stephania Mitchellharvard universityKleines Interview mit dem Verfasser von ADAM UND EVA 

Redaktion

München (Weltexpresso) - Warum hat sich die biblische Erzählung von Adam und Eva in der abendländischen Kultur als so mächtig erwiesen?

Die Geschichte von Adam und Eva nimmt für sich in Anspruch, auf ganz knappem Raum einen Großteil des menschlichen Daseins zu erklären: die Vorherrschaft unter den Spezies, Liebe, sexuelles Verlangen, die Sünde in Form der Überschreitung eines Verbots, die patriarchale Unterdrückung der Frauen, Knochenarbeit, den Schmerz des Gebärens, die Sterblichkeit, ja sogar die Angst vor Schlangen. Das bedeutet einen unerhörten Triumph der Fantasie, der Vorstellungskraft, und er wurde von den drei großen monotheistischen Religionen des Westens als Grundpfeiler übernommen.


Was unterscheidet die Genesiserzählung von anderen Ursprungsmythen?

Es gibt unzählige Mythen vom Ursprung des Menschen – unsere Spezies, so scheint es, ist in dieser Hinsicht besonders erfinderisch –, und ich behaupte nicht, alle oder auch nur die meisten davon zu kennen. Doch die hebräische Ursprungsgeschichte beharrt in meinen Augen ungewöhnlich intensiv auf der moralischen Verantwortung der Menschen für unser Schicksal und das der Welt. Auffallend ist, dass wir heute einer Erkenntnis wieder näher sind, als das viele Jahrhunderte der Fall war: dass nämlich zwischen den moralischen Entscheidungen, die wir treffen, und dem Schicksal der Welt, in der wir leben, ein Zusammenhang besteht. Wie sonst können wir begreifen, welche Auswirkungen der Mensch auf die Umwelt und auf die Spezies hat, die wir unmittelbar in ihrer Existenz bedrohen?


Sie schreiben, der Kern dieser Erzählung sei gewissermaßen radioaktiv. Was genau hat sie uns - trotz aller Entzauberung durch die moderne Wissenschaft - auch heute noch zu sagen?

Die Geschichte ist nicht zuletzt auch deshalb so brillant, weil sie darauf beharrt, wir seien auf ganz unmittelbare Weise mit den Protagonisten und ihren Handlungen verbunden und „gemeint“; sie sind nicht nur unsere fernen Vorfahren, sondern gleichzeitig irgendwie auch wir selbst. Jeder, der einen bedeutsamen Beitrag zur Weitergabe der Erzählung geleistet hat – ob Intellektueller oder Künstler, Priester oder Philosoph – hat sich selbst vollständig in diese Geschichte hineinprojiziert, und zu ihnen zähle ich auch Leute wie die Nonne Arcangela Tarabotti oder den Schriftsteller Pierre Bayle, die sich den vorherrschenden Interpretationen vehement widersetzt haben. Insofern machen nicht wir uns die Geschichte von Adam und Eva zu eigen, sondern sie ergreift von uns Besitz. Wir begegnen ihr wie Kinder und wir vergessen sie nie mehr.

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Der Autor
© Stephanie Mitchell/Harvard University

Info:
Quelle Randomhouse, zu dessen Verbund auch der Siedlerverlag gehört

Stephen Greenblatt, Die Geschichte von Adam und Eva. Der mächtigste Mythos der Menschheit, Siedler Verlag 2018
ISBN 978 3 8275 0041 0