Drucken
Kategorie: Bücher

Zum Tod von Marcel Reich-Ranicki

 

Hubertus von Bramnitz

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Heute verstarb der am 2. Juni 1920 im damaligen Leslau an der Weichsel, Polen, geborene Marcel Reich-Ranicki, der als deutscher Publizist der einflußreichste und auch der gefürchtetste Literaturkritiker war und derjenige, den die Nation liebte oder haßte, der auf jeden Fall selbst die 'gute' Literatur, die Dichtung liebte und schlechte Texte haßte.

 

 

 

Was sein Leben angeht, das ihm selbst wie ein Wunder erschien, überlebte er zusammen mit seiner Schwester Gerda – sie starb 2006 mit 99 Jahren in London, wohin sie fliehen konnte und er in diffiziler Mission für das damalige Polen von 1948 bis 1949 tätig war. Seine übrige Familie wurde von den Deutschen ermordet. Seine Eltern in den Gaskammern von Treblinka, sein Bruder als Kriegsgefangener bei Lublin erschossen. Reich-Ranicki blieb anläßlich einer Studienfahrt in die Bundesrepublik am 21. Juli 1958 in Frankfurt am Main, wo er sofort ab August als Literaturkritiker der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) arbeitete, später zur ZEIT nach Hamburg ging, dann als Leiter der Literaturredaktion zurück zur FAZ nach Frankfurt kam.

 

Seine deutschlandweite Bekanntheit allerdings erreichte er durch DAS LITERARISCHE QUARTETT, das über 13 Jahre (1988 bis 2001) im ZDF lief und die meistgesehene und meistdiskutierte Literatursendung blieb, die das Deutsche Fernsehen jemals ausstrahlte. Sie hat auch das Bild vom streitbaren Literaturpapst geprägt. Im Deutschen Bundestag redete er 2012 zum Holocaustgedanktag als wichtigster Zeitzeuge. Viel ist über seine langjährige Ehe mit Teofila geschrieben worden, die im April 2011 mit 91 Jahren starb. Seit März 2013 wußte die Öffentlichkeit von Reich-Ranicki selbst, daß er an Krebs erkrankt sei, was heute zu seinem Tod mit 93 Jahren führte.

 

Wir wollen als Erstes nun nur die Stimmen der anderen weitergeben, die qua Amt zu seinem Sterben etwas zu sagen haben. Eine ausführlichere Würdigung folgt. Gottfried Honnefelder, Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, sagte unmittelbar zum Tode von Marcel Reich-Ranicki: „Marcel Reich-Ranicki hat wie kein anderer in unserem Lande der Literatur Rang und Bedeutung gegeben. Er hat dies vermocht, weil er die Literatur geliebt hat.“

 

Ministerpräsident Volker Bouffier würdigt Marcel Reich-Ranicki Wiesbaden. „Die Nachricht vom Tod Marcel Reich-Ranickis lässt niemanden unberührt. Marcel Reich-Ranicki hat die Kultur, namentlich das literarische Leben des 20. und 21. Jahrhunderts, maßgeblich geprägt. Unser Land verdankt ihm unermesslich viel, denn mit seinem Engagement für die Literatur hat er den Stimmen der Humanität und des Miteinanders Gehör und Geltung verschafft. Sein persönlicher Lebensweg beeindruckt die Menschen. Er spiegelt die Dramatik der deutschen Geschichte und die Erbarmungslosigkeit der nationalsozialistischen Diktatur, spiegelt den Bruch Europas nach dem Zweiten Weltkrieg. Doch Marcel Reich-Ranicki verkörperte auch die Hoffnung, dass Mitmenschlichkeit und Frieden geschaffen und bewahrt werden können.“

 

Er fügte als Marcel Reichs Lebensmotto hinzu, er haben „den Stimmen der Humanität und des Miteinanders Geltung verschafft“. Auf jeden fAll gelte: „Ich verneige mich vor Marcel Reich- Ranicki als einer großen Persönlichkeit der Kultur“, erklärte Bouffier weiter. „Mein Mitgefühl gilt seinen Angehörigen, Freunden und Wegbegleitern. Das Land Hessen ist stolz darauf, dass er viele Jahre seines Lebens in Frankfurt gewirkt hat.“ Dies komme nicht zuletzt in der Wilhelm Leuschner-Medaille zum Ausdruck, der höchsten Auszeichnung des Landes, die Marcel Reich- Ranicki 1992 verliehen worden sei.“

 

Als Info aus der Staatskanzlei fügte der Ministerpräsident als Lebenslauf an:

Marcel Reich-Ranicki, geboren am 2. Juni 1920 in Wloclawek (Polen) als Sohn eines jüdischen Kaufmanns, siedelte 1929 mit seiner Familien nach Berlin um. Im Herbst 1938 wurde er verhaftet und nach Polen deportiert. Ab 1940 lebte er im Warschauer Ghetto. Anfang 1943 beteiligte er sich an einer Widerstandsaktion der jüdischen Kampforganisation ZOB. Kurz darauf floh er zusammen mit seiner Frau Teofila, die er 1942 geheiratet hatte, in den Untergrund. Nach der Befreiung Polens blieb er in Warschau und trat der Kommunistischen Partei bei. Er gehörte 1946 der polnischen Militärmission in Berlin an, arbeitete ab 1947 im polnischen Außenministerium und war 1948 und 1949 Konsul in London. Nach seiner Abberufung, die er aus politischen Gründen selbst gefordert hatte, wurde er aus dem Auswärtigen Dienst entlassen, aus der Partei ausgeschlossen und inhaftiert. Seine nachfolgende Arbeit – er gründete und betreute in einem Warschauer Verlag ein Lektorat für deutschsprachige Literatur – mußte er Ende 1951 aufgeben. Auch als freier Schriftsteller litt er unter politischer Repression und einem zeitweiligen Publikationsverbot. Von einem Studienaufenthalt in der Bundesrepublik 1958 kehrte er nicht mehr nach Polen zurück. Er lebte mit seiner Familie zunächst in Frankfurt, dann in Hamburg und ab 1973 wieder in Frankfurt und schrieb für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, „Die Welt“ und „Die Zeit“. Von 1973 bis 1988 leitete er die FAZ-Redaktion für Literatur und literarisches Leben. Neben der Wilhelm Leuschner-Medaille erhielt er zahlreiche weitere Auszeichnungen, darunter 1999 den Hessischen Kulturpreis.