HeidenreichSchormann Petra KammannAuf der Frankfurter Buchmesse 2021. Teil 15

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wenn Sie gewußt hätte, Elke Heidenreich, daß ich – nein, nicht der Feind – direkt daneben stand, als sie einem jungen Mann von den letzten Tagen erzählte und ihrem klitzekleinen Hotelzimmer, in das sie verfrachtet worden war, während sie früher, als sie noch berühmt war, im Frankfurter Hof zu Buchmessezeiten residierte, also, wenn sie gewußt hätte, das ich das mithörte, dann hätte sie nicht so vom Leder gezogen, denn sie weiß, daß sie nach wie vor eine begehrte Buchfrau, eine gerne gehörte und gesehene Freundin des Buches bleibt, egal, ob sie noch eigene Sendungen bespielt oder nicht.

Aha, dachte ich, diese Frau ist ja eitel. Aber warum denn nicht, war der zweite Gedanke, denn sie röstet nicht, sondern spielt mehr als ein wenig mit ihrer angeblich nachlassenden Berühmtheit, weil man ein armes Hascherl immer eher bedauert, als eine, die von ihren Erfolgen spricht. Aber die hat sie, auch wenn sie gerade stark gebeutelt wurde wegen einer spontanen Äußerung in der Sendung Markus Lanz, die ich völlig durch Zufall sogar gesehen hatte und mir bei ihren Äußerungen dacht: „Genau!“ und „mutig, daß sie das anspricht.“ Auch dies war Teil des Gesprächs, das Cécile Schortmann mit ihr am Buchmessenfreitag auf dem Blauen Sofa führte.

Eigentlich ging es um ihr neues Buch HIER GEHT‘S LANG, aber im Grund ging es um alles: das Lesen, die Veränderungen, Elke Heidenreich. Wahrscheinlich täte ich mich mit diesem Buch im Gepäck leichter, ich könnte nachschauen, manches überprüfen von dem, was ich mitschrieb, aber so bleibt es auf jeden Fall lebendig - und kürzer auch. Sie wurde nach ihrer Kinderlektüre befragt und die Antworten hatten auch immer mit den Eltern zu tun, wo der geliebte Vater früh die Familie verließ und Elke mit ihrer Mutter lebenslang eine schwierige Beziehung hatte. Ich kenne das und weiß um die nachgetragene Liebe zur eigenen Mutter, die zu ihren Lebzeiten so schwer auszudrücken war. Auf jeden Fall erzählte Heidenreich, wie es damals war mit den Jungen und den Mädchen und der Literatur. Sie ist aufgewachsen, wo es in den Bibliotheken – eigene Bücher konnte sich die Kleinfamilie nicht leisten – zwei Abteilungen für Kinder gab: die Mädchenbücher und die Jugendbücher. Nur bei zwei Autoren war die Unterscheidung aufgehoben: auf die in den Fünfzigern reüssierende Engländerin Enid Blyton (1897-1968) und Karl May (1842-1912).

Mein Gott, Enid Blyton. Anschließend unterhielt ich mich mit einer Kollegin über die damalige Lektüre und wir verdrehten vor Glück beide die Augen, als wir DIE INSEL DER ABENTEUER nannten, denn die Abenteuerbücher waren die schönsten von allen, viel stärker als die FÜNF FREUNDE, die dann so bekannte Serie.

Auf jeden Fall hat Elke Heidenreich sich stark an Büchern von Frauen orientiert. Ihr Leben lang, weil diese ihr beim Großwerden stärker halfen als andere Bücher. In ihnen konnte sie nachlesen, wie das ist, wenn man sich verliebt, oder wenn man einsam ist, oder oder...Frauen haben ihr vermittelt, wo es langgeht. Ihr erster richtiger Roman, der ihr ans Herz ging, war der Bestseller der Zeit MEIN HERZ IST EIN EINSAMER JÄGER von Carson McCullers. Da war sie fünfzehn und hat sich mit diesem Roman aus ihrem Alltagsleben weggeträumt.

