diogenes.chDie ALTEN haben‘s immer noch drauf, Teil 1/ 2

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Was? Das ist schon Commissario Brunettis neunundzwanzigster Fall, der gerade erschienen ist?! Wann bin ich ausgestiegen? Es wurde mir zu viel Donna Leon, einfach zu viel Brunetti mitsamt seiner Familie und zu viel Venedig auch. Auch damals konnte man nicht davon sprechen, daß sich in den Krimis alles wiederhole. Nein, die Autorin, die ihre größten Erfolge in deutschsprachigen Ländern hat, ist immer am Puls der Zeit geblieben. Das schon.

Das nächste Problem waren die Fernsehverfilmungen Ich konnte es wirklich nicht mehr hören und sehen, und die doppelten Besetzungen – da es ja erst mit Joachim Król vier Folgen eines eher spröden Commissarios gab, bis den Guido Brunetti der nette Uwe Kokisch übernahm, aber auch die Ehefrau nicht mehr Barbara Auer blieb - machten mich irre und wirre. Aber das retardierende Moment blieb ja, das sind für mich die weiteren Hauptdarsteller, die in den Filmen das prägende Element bilden. Das sind in erster Linie Vice Questore Giuseppe  Patta, der mit Michael Degen und uns altert, was natürlich auch für die anderen gilt, da wiederum für die aufmüpfige und perfekte Sekretärin Signorina Elettra Zorzi durch Annett Renneberg im besonderen, aber doch auch für den gemütlichen Sergente Lorenzo Vianello, dem Karl Fischer sein Gesicht und die Gestalt gibt, nun gut, das gilt auch für den eifersüchtigen und ehrgeizigen Sergente Alvise. Dietmar Mössmer zeigt ihn herrlich verkniffen, gemein und letzten Endes dumm. Ende 2019 wurde der bisher letzte Fall, das war Nr. 26, ausgestrahlt. Ab 2005 und dem 14. Fall wurde alles chronologisch in den Folgen abgedreht, wobei es immer Änderungen in den handelnden Personen, auch in den Lösungen und Fallentwicklungen gab.

Warum ich das alles schreibe? Weil ich jetzt beim Lesen der GEHEIME QUELLEN, dem 29. Fall, überhaupt nicht an das Fernsehgesicht des Brunetti dachte, aber immer den aufstiegssüchtigen Patta, die fix alles erledigende, supertüchtige und vorausschauende Elettra der Filme vor Augen hatte, was auch für Vianello und – wo er vorkommt – Sergente Alvise gilt. Und das waren gute Bilder vor Augen, die einem zeigen, wie das eigene Hirn Lesen und Schauen in Eins bringt. Warum das nicht für Brunetti gilt? Das habe ich mich auch gefragt, aber im Roman ist der Commissario nicht so soft wie im Film und sein Familienleben spielt zwar eine Rolle, aber wird nicht so ausgebreitet wie in den Filmen.

Mit einem Wort. Es war ein Vergnügen, beim 29. Fall eine Autorin zu erleben, die mit Frische zu Werk geht, nach wie vor als Aufhänger soziale-politische Hintergründe nimmt, bzw. Intrigen aufdeckt und überhaupt nichts Abgenudeltes hat. So lohnte es für mich auf jeden Fall, dazwischen eine längere Pause gehabt zu haben. Das macht neugierig auf die Personen, die auf einmal erscheinen, die man aber nicht kennt. Oder hatten wir sie einfach vergessen. Denn wer ist denn Commissario – aha, es heißt nicht Commissaria! - Claudia Griffoni, Brunettis Kollegin, die aus Neapel kommt, wie wir sofort verstehen, mit der er durch Venedig streift, in den unwegsamen Winkeln, wo die Touristen nicht herumschwärmen, es dafür aber stinkt in den Kanälen und stehenden Gewässern und da – Brunetti ahnte es, als der Greifarm des Baggers kurz innehielt, der Baggerführer erschrocken blickt dann aber wagemutig den Greifarm entschlossen ins Brackwasser senkt – und die Leiche hervorholt, vollendet mit Brunetti der Leser den Satz. Pustekuchen, ein schmutziger, kleiner, weißer Leichnam eines Kühlschranks kommt an Deck. Respekt, Donna Leon, wenn sich das nicht zu oft wiederholt, ist es eine richtig gute Schreibstrategie, Brunetti und den Leser zu überraschen und trägt genau dazu bei, daß man den 29. Fall nicht als Wiederholung einer Wiederholung erlebt. Denn die Kenner lesen diese Stelle anders, die wissen, daß es neulich bei einem der Fälle genau um eine Wasserleiche ging.

