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Kategorie: Bücher
malla nunnIST DIE ERDE HART VON Malla Nunn, Ariadne Literaturbibliothek

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – „Sag doch einmal in deinem Leben, was dir durch den Kopf geht, und nicht, was Du glaubst, was andere Leute hören wollen. Na los. Versuch’s mal“, blafft Lottie die allzu brave, angepaßte Adele an. Ach, wenn doch jeder im Leben so eine Lottie hätte, die bei denkbar schlechten familiären Verhältnissen das Leben und die Leute durchschaut und schon in jugendlichem Alter für alle um sie herum – und für die Leser und Leserinnen auch – Orientierung wird.

Sie ist für mich die heimliche Hauptfigur, auch wenn die Icherzählerin Adele Joubert im Mittelpunkt steht, wenn sie uns im Winter 1962/1963 in dem kleinen Ort in Swasiland auf einige Monate ihres 16jährigen Lebens mitnimmt. Spannend der Anfang, wenn man völlig im Dunkeln tappt, warum eine recht aufgetakelte Mutter mit ihrer Tochter jeden Donnerstagabend den Vater anruft und danach freudestrahlend der Tochter vom wahrscheinlich baldigen Kommen des Vaters berichtet, der immer dann vorbeischaut, wenn er beruflich in der Nähe zu tun hat. Aha, er ist Adeles und ihres asthmakranken Bruders Rian Vater, aber nicht der Ehemann von Mutter Rose, ein Weißer aus Johannesburg, der dort seine ‚richtige‘ Familie hat.

Wir merken es schon vorher, aber ganz am Ende der 297 Seiten wird er der Tochter über Mutter Rose sagen, daß sie die Liebe seines Lebens ist. Das alles ist gut geeignet, unsere mitteleuropäische moralische Überheblichkeit in Frage zu stellen, unsere, hier völlig richtigen Lebensformen zum Maßstab für alle, auch für die sogenannte Dritte Welt zu machen. Es gab Länder, wo die Zweitfamilien von wohlhabenden Männern wie eine Sozialeinrichtung auch die ärmeren Bevölkerungskreise ernährten, wie in Argentinien, wo das Kleine Haus, La casa pequeña, eine feste Einrichtung im Verhältnis zum La casa grande war, wo die offizielle Familie und Ehefrau wohnte. In Argentinien auch noch im Januar 1963, als in Swasiland Adele von der Mutter mit einem Koffer voller guter Konserven und Süßigkeiten in den Bus zurück ins Internat Keziah Christian Academy gesetzt wird.

Beim Lesen fällt uns auf, daß wir in der Erwachsenenliteratur wenig über Kindheit und Aufwachsen außerhalb des europäischen und nordamerikanischen Raumes erfahren, wobei, um das deutlich zu sagen, die Blessuren hier in der Psyche der Aufwachsenden liegen, denn sie alle haben genug zu essen, sind bekleidet, dürfen in die Schule gehen, ja sogar in ein Internat mit Schulgeld, das insbesondere für Mischlinge eingerichtet ist, von einem US-amerikanischen Schulleiter geleitet wird und die typischen strengen Regeln mit hin und wieder heimlichen Nettigkeiten weiblicher Bediensteter aufweist.

Doch das sind alles nur die Äußerlichkeiten, denn im Kern geht es um die Erweckung des eigentlichen Ichs von Adele, die sich infolge von Lotti und einigen Ereignissen von einem überangepaßten Kind zu einer eigenständigen Jugendlichen mausert. Ihr Bravsein hatte ja gute Gründe, die farbige und besonders schöne Mutter, in Abhängigkeit und Liebe zum fernen Vater, stellt diesen den gemeinsamen Kindern als Idol hin, für den geputzt, gekocht, gelernt wird, wie es nur geht, damit er zufrieden ist, weiterhin zu seiner Zweitfamilie kommt und auch das Geld für das Internat zahlt.

