OlympiaVolker Kutschers Krimi mit zeitgeschichtlichem Hintergrund

Hanswerner Kruse

Soeben erschien „Olympia“, der neue Roman um den eigensinnigen Kommissar Gereon Rath, der diesmal seine Lesenden in das Jahr 1936 entführt, in die Zeit der Olympischen Spiele in Berlin.

Für eine Weile hat sich Berlin weltoffen herausgeputzt, die judenfeindlichen Parolen sind verschwunden, die Schaukästen des Hetzblatts „Der Stürmer“ abgebaut, die Straßenbanden der SA entmachtet. Die Nazis haben Kreide gefressen, auf ihre verlogene Propaganda fallen sogar die US-Amerikaner rein und nehmen an der Olympiade teil.

Doch im Olympischen Dorf geschieht vor Spielbeginn ein Mord an einem US-amerikanischen Funktionär, der keinen Schatten auf den verlogenen Glanz der Spiele werfen darf: „Ausländische Greuelpropaganda in der Lügenpresse“, so die Nazi-Sprache, will das Regime nicht haben. Obwohl Oberkommissar Rath im gleichgeschalteten SS-Polizeiapparat mittlerweile mächtig in Ungnade gefallen ist, traut man ihm als unpolitischen, aber fähigen Kriminalisten zu, diesen Fall angemessen zu lösen. Doch der eigensinnige Rath bringt Verbrechen an unterschiedlichen Orten in Verbindung. Gegen den Willen des Machtapparats, der alles dransetzt, den Kommunisten eine Verschwörung gegen die Spiele anzulasten.

Parallel erleben wir, wie sich Raths Ehefrau Charly als Privatdetektivin durchschlagen muss, denn unter den Nazis haben Frauen nichts (mehr) bei der Polizei verloren. In diesem Job hilft sie jüdischen Menschen zu fliehen. Ihr ehemaliger Pflegesohn Fritze hilft im Olympischen Dorf als Jugendehrendienstler und versucht ein strammer Nazi zu werden. Gleichzeitig hegt er Bewunderung für die Schwarze Athleten - etwa für den legendären Gold-Läufer Jesse Owens und gerät in Konflikt mit anderen Jungs: „Der katzbuckelt vor ’nem Neger.“ So ganz Nebenbei steht Fritzi noch Leni Riefenstahl beim Filmen im Weg. Mysteriöse Besucher aus den Vereinigten Staaten steigen in edlen Hotels ab und gehen geheimnisvollen Geschäften nach. Ein Tatverdächtiger muss sich beim Bau des ersten Konzentrationslagers in Sachsenhausen zu Tode schuften.

So entsteht zwischen den reinen Kriminalgeschichten eine authentisch wirkende Erzählung auf verschiedenen Ebenen vom Leben im Nazi-Deutschland. Ohne Belehrungen erlebt man die politischen Hintergründe und die Versuche der Opfer, sich dem System zu verweigern oder zu entkommen: Sie ahnen bereits, dass der braune Terror nach den Spielen schlimmer als je zuvor werden wird.

Die Sprache ist der rassistischen und antisemitischen Zeit angemessen, da wird nicht mit dem N-Wort herumgeeiert, sondern Owens war damals nun mal der „Negerkönig“, dem Hitler nicht die Hand reichen wollte. Die Spannung und Angst, die immer noch als Unterströmung im blankgeputzten Berlin lauert, kann man auch im Roman deutlich nachspüren.

Das Buch ist in sich geschlossen, nur sehr wenig wird über die Vorgeschichte der Protagonisten deutlich. Für Neuleser ist der Roman absolut verständlich und für Kenner keine Tortur, in der sie längst bekannte Geschichten erneut lesen müssen. Insgesamt ist „Olympia“ besser und dichter geschrieben als der letzte Band der Rath-Reihe. Man hat das Gefühl, das Lektorat hat sich getraut einzugreifen und Autor Kutscher hat sich wieder so viel Mühe gegeben wie bei seinen ersten Büchern.

Das spannende, nachdenklich machende und doch unterhaltsame Buch ist eine großartige Abwechslung von der TV-Serie Berlin-Babylon Die basiert mit großen Veränderungen, Neuerfindungen und kräftig durchgerührt (nicht geschüttelt) auf den ersten Büchern von Kutscher. Sie wurde hier anfangs sehr gelobt, doch mittlerweile ist das unterhaltsame Serienprinzip zum Selbstzweck geworden.

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Info:
Volker Kutscher „Olympia“, Piper-Verlag, gebunden mit Lesebändchen, 544 Seiten, 24 Euro