tamtamSerie: Auf die Schnelle: Gute Unterhaltungsliteratur, gebraucht, Teil 33

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Corona sei Dank kommt man auch dazu, liegengebliebene Bücher zu lesen, die nicht an die Massen gerichtet, regelrechte Überraschungen bieten, weil sie nicht herkömmlich erzählt sind, sondern sowohl vom Thema her, wie auch vom sprachlichen Ausdruck völlig eigen sind. Das Verbindende zwischen beiden ist das vorhandene Übersinnliche.

Das Tamtam der Angst von Romain Slocombe

Ehrlich gesagt, hatte mich damals, als ich das Buch erwarb, der Begriff TAMTAM im Titel angemacht. Leider habe ich mein damaliges Vorhaben, öfter in meinen Texten Tamtam in der umgangssprachlichen Bedeutung von über Gebühr aufgebrachtem Aufwand oder auch geschäftigem unangemessenen Gehabe zu verwenden. Wir kennen doch alle solche Personen, die dauernd ein Tamtam machen und auch die, denen schon ein Blumenstrauß außer der Zeit nur Tamtam ist. Eine wahre Lust, sich sprachlich mit Tamtam auszutoben, denn auf die Schaumschlägerei sind wir noch nicht eingegangen, auch nicht auf Geschiss.

Das Tamtam der Angst jedoch überfällt unseren Helden, den Zeichner Ambroise Fridelance – eine zusätzliche Gemeinheit, daß so viele ihn als Frilance ansprechen -, als er merkt, daß es so nicht mehr weitergeht. Er ernährt seine querschnittsgelähmte Frau durch seine Buchillustrationen, die er gerade, als wir ihn kennenlernen seinem Verleger, vorbeibringt, wobei wir sofort mitbekommen, wie dieser den armen Ambroise ausnutzt, ausbeutet, zu wenig bezahlt, und mitten drinnen ruft die aufdringliche Ehefrau mehrmals an, weshalb man von Anfang an ein tiefes Mitgefühl für diesen kleinmütigen, gehorsamen, so schüchternen Mann empfindet.

Aufgepaßt, nicht zu sehr bedauern, denn was im Verlaufe der gut hundert Seiten passiert, ist ein so unendliches Anhäufen von Gemeinsein von Menschen und Situationen gegenüber Ambroise, daß man sich seine Mitleidsgefühle gut einteilen muß, damit man am Schluß noch welche hat und nicht flugs nach Paris fahren muß, um aufzuräumen mit diesen Pack. Übrigens war das wohl erst ein erfolgreicher Film bei ARTE und ist dann niedergeschrieben worden, fast durchgehend in Dialogen, wobei man ja den Charakter der Personen sehr gut an ihren Äußerungen besonders gut erkennen kann. Entlarvend die meisten.

Als wir Ambroise kennenlernen, ist er unter Druck, den seine Frau Ginette durch ständige Anrufe verstärkt. Er braucht Geld, weil seine Zeichnungen unterbezahlt sind, seine Frau nicht arbeiten kann, eine minimale Rente bekommt, und auch bei sparsamster Lebensführung das Geld nicht reicht, um die Rechnungen von Telefon und Strom zu bezahlen. Und dann kommt der Zufall. Er sieht, wie gesagt, völlig zufällig im Schaufenster eines edlen Antiquitätengeschäft ein Foto mit Möbel, die er kennt und zwar aus Mali, wo sein Vater am Flughafen von Bamako beschäftigt war und er aufwuchs. Das interessiert ihn und er geht hinein, wird aufgrund seines ärmlichen Aussehens entsprechend behandelt, erfährt aber, daß die abgebildeten Hocker von Paul Leneuf sind, einem Mitstreiter von Le Corbusier und daß im Keller echte Möbel von ihm aus der Innenausstattung des Flughafens von den Jahren 1956-1957, verbeult, weil das Militär einen Putsch machte. Er fragt nach den Leneuf-Hockern, die es hier nicht gibt, denn es gab nur vier von ihnen – und dann fragt er nach dem potentiellen Preis für einen: hunderttausend Euro!

Und jetzt wird, man t,spürt es, ein Krimi draus. Klar, das ahnten wir schon lange, Ambroise hat solchen Hocker, nein, nicht er, aber sein Vater, der ihm auch den Hocker sofort aushändigt, von dem er nicht ahnte, daß der irgendeinen interessiert.

Was jetzt allerdings geschieht, das ist die eigentliche Geschichte, die so unglaublich und so böse ist, daß wir das schmale Buch wirklich empfehlen. Ambroise hat den Hocker und träumt schon vom Reichtum: 100 000 Euro und wie er davon leben wird, was er kaufen wird, auch seiner Frau einen richtig guten Rollstuhl. Da schlägt ihm jemand ein Geschäft vor, er soll den Hocker in eine Versteigerung geben...da lernen auch wir dazu, von den Mindestschätzung bis zur Methode, wie man einen Laien ausnimmt, was gelingt. In einem beispiellosen Shutdown explodiert der arme Ambroise und nimmt alles Mögliche mit sich.

Doch, wer glaubt, das war‘s, der wird durch den durch das Buch wandernden Kommissar Koster jetzt aufgeklärt. Er hatte nämlich den Weg des als Extremisten endenden Ambroise verfolgt und auch den jungen Autor gefunden, der dieses Buch TANTAM DER ANGST geschrieben hat. Doch wie das nun alles zusammenhängt: lesen Sie selbst. Amüsant, traurig, menschlich eben und unmenschlich auch.

P.S.: Und wo bleibt das Übersinnliche? Ha, das ist das Eigentliche und durchwabert die ganze Erzählung. TAMTAM sind nämlich die afrikanischen Trommeln, die nicht nur den Rhythmus vorgeben, sondern auch somnambule Zustände herstellen und noch ganz andere, nämlich tödliche Wirkungen erzeugen. Dazu braucht es nur der Sprüche und Verwünschungen, über die Ambroise verfügt.... 

Foto:
©

Info:
Romain Slocombe:, Das Tamtam der Angst. Übersetzt von Katharina Grän. Distel Verlag 2010 DAs Buch zum Film auf ARTE
ISBN 978 3 942136 07 5