Der 29. Fall selbst ist einfach, aber komplex zu beschreiben. Da geht es um eine krebskranke Frau, die im Ospedale Fatebenefratelli im Sterben liegt und die Polizei sprechen möchte, nicht den Priester, vermittelt ihre Ärztin! Ihr Mann ist vor Wochen verstorben, als er mit dem Motorrad beim Heimweg von der Arbeit verunglückte, aber da ging es nicht mit rechten Dingen zu, das weiß sie genau. Brunetti und Griffoni hören sich alles an, wobei der Commisarrio über die anteilnehmende, sensible Art seiner Kollegin ins Staunen gerät, beide finden jedoch keinen Anhaltspunkt für ihre Erzählung und das Interessante am Geschehen ist, daß eigentlich alles von hinten aufgerollt wird. Erst der Verdacht, der Unglaube und dann die Recherche, die nach und nach den Verdacht als begründet beweist. Raffiniert konstruiert, wobei das Ganze flüssig heruntergeschrieben ist und eben nicht konstruiert wirkt.

Der saubere tote Ehemann mit der weißen Weste, gebürtiger Venezianer, Chemiker mit Uni-Weihen hat laut Banküberweisungen mehrfach ‚schlechtes Geld‘ erhalten, mit dem er, nachdem er sein gutes Gehalt jahrelang für die Privatklinik seiner krebskranken Frau ausgegeben hatte, die weiteren hohen Ausgaben begleicht. Dem ‚schlechten Geld‘ geht Brunetti nun nach und Ausgangspunkt ist die Beschäftigung des toten Ehemanns in seiner Firma im Veneto, also außerhalb von Venedig, Spattuto Acqua, die den Bewohnern sauberes Trinkwasser liefert, auch im Veneto. Wie das? Gab es da nicht in Italien eine Volksabstimmung, wo 95 Prozent sich gegen die kommerzielle Nutzung von Wasser durch Private ausgesprochen hatten und sich damit alle Regierungsvorlagen erledigt hatten, die schon längst ausgemauschelt hatten, wer wo die Wasserversorgung übernimmt.

Und dann kommt auf einmal der Abwasserskandal in den Sinn, als die Verseuchung des Trinkwassers offiziell geleugnet wurde...mit einem Wort, es geht in Venedig um Wasser, aber diesmal nicht um Überschwemmungen, sondern um Trinkwasser. Das hat was. Alles nimmt seinen Lauf, und ohne die intelligenten und völlig gegen alle Datenschutzbestimmungen verstoßenden Recherchen der pfiffigen, stets wie aus dem Ei gepellten dea ex machina, genannt Elettra, hätten Brunetti und Griffoni den Fall nicht so schnell und umfassend gelöst. Aber das ist immer so und gehört zu den Nettigkeiten der Autorin, die nicht die Macker die Weltgeschichte erledigen läßt, sondern die Fleißigen, Aufrechten als die herausstellt, die im Geheimen das Geschehen zum Guten steuern.

Fall Nr. 29 lohnt sich also und sicher werden wir deshalb auch den 30. besprechen. Nur, das wollten wir Donna Leon unbedingt sagen, sie soll Brunetti nicht dauernd Espresso trinken lassen, das nervt. Und zwanzig am Tag sind einfach zu viel.

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Info:
Donna Leon, Geheime Quellen, Commissario Brunettis neunundzwanzigster Fall, Diogenes Verlag 2020