Es geht nicht darum, wer besser schreibt, Frauen oder Männer. Das kann man nur für den einzelnen Mann, die einzelne Frau entscheiden. Frauen schreiben einfach anders als Männer und sie lesen auch anderes. Daß sie lieber Frauenbücher gelesen hat und liest, hat mit dem Wiederfinden von eigenen Gedanken und Gefühlen in solchen Büchern zu tun, aber grundsätzlich gilt für sie wie für jeden, der Bücher liebt: es gibt nur gute Bücher oder schlechte. Warum das aber ein Thema bleibt, ob der Verfasser ein Mann oder die Verfasserin eine Frau ist, hat damit zu tun, daß Bücher von Männern sofort als Literatur eingestuft werden, während Bücher von Frauen Frauenliteratur bleiben. Sie bezieht sich bei diesen Aussagen auch auf die wunderbare Ruth Klüger, der auch aufgefallen war, daß Männer meist nur Bücher von Männern lesen, während Frauen Bücher von Männern und Frauen lesen.

Das stimmt übrigens völlig. Machen Sie den Feldversuch und fragen eine Anzahl von lesestarken Männern nach Büchern, die sie gelesen haben. Virginia Woolf und andere sensible Werke von Frauen sind selten dabei. Während Frauen die ‚Männerbücher‘ von Updicke und Philipp Roth genauso kennen wie Männer.

Zurück zur Familie. Sie hat nachts gelesen, weil sie einsam war. Ihre Mutter leicht verbittert ob des fahnenflüchtigen Gatten. Die Tochter gefühleins mit dem Vater, der aber unzuverlässig war, mal kam, mal nicht, keine Fels, an dem sie Halt gehabt hätte. Sie hat ihre Einsamkeit weggelesen und mit Hilfe der Phantasie sich aus dem Alltag entfernt. So wie Alice im Wunderland (Lewis Carroll) konnten Bücher sie trösten. Aber es gab noch prosaischere Erklärungen für ihren Lesehunger. Die Zeit verging, die Nachmittags verstrichen wie nichts. Ein Buch zu lesen, lenke einfach ab. Diese Erfahrungen kann man auch bei Trennungen oder Krankheiten machen, wo sie sowieso den Ratschlag gibt, statt drei Stunden zu flennen, lieber drei Stunden zu lesen. Sie habe so Kraft erhalten und nach der Lektüre gesagt, das schaffe ich auch! Nein, die frühen Bücher der Kindheit hatten keinen schlechten Einfluß auf sie. Denn daß sie Trotzköpfchen gelesen hat, ist ja eine Entwicklung. Irgendwann hat sie verstanden, daß das nicht ihre Welt ist, artig zu werden, sie sei der Trotzkopf geblieben. Das tägliche Leben ist durchschlagend, kein Buch der Welt kann ein Kind verderben.

Gefragt nach ihrem Lebensbuch, fallen ihr mehrere ein. Als sie Dorothy Parker las, war ihr schon geläufig, daß Frauen anders und über anderes schreiben. Sie mochte und mag Christa Wolf: Kindheitsmuster, Kein Ort. Nirgends. Seltsam, daß sie kurz einflocht, daß Christa Wolf ja nach den Wendezeiten arg gebeutelt wurde, was sie nicht beurteilen könne, aber deren Literatur schon. Heute ist viel klarer als damals, daß es eine Unverschämtheit war und eine Herablassung des Westens gegenüber DDR-Schriftstellern, wie mit Christa Wolf verfahren wurde. Sie ist nämlich wirklich eine Dichterin und wurde hier unter Welt fertiggemacht. So liebevoll sprach Heidenreich über die beiden Einsamen, über Heinrich von Kleist und Karoline von Günderrode, die unter männlichem Pseudonym veröffentlicht hatte, denn Frauen wurden damals nicht gedruckt; er brachte sich mit 34 Jahren, 1811, um, sie sich mit 26 Jahren 1806. Christa Wolf gönnt beiden ein fiktives Treffen in Winkel am Rhein, im Haus der Brentanos. Ihre wenigen Worte zu den beiden, brachten mich zu Hause dazu, sofort ans Regal zu gehen und den Band aus dem Aufbauverlag von 1979 herauszuholen und Sammlung Luchterhand, wo der schmale Band im Februar 1981 erschien.

Fortsetzung folgt

Foto:
©Petra Kammann

Info:
Auf dem Blauen Sofa am 22.10.21