gastrolle1Die tradionelle Übergabe der "GastRolle" vom dies- zum nächstjährigen Ehrengast

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Das hat etwas Melancholisches an sich, wenn jemand, der sich als Gastland auf der Frankfurter Buchmesse ausgesprochen wohl fühlte, was ja meist ein Jahr, manchmal auch mehr Vorbereitung braucht und ein gedeihliches Zusammenarbeiten der Messe mit dem Ehrengast als Voraussetzung hat, wo ja nicht nur Funktionäre, sondern Menschen miteinander zu tun haben, und dann auch noch das Publikum den lichten und sanftfarbenen Pavillon - in der Ansprache Seelenstreichler genannt - und die dort stattfindenden Veranstaltungen goutierte, dann sind viele traurig, daß es vorbei ist - und doch auch freudig gespannt darauf, was Slowenien im nächsten Jahr bringt.

Verständlich, daß es einerseits um Rechenschaft geht, was nämlich der Ehrengast, besser: sein Auftritt bewirkt hat, eine fünftägige Feier, in deren Mittelpunkt die Kultur- und Literaturszene stand, von denen die Bücher in den Regalen Zeugnis geben, was aber nicht genug war, denn es sollte alles unter dem Stichwort 'sprühende Kreativität