Bildschirmfoto 2021 02 25 um 01.32.07Auf die Schnelle: Sehr gute Unterhaltungsliteratur, gebraucht, Teil 74

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Also, Christoph Peters liegt mir im Magen. Und das seit rund 2000. Damals hatte ein guter Freund, der als Kurator nach Berlin ans Museum ging, mich erst höflich gefragt, dann unwirsch nachgehakt, ob ich ihm Peters Stadt Land Fluß . Roman. Frankfurter Verlagsanstalt 1999) , zurückgeben könne, andere wollten es auch lesen. Genau das war es. Ich wollte das vielbesprochene Buch, das so gut sein solle, mir vom Freund ebenfalls ausleihen, hatte es aber nie bekommen. Der arme Freund bekam sein Buch nie wieder. Aber ich war es wirklich nicht. Trotzdem blieb etwas hängen und ich mied Christoph Peters.

DAS JAHR DER KATZE von Christoph Peters

Also ist an mir vorübergegangen, daß Christoph Peters schon lange Japanfan ist, bzw. mit Japanischem unterwegs ist. Denn diesem JAHR DER KATZE sind MITSUKOS RESTAURANTS und HERR YAMASHIRO BEVORZUGT KARTOFFELN vorausgegangen. Fumio Onishi, den der Autor schon einmal in einer Erzählung zum Leben erweckte, spielt eine Hauptrolle in DER ARM DER KRAKE., was sich jetzt fortsetzt. In Berlin ist aber durch den dorthin geschickten Killer Onishi eine Sache kräftig schief gegangen, er wird zurückgerufen und kehrt mit der Deutschen Nikola, die seine Freundin ist, heim nach Japan, in ein Japan, das nicht wie in den traditionellen Filmen um Ehre und Schwertkampf ringt, sondern eine spezielle Mafia hat, die Yakuza, die heutzutage ihr Geld mit Drogen verdient, das Geld aber dann waschen muß. In ihrem Auftrag war Onishi in Berlin, hat dort aber mit dem Morden übertrieben und die vietnamesische Konkurrenz kleingemordet, weshalb er jetzt von der vielschichtigen Yakuza verfolgt wird. Der Boß ist Takeda, aber der säuft und poltert, was den ehrwürdigen Meister Harada, Ohnishis Lehrer ärgert.

Zwei Perspektiven stehen einander gegenüber, die verschränkt erzählt werden: Der auktoriale Erzähler, der alles weiß, der uns die Erlebnisse von Onishi und Nikola, die in einer Verfolgungsjagd bestehen, weitergibt und den Ich-Erzähler Meister Harada, der vor sich hinredet. Besonders gefällt oder mißfällt, je nachdem, die Rolle der Nikola als typische Deutsche, die alles wissen will. Das ist ein Schreiberlingtrick, der immer wirkt, denn auf diese Weise erfährt man all das, was der Erzähler sonst mühselig einflechten müßte, aber Fragen und Antworten lesen sich interessanter, klar: die Fragende vertritt uns im Roman. Wie tief alles ins Japanische einwirkt, eine Japanidad sozusagen herauskommt, kann nur der beurteilen, der das Land, die Insel kennt. Auf jeden Fall liest sich die Geschichte gut und spannend ist sie auch.


chronik der naheCHRONIK DER NÄHE von Annette Pehnt

Das ist sozusagen der Gegenroman. Die Geschichte einer Familie über drei Generationen von Frauen. Dabei fällt noch einmal auf, wie stark der japanische Roman männerdominiert ist. Und da ich derzeit als Hörbuch den Roman WAS NINA WUßTE von David Grossman höre, wo Großmutter, Mutter und Kind von Mitte Dreißig mit ihren Leben abrechnen und sich dabei lieb haben, war ich so richtig drinnen im Thema Frauendominanz und die Probleme, die zwischen den Generationen auftreten. Aber, das merkt man gleich, hier geht es härter zur Sache, als im israelisch-jüdischen Familienalltag, wo zwar auch geschwiegen wird, aber die Selbstironie und die starke Körperlichkeit hat immer auch eine heitere, zumindest witzige Seite. Das galt für das damalige Deutschland schon einmal überhaupt nicht. 

Gleich auf der ersten Seite stockt einem der Atem. „Mutter bedroht Annie mit dem Tod, das kann sie gut. Ich sterbe, sagt sie zunächst leise, aber es genügt, um den Herzschlag des Kindes zu beschleunigen, um Annie an Mutters Seite zu holen, sie nimmt Mutters Hand und presst sich an ihre Schulter. ‚Ich sterbe, das fühle ich, diesmal sicherlich, es ist so weit.‘“Doch die Mutter sieht überhaupt nicht krank aus, sondern rosig, allerdings bekommt sie keine Luft...alles Theater, doch das durchschaut ein Kind nicht. Als die Mutter weiterjammert, wie alleine sie sei, da fällt dem Kind der Code ein, nun muß sie sagen, daß sie doch da ist, ihre Tochter, die sie liebe und sie nicht alleine lassen dürfen.

Familiencode ist der richtige Ausdruck, der dann an die nächste Generation weitergegeben wird. Denn in Wirklichkeit sind wir am Sterbebett von Annie, der Annie, die oben noch Kind war, aber längst Mutter der Icherzählerin, die uns das alles erzählt. Sie wird dort sieben Tage und Nächte zubringen. Die jüngste Generation erzählt uns also alles, aber in Rückblenden ist das Entscheidende die Vergangenheit von Mutter und Großmutter, die sprechen, wir erfahren also vom Krieg und der Nachkriegszeit und den späteren 50er, 60er, 70er Jahre - die noch so sinnlich von einander geschieden werden können, weil nicht alles gleich war, sondern jedes Jahrzehnt einen speziellen ästhetischen und kulturellen Ausdruck hatte -, was ich gut finde, denn wie sollten Heutige über gestern und vorgestern erfahren, wo doch weiterhin gilt , wer nicht weiß, woher er kommt, weiß auch nicht, wohin er geht.

Daß der Leser mehr erfährt als die Enkelin, gehört zu den Finessen, die mich dann aber doch wieder an den israelischen Grossman erinnerten, weil es dort genauso ist, nur daß dort erst einmal die Enkelin - und wir mit ihr - mehr erfährt über die Mutter Nina, mehr als diese jemals von ihrer eigenen Mutter gehört hatte. Das ist zwar gemein, aber es gibt in Familien keine Gerechtigkeit, es gibt nur die Möglichkeit, es besser zu machen als die Altvorderen. Schweigen auf jeden Fall ist eins der schlimmsten Laster!


Fotos:
Cover 

Info:
Christoph Peters, Das Jahr der Katze, Roman, Luchterhand Literaturverlag, München 2018
ISBN978 3 630 87476 0

Annette Pehnt, Chronik der Nähe, Roman, Piper Verlag 2012
ISBN 978 3 492 05506 2