neuSanyal MagelPetra KammannSerie: Der Deutsche Buchpreis  2021, hier die Auswahl der Zwanzig, die letzten Sechs im Frankfurter Literaturhaus, Teil 21

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Mithu Sanyal hatte die Abendregie als Letzte auf die Bühne gebeten. Moderatorin war erneut Eva-Maria Magel, FAZ. Wenn man Sanyals Roman IDENTITTI kennt und ihre Lust am Äußern, konnte man sich vorstellen, wie schwer es ihr gefallen sein muß, daß seit 18 Uhr bis 21 Uhr ständig die anderen Bücher und deren Autoren zu Wort kamen. Aber jetzt konnte es ja losgehen. Doch da war die Moderatorin vor.

Mithu Sanyal ist mit ihrem ersten Roman mit Aplomb an die literarische Öffentlichkeit gelangt, war aber im Zusammenhang mit Feminismus, der Kulturgeschichte des weiblichen Genitals und VULVA, hervorgegangen aus ihrer Doktorarbeit schon lange bekannt und auch ihr interessanter biographischer Hintergrund. Die Mutter aus Polen, der Vater aus Indien, in Düsseldorf-Oberbilk geboren und an der Hochschule studierend, der sie in IDENTITTI einen Kranz windet. Ach so, ja studiert hatte sie deutsche und englische Literatur und hielt sich sehr viel in England auf, wo große Teile der indischen Familie leben. Daher auch der auffällig Bezug zur englischen Sprache, der sich in diesem Roman auslebt.

Sie fühlt sich als „Mixed-Race-Mensch“, was sie als menschlichen Makel empfand, heute aber antreibt, Verschiedenes zusammenzuführen. So auch die Zutaten zu diesem Roman: die Heine-Uni, Düsseldorf-Bilk, London, Birmingham, buntes literarisches Personal, inhaltlich Teile der aktuellen identitätspolitischen wie sexuell dominierten Debatte. Dabei war ihr wichtig, keinen Thesenroman zu schreiben.

Das ist eine Zusammenfassung von Äußerungen, die aber zum größten Teil von der Moderatorin kamen, die einfach das Wort an die wirklich wie eine gespannte Feder sitzende Mithu Sanyal lange nicht gab. Als sie dann zu Wort kam, sprudelte es aus ihre nur so raus. Das konnte man so gut verstehen! Sie sprach von Verrat, der in ihrem Roman eine wesentliche Rolle spiele, und zwar sowohl echter wie auch eingebildeter, empfundener Verrat, aber sie sprach vor allem von ihrer Hochschularbeit, wo sie in Seminaren ein ihr wesentliches Anliegen behandelt: Versöhnung. Das ist ein neue Variante, Verrat und Versöhnung. Empfundener Verrat und dessen Aufhebung durch Versöhnung.

Und dann las sie nur eine Passage aus ihrem Roman, der – wenn man ihn gelesen hat – gar nicht typisch für ihn ist. Sie las eine Sexpassage und meinte, der Abend sei schon so fortgeschritten, da wolle sie ein wenig Unterhaltung bieten. Anschließend ging es dann doch ans Eingemachte, an die Frage, was weiß ist und nicht weiß und was das bedeutet. Sie geht auch darauf ein, was der Leserin auffällt, daß ab irgendwann die vorher virulente Kali, die innere Stimme in Nivedita, schweigt. Die Autorin erklärt, daß diese sich aus dem Buch schleiche. Und sie hatte auch den Titel Identitti erklärt, demnach dies eine Mixtur aus Identität und Sexualität sei, für die in der Gebärdensprache ein neuer Ausdruck der Gestik, Gesichtsmimik und Mundbild gefunden worden sei.

Foto:
Mithu Sanyal und Eva-Maria Magel
©Petra Kammann