elviraRuud Koopmans Das verfallene Haus des Islam. Die religiösen Ursachen von Unfreiheit, Stagnation und Gewalt, Teil 2/2

Elvira Grözinger

Berlin (Weltexpresso) - Der Autor behauptet auch, dass nicht nur die islamischen heiligen Schriften wie der Koran und die Hadithen, sondern auch die christliche und jüdische Bibel - er meint hier das „Alte“ und das Neue Testament  - „Botschaften von Intoleranz und Gewalt ebenso wie Botschaften von Frieden und Liebe“ verbreite; eines der Beispiele zitiert er aus dem Deuteronomium. Das ist ein weiterer gravierender Mangel an Kenntnis über das Judentum bei Koopmans, denn während der 1400 Jahre alte Koran immer noch als ein normativer Offenbarungstext für die Muslime gilt, wurde die Bibel durch Talmud und Midrasch sowie die stets aktualisierte Halacha modernisiert, den jeweiligen Zeiten angepasst.

Auch hat sich das jüdische Denken der Philosophen und Theologen, wie es zuletzt Karl E. Grözinger in seiner fünfbändigen Darstellung der Entwicklungen des Judentums seit der Bibel bis zum heutigen Tag gezeigt hat, von der Orthodoxie bis hin zur Reform verändert. Darauf warten aber die liberal denkenden Muslime bisher vergeblich und wer sich den islamischen Fundamentalisten widersetzt, wird von ihnen mit der Todesfatwa (für Muslime) und der Mubahala (für Nichtmuslime) belegt und muss auch in Deutschland um sein Leben fürchten. Die Inquisition ist dagegen vorbei und der Bann der jüdischen Gemeinden gegen unabhängige Geister ist seit der Zeit Spinozas außer Gebrauch – wobei Letzteres kein Todesurteil war, sondern nur eine Kontaktsperre für eine bestimmte lokale Gemeinde.

Dass Koopmans nicht die Bücher der renommierten deutschen Orientalisten gelesen hat, ist eine der Schwächen dieses Buches. Die Stärke hingegen liegt in der soziologischen Darstellung des krisengeschüttelten Islam und seiner verschiedenen Ausprägungen in den letzten fünfzig Jahren. Das ist das eigentliche Terrain des Forschers und hier bringt er eine Fülle an interessanten und neuen Erkenntnissen, die auch für die Politik eine Hilfe bei der Bewältigung der Migrationsprobleme sein sollten.

Koopmans kritisiert zu Recht diejenigen Muslime und ihre Sympathisanten, die behaupten, dass die in den muslimischen Ländern und Gesellschaften verbreitete Unterdrückung und Gewalt nicht mit dem „wahren“ Islam zu tun haben und die Täter keine „echten“ Muslime wären.

Koopmans Buch enthält anschauliche grafische Darstellungen, geographische und politische sowie gesellschaftspolitische Diagramme mit statistischen Daten. Er greift zu einer vergleichenden Methode, um die Frage nach der kausalen Rolle religiöser Faktoren im gesellschaftlichen Leben zu beantworten, so z. B. beim Vergleich zwischen den islamischen Malediven und dem hinduistischen Mauritius in Bezug auf die Stärkung des Fundamentalismus in dem Ersteren und der stabilen Demokratie im Zweiten im gleichen Zeitraum seit den 1970er Jahren. Dort, wo das Shariarecht eingeführt wurde, wurden die Rechte der Frauen, Homosexuellen und religiösen Minderheiten erheblich eingeschränkt. Viele islamische Länder leiden an Konflikten, die durch die Verschränkung der religiösen und der politischen Macht entstehen. Diese behindern dort zugleich den wirtschaftlichen Fortschritt. Rationale und wissenschaftliche Faktoren, die anderswo eine offene demokratische Gesellschaft ermöglichen, fehlen weitgehend in der islamischen Welt, denn der Islam ist in den letzten Jahren, so der Autor, immer fundamentalistischer geworden und verhindert eine Demokratisierung der Gesellschaft.

Eines der wichtigsten Gründe für die Rückständigkeit der muslimischen Länder ist für Kopmanns die Unterdrückung der Frauen, ihre frühe Heirat, die eine Ausbildung, ja oft Alphabetisierung, behindert, ihre Nichtteilnahme am Berufsleben verursacht und durch einen großen Kinderreichtum die Familien finanziell belastet. Die Armut ihrerseits bewirkt, dass auch die Kinder wenig Chancen auf eine gute Ausbildung und damit eine Verbesserung ihrer finanziellen Situation haben. Deutsche Soziologen haben herausgefunden, dass sich die Zahl der Kinder in einem Haushalt negativ auf die schulische Leistung eines jeden Kindes in diesen Familien auswirkt. Diese Faktoren tragen dazu bei, dass auch die Migranten aus den muslimischen Ländern generell schlechter ausgebildet und von Arbeitslosigkeit stärker betroffen sind als Migranten aus nicht-muslimischen Ländern. Im Vergleich mit anderen Migrantinnen in Europa und den USA sind die Musliminnen davon am stärksten betroffen. In Anbetracht dessen, dass religiöse Muslime die Fortpflanzung als religiöses Gebot ansehen, ist für sie die Regelung des Kindergeldes eine ideologische  Unterstützung.

Koopmans hat auch festgestellt, dass die Muslime, die dazu neigen, sich in bestimmten Gegenden anzusiedeln und wenig Austausch mit den Einheimischen haben, sich vornehmlich die heimatlichen Fernsehprogramme ansehen und Zeitungen aus ihren Herkunftsländern lesen – etwa die Türken in Deutschland, in den Gastländern am Schlechtesten integriert sind.

Zu Recht weist Koopmans auch auf die Tatsache hin, dass nicht die irrige Islamophobie-These und der israelisch-palästinensische Konflikt als die Ursachen der Krise in der islamischen Welt gelten können, andrerseits behauptet er, dass die „anhaltende israelische Besetzung der 1967 eroberten Gebiete illegal“ sei, während er gleichzeitig die BDS-Befürworter kritisiert. Aber er weist ebenfalls auf die Einseitigkeit der Israelkritiker hin, die etwa zu den Menschenrechtsverletzungen in den islamischen Ländern schweigen.

Es ist kein leicht zu lesendes Buch. Es enthält eine Fülle an sachlichen Informationen und räumt mit dem Opfermythos der Muslime auf. Die überaus zahlreichen Befunde, welche zahlreiche im Umlauf befindlichen Irrmeinungen berichtigen, ist ein Plädoyer gegen den islamischen Fundamentalismus, für Menschenrechte der Frauen und ein Ratgeber für die um die Integration der Muslime in unsere Gesellschaft Besorgten. Dieses Buch hätte von den Richtern am Bundesarbeitsgericht in Erfurt gelesen werden sollen, die dieser Tage das Berliner Neutralitätsgesetz kippten, welches das Tragen religiöser Symbole im Öffentlichen Dienst untersagte. Damit leistete das Gericht der Sharia-gemäßen Unterdrückung der Musliminnen Vorschub.

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Rezensentin Elvira Grözinger
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Info:
Ruud Koopmans Das verfallene Haus des Islam. Die religiösen Ursachen von Unfreiheit, Stagnation und Gewalt, C.H.Beck 2020
 ISBN 978-3-406-74924-7