadtschreiberjury vergeben, der sowohl Fachjuroren als auch Bürgerjuroren angehören.

Namhafte Amtsinhaber waren nach Wolfgang Koeppen etwa Peter Härtling, Jurek Becker, Günter Kunert, Ulla Hahn, Eva Demski, Katja Lange-Müller, Robert Gernhardt, Herta Müller, Arnold Stadler, Katharina Hacker, Friedrich Christian Delius, Thomas Lehr und Marcel Beyer, die Aufzählung ist natürlich ungerecht, weil alle etwas zum Leben in Bergen beigetragen haben.  Und ganz besonders Peter Rühmkorf. Der Hamburger, der sich mit seinem Buch ÜBER DAS VOLKSVERMÖGEN tief in den literarischen Urgrund unseres Landes und unserer Sprache eingegraben hat und Besonderheiten ans Tageslicht brachte, wirklich ein Archäologe der Worte, hatte mit seiner Antrittsrede damals Maßstäbe gesetzt und das ganze Jahr ging es lustig weiter. In Erinnerung ist auch seine Frau Eva, die als Kultusministerin noch einmal eine besondere Rolle spielte. Wie lange ist das her!

Als 47. Amtsinhaberin tritt Anne Weber die Nachfolge von Anja Kampmann an und wird für ein Jahr im Stadtschreiberhaus in Bergen wohnen und arbeiten können. Außer dem Wohnrecht erhält sie ein Preisgeld von 20.000 Euro.

Der Literaturpreis wird voraussichtlich am Freitag, 30. August, um 19 Uhr, auf dem Berger Marktplatz verliehen. Anja Kampmann wird eine Abschiedsrede halten und den Schlüssel für das Stadtschreiberhaus symbolisch an ihre Nachfolgerin übergeben, die sich mit einer Antrittsrede dem Publikum vorstellen wird.

Foto:
© Thorsten Greve

Info:
Veranstalter des Stadtschreiberfestes sind die Kulturgesellschaft Bergen-Enkheim und der Ortsbeirat Bergen-Enkheim.
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