Bildschirmfoto 2021 01 04 um 20.34.10Serie: Auf die Schnelle: Gute Unterhaltungsliteratur, gebraucht, Teil 26

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Doch, jetzt kommen auch wieder Romane dran, denn die meisten Leser bevorzugen das Lesen von Geschichten, die sie fesseln und wo man beim Lesen geradezu vergißt, daß man liest, sondern sich als Teil des Geschehens fühlt.

FREINACHT von Thomas Lang

Wenn man gerade die Tortur, in doppeltem Sinn, der Schirachschen Tiraden im Fernsehen erlebt hatte, kommt dieser Roman genau richtig, denn er schildert ein Verbrechen, das eben nicht aus Kalkül erfolgt und auch nicht aus Gewinnstreben, sondern, wie soll man sagen, geradezu aus dem Gegenteil, aus Übermut, aus falscher Stärke, aus einem Alkoholrausch heraus, ach was, was soll man an Entschuldigungen noch vorbringen, für eine Tat, für die es keine Entschuldigung gibt. Nur Erklärungen.

Man muß lange warten, will man wissen, was hier eigentlich passiert, denn noch lange über Seite 100 hinaus, sind wir im Hin und Her der jungen Leute, in ihrem gegenseitigen Spiel, wer der Wichtigste ist, wer sich am stärksten durchsetzt, wie das ist mit den Gymnasiasten und denen, denen beim Bilden keiner hilft, vor allem, wie das ist mit den Männern und den Frauen, zu denen diese Jugendlichen ja heranwachsen müssen, ob sie wollen oder nicht.

Dann will eine Gruppe von ihnen die Nacht durchmachen, Elle hat Geburtstag, sagt sie, und feiert mit ihnen, es ist Winter und sie sind im Wald. Als Hell eine Leiche findet und den kleinen Vale dazuholt, denkst man sich noch nichts Übles. Doch als der Finder mit dem Drahtseil ankommt, ahnen Vale und der Leser Übles. Das Drahtseil soll, um den Mann gewickelt, ihn wegziehen können. Wie denn das, wo doch jeder weiß, daß man bei Toten die Polizei rufen muß, die erst einmal sicherstellen muß, ob es sich um einen natürlichen Tod – Nacht, Wald – oder Mord/Selbstmord handelt.

Doch die zwei Pflaumen hier, ziehen den Toten am Seil zum Schuppen, bleiben bei einem Baumstamm stehen, wo sie den Oberkörper an diesen lehnen. Die Arme binden sie leicht erhoben auch fest. Eine goldene Kette mit FRANK nimmt der Finder einfach dem Toten ab. Als das Geburtstagskind aus der Hütte nach draußen kommt, beginnt der eigentliche Schrecken für den Leser. Für den Toten auch. Aber der ist ausgedacht, der Leser jedoch lebt und muß nun damit zurechtkommen, ja, es aushalten, daß der Tote zum Prügel- und Schießobjekt dieser Halbstarken wird, ohne etwas dagegen tun zu können – außer, ganz schnell über diese zutiefst verstörenden Handlungen hinwegzulesen. Der Tote wird wie eine Kleiderpuppe zerhauen und zerstört.

Dies Erlebnis führt dazu, daß sich die Wege der einzelnen danach in verschiedene Richtungen entwickeln. Verstärken oder zurücknehmen, was geschehen ist.

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Info:
Thomas Lang, Freinacht, Berlin Verlag 2019
ISBN 978 3 82720 1400 9