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Kategorie: Bücher
paradies in schwerenAuf die Schnelle: Gute Sachbuchliteratur, gebraucht, Teil 108, EXIL II

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Erkennen Sie die Abgebildeten? Links oben, das müssen doch die schwierige Alma Mahler-Werfel und Franz Werfel sein, darunter der, der schreibt, ist eindeutig Thomas Mann, in seinem Rücken Marta Feuchtwanger, über seinem eher preußischen Kopf, der romantische junge Max Reinhardt (vermuten wir) , der mit der Katze ist Lion Feuchtwanger, er hatte mehrere Katzen!, alle Personen  lebten im PARADIES IN SCHWERER ZEIT im US-Exil. Daß die Frau rechts unten die Schauspielerin Salka Viertel ist, weiß ich erst nach dem Lesen.

PARADIES IN SCHWERER ZEIT. Künstler und Denker im Exil in Pacific Palisades von Thomas Blubacher

Ich habe dieses Buch zusammen mit dem vorherigen durchgearbeitet, durchgelebt, weil die vielen Fotos und die Konzentration auf einzelne Künstler und Denker die strukturellen Vorgaben im vorherigen Band noch sinnlicher, noch lebendiger machen. Aber, natürlich steht dies Buch auch für sich selbst. Es kann zudem für diejenigen, die noch wenig über die notwendigen Fluchten vor den Nazis wußten, einen guten Einblick in die Fluchtnotwendigkeiten wie die Modalitäten der Fluchtwege geben und vor allem über das Ankommen, hier in Kalifornien, und die objektiven Umstände wie subjektiven Gefühle der Exilierten Auskunft geben. Erst einmal sind wir in der vorderen und hinteren Umschlagsklappe durch eine Karte in Westen von Los Angeles an der Küste des Pazifiks in der Bucht von Santa Monica. Dort sehen wir Malibu, in der Mitte Pacific Palisades und rechts Santa Monika, übersät mit roten Zahlen. Und unten der Karte stehen eine Menge Namen, hinter denen sich die roten Zahlen finden und ebenfalls Straßennamen.

Das ist ein unglaublicher Anblick, wo man durch eine graphische Darstellung zum einen das Ausmaß deutschsprachiger Exilanten sieht und dann ihre Zuordnung zum Wohnort Los Angeles County. Die Personen sind alphabetisch geordnet, fangen mit Theodor W. Adorno an, der in der Nähe des Sunset Boulevard lebte, wie man mit einem Blick feststellt, hören mit Fred Zinnemann, den berühmten Regisseur auf, der erst ganz nah am Meer und am Pacific Coast Highway wohnte, dann oben in Brentwood. Vicki Baum, Ruth Berlau, Bertolt Brecht und Helene Weigel, Hanns Eisler, Lion und Marta Feuchtwanger...nein, wir können unmöglich erneute all die Namen derjenigen bringen, die hier am Pacific Exil fanden. Es ist überwältigend. Und auch traurig, weil einige, wenige, dabei sind, die durch ihr Exil rausgefallen sind aus deutscher Erinnerung, weil sie nicht erfolgreich waren, weil sie nicht zurückkamen etc.

Bildschirmfoto 2021 04 23 um 00.28.30Dieses Buch lohnt schon wegen dieses interpretationsfähigen Stadtplans! Es sind 38 Einzelkapitel, also 38 Einzelpersonen mit Partner, deren Schicksal wir auf 160 Seiten erfahren. Dabei unterstützen Fotos die Darstellung. Und hier geht der Autor zu unserer Zufriedenheit auch nicht nach dem Alphabet vor. Es beginnt mit dem Film, denken wir, mit Salka und Berthold Viertel. Aber nein, es beginnt mit dem Vorwort, wo dieses herrliche Gemälde abgebildet ist, als Triptychon, das auch bei der Veranstaltung zum 100 Jahre Jubiläum der Frankfurter Universität von Professor Johannes Fried Titelfoto war. Das große Gemälde von Arthur Kaufmann DIE GEISTIGE EMIGRATION, von dem der Autor bei der Darstellung der Abgebildeten unterschlägt, daß sich jeder in der Bundesrepublik dies Gemälde in anschauen kann, was wir im Städtisches Museum Mülheim taten und wo neben Bernhard Viertel einige der in diesem Band vorkommenden Exilanten dabei sind.

Im Vorwort erfährt man Details, die vielleicht nicht wichtig sind, einen aber interessieren, wie daß das „Haus am Amalfi Drive 1461, einst Wohnsitz von David Niven und heute von Whoopi Goldberg, wurde 1933 für die deutsche Bestsellerautorin Vicki Baum erbaut.“ Und es geht weiter: „Auch Lion Feuchtwanger, Emil Ludwig und Thomas Mann, Luise Rainer und Hanns Eisler lebten in den Dreißiger- und Vierzigerjahren für einige Zeit am Amalfi Drive, wo heute unter anderem Steven Spielberg residiert.“

In diesem Vorwort vergleicht der Autor angesichts der Vielzahl von emigrierten Künstlern und Wissenschaftlich diesen pazifischen Küstenausschnitt mit dem Geistespotential des klassischen Weimar. Die knallharten Zugangsbeschränkungen der USA werden wiedergegeben. Jährlich die Höchstgrenze von 156 000 Immigranten, davon 25 000 Deutsche. Außerdem mußte man eine Einladung vorweisen, ein „Affidavit of Support“, wo ein US-Bürger für fünf Jahre den Unterhalt des Immigranten garantiert.

Und dann erst kommen die Berichte von und über diese Exilanten, die man nicht hintereinander wegliest, sondern über Tage sich einverleibt und hofft, daß man das alles behält. Denn es ist unsere in die USA vertriebene Kultur, die nirgends so in amerikanisches Leben integriert wurde, wie ausgerechnet im Film in Hollywood, das es als Hauptstadt des Films ohne deutsche Exilanten nicht gegeben hätte. Das ist sicher.

Foto:
Cover

Info:
Thomas Blubacher, Paradies in schwerer Zeit. Künstler und Denker im Exil in Pacific Palisades, Elisabeth Sandmann Verlag 2011
ISBN 978 3 938045 57 2