zeit der heucheleiAuf die Schnelle: Gute Krimiliteratur, gebraucht, Teil 71

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Das ist ein Kriminalroman, die man all denen empfehlen kann, die all zuviel Blut und Tote nicht ertragen und für Familie und Nachwuchs schwärmen. Markaris, der seinen bekannten Kommissar Charitos ins Rennen schickt, serviert uns gesellschaftliche Probleme Griechenlands so ganz nebenbei.

ZEITEN DER HEUCHELEI. Ein Fall für Kostas Charitos von Petros Markaris

Diogenes ist bekannt dafür, daß er bei Veröffentlichungen seiner Kriminalautoren und -autorinnen es irgendwie schafft, diese zu besonderer Produktion anzuregen, wobei ich kurz und entschieden der wunderbaren Magdalen Nabb gedenken muß, die 2007 mit 60 Jahren in Florenz, wo sie lebte, starb, nach vielen Italien-Kriminalromanen, die so viel besser sind als die noch erfolgreicheren ihrer amerikanischen Kollegin aus Venedig.

Jetzt geht es um den produktiven Petros Markaris, der uns schon wegen seiner intensiven Zusammenarbeit mit dem – schon wieder ein Verstorbener! - so eindrücklichen Filmregisseur Theo Angelopoulos sympathisch ist. Sein Kommissar Kostas Charitos löst seine Fälle mit Köpfchen und er ist einer, der seinen Mitbürgern schon deshalb so gefällt, weil er die traditionelle Dichotomie der Geschlechter einhält. Zu Hause hat seine Frau das Sagen und zwar absolut. Mir persönlich geht dies etwas auf die Nerven, zumal er in diesem Krimi gerade Großvater wird und die Besuche im Krankenhaus bei Tochter und Enkel großen Raum einnehmen.

Aber, und das muß ich mir direkt vorsagen, andererseits zeigt er uns auch damit die griechische Gesellschaft so wie sie ist. Das nämlich ist sein Markenzeichen, daß er nicht irgendwelche Fälle konstruiert und sie formal abwickelt, sondern daß alles, aber auch alles, was Probleme ergibt oder leider auch zu Morden führt, immer direkt aus dem Volk resultiert: aus seiner Gesellschaft, der Geschichte, dem Kapitalismus insofern, als Griechenland früher zu den Ländern mit der größten sozialen Ungerechtigkeit gehört hatte, wo für die Privilegierten der Staat und die Staatskasse offenstand.

Und schon wieder muß ich mir etwas vorsagen, was ich eher an Charitos peinlich fände, sein Behagen an seiner Privilegiertheit als Kommissar und seine Genugtuung, als er nun endlich die lang ersehnte Beförderung erhält. Aber eigentlich ist das ja völlig zu verstehen – und darin liegt das so richtig humane Schreiben des Autors, daß er keine modernistischen Helden schafft, sondern einen Kommissar aus Fleisch und Blut. Denn ein richtiger Kommissar ist er, der mit voller Hingabe seine Fälle klärt. Dieser, besser: diese, sind besonders kniffelig. Da wird mittels einer Autobombe ein Mann getötet, der einer der angesehensten Griechen ist, Paris Fokidis, dem nicht nur eine bekannte ruhmreiche Hotelkette gehört, sondern der das Herz des Volkes auch durch seine Ausbildungsstätte für junge Servicekräfte gewann, die nämlich durch die Stiftung, die er privat ins Leben rief, kostenlos ausgebildet werden.

Doch eh die Untersuchungen vorangekommen wären, gibt es den nächsten Toten, wieder eine Autobombe. Doch der ist nicht weiter bekannt, sondern ein biederer Beamter, der Statistiken führt. Und eh die dritten Morde eine Rolle spielen, ist wichtig, das Spezifische der Täter zu erwähnen: ihre Selbstbezichtigungen. Es gibt nämlich ein handschriftliches Bekennerschreiben in schönster altertümlicher Schrift, das erklärt, sie dächten nicht dran, zu erklären, weshalb Fokidis umgebracht worden sei, das sei Aufgabe der Polizei. Unterschrieben ist es vom HEER DER NATIONALEN IDIOTEN. Darauf muß man erst mal kommen! Alles deutet daraufhin, daß die Hintermänner und Hinterfrauen besonders intelligent sind. Denn auch beim zweiten Mord wird in einem Bekennerschreiben derselben Gruppe gefordert, die Polizei müsse die Motive des Mordes und damit die Täter selbst herausfinden. Das Stichwort allerdings geben sie doch: sie prangern mit den Morden die Heuchelei an. Die öffentliche Heuchelei wie auch die, dieser speziellen Toten.

Bei Fokidis kommen sie bald darauf. Denn diese Wohltäter der Gesellschaft ist ein ausgebuffter Typ gewesen, der sein Firmenimperium auf den Cayman-Inseln hat, also keinen einzigen griechischen Euro Steuern zahlt und seine so wohltätige Ausbildungsstätte nutzt er dazu, in seinem Hotelimperium die bisherigen Angestellten alle zu entlassen und mit neuen billigen Kräften viel Geld einzusparen. Pfui Deibel. Und der andere Ermordete, der fälschte die Statistiken, in dem er den Arbeitsmarkt nicht in der Schärfe der Arbeitslosen darstellte, sondern beschönigte. Heuchelei eben.

Und bei dem dritten Fall, der zuerst, denkt man, nichts mit dem bisherigen zu tun hat, verunglückt ein Auto mit drei Personen, darunter zwei Ausländer, durch eine Sperrung vor einem Tunnel und stürzt in den Fluß. Auch hier gibt es ein Bekenntnis, aber auf andere Weise. Mit welchen Mitteln Charistos die jeweils angeprangerte HEUCHELEI zur Lösung nutzt und wer das HERR DER NATIONALEN IDIOTEN ist, erfahren Sie beim Lesen.

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Info:
Petros Markaris, Zeiten der Heuchelei. Ein Fall für Kostas Charitos, Diogenes Verlag 2020
ISBN 978 3 257 07083 5