Bei diesem Hintergrund hat Adele als höchstes Ziel verinnerlicht, dazuzugehören zur besseren Gesellschaft, hier: den Töchtern der Reichen im Internat, zu deren Viererzimmer sie bisher gehörte. Aber nun ist eine Neue da, eine viel reichere Tochter und sofort wird Adele noch im Bus von ihren bisherigen Freundinnen geschnitten, findet keinen Platz und muß sich neben den Abschaum, diese verlotterte, richtig schmutzige Lottie Diamond setzen und im Internat dann strafverschärfend mit ihr in einem lange nicht benutzten Zimmer schlafen, dem grünen Zimmer, in dem Lorraine Anderson gestorben ist, wo es zudem spukt und Krankheitskeime wuchern, glaubt Adele. Die realistische Lottie dagegen weiß, was zu tun ist, nämlich kräftig das Zimmer putzen, dem sich immerhin Adele dann anschließt.

Adele sieht sich grundsätzlich in der Zwickmühle der mütterlichen Erwartungen: sie soll besonders nett zu den Ärmeren sein, aber zu den reichen Mädchen dazugehören. Die aber verachten ja alle, die nicht mit ihnen mithalten können, das sind doch Verhaltensweisen dummer, arroganter Dinger, denen sich Adele in ihrem Zug zum Höheren ebenfalls unterworfen und sich genauso fies und gemein verhalten hatte, gegenüber Lottie und ihresgleichen.

Um diesen Lernprozeß, des Durchschauens ihres bisherigen Verhaltens und dem, was sie unter Lotties Hilfestellung als richtig erkennt und sich daran orientiert, geht es und die Autorin bietet dafür einen so bunten, von vielerlei Ereignissen durchwirkten Hintergrund, daß wir gleichzeitig Entscheidendes über die Herrschaft der Kolonisatoren erfahren, die sich als rechtmäßige Besitzer von Land und Leuten betrachten. Deren Verhalten wird so brutal geschildert, wie es war und ist.

Opfer dieser Willkürherrschaft sind in erster Linie Kinder und Frauen, auch dies lernt Adele, aber eben auch, wie sie sich wehren kann – dies zumindest versuchen kann. Weil sie selber den ersten Schritt macht und ihrer Mutter vom neuen Ich schreibt, kann auch diese ihrer Tochter anders gegenübertreten, sie bestärken, was sie mit einem überraschenden Besuch auch tut, dabei ob ihrer Schönheit und Coolness die reichen Mädchen und Jungen sprachlos macht, Lottie aber umarmt sie und lädt sie für die Ferien nach Hause ein. Ende gut, alles gut, zumindest in dieser Familienaufstellung, zu der gehört, daß auch der Vater im Internat anruft und seine Tochter bestärkt.

Was ein gar zu harmonischer Schluß ist, ist aber in Wahrheit passiert, denn die ganze Erzählung der Malla Nunn, die man aus geschliffenen Kriminalromanen kennt, ist die Geschichte ihrer Mutter und ihrer Tante. Die Autorin ist im damaligen britischen Protektorat Swasiland geboren, wegen der Apartheid emigrierte die Familie nach Australien, wo Nunn als Filmemacherin bekannt wurde und seit 2009 durch ihre in Südafrika spielenden Kriminalromane reüssiert.

„Ist die Erde hart, tanzen die Frauen“ ist ein afrikanisches Sprichwort und man ist dankbar, daß man dieses Buch lesen durfte und wünscht es zur Pflichtlektüre für zu brave angepaßte Mädchen und für die frechen, reichen, arroganten auch.

P.S. Wenn über die Übersetzung durch Else Laudan kein Wort verloren wurde, hat das damit zu tun, daß man so selbstverständlich in einem ganz anderen kulturellen Umfeld als dem eigenen liest, daß einem die Übersetzung gar nicht auffällt, man sich mittendrinnen wähnt. Das ist ein Lob. 

Foto:
Umschlagbild

Info:
Malla Nunn, Ist die Erde hart, Roman, übersetzt von Else Laudan, Ariadne Literaturbibliothek, Argument Verlag, 8. August 2022, 24 Euro
ISBN 978 3 86754 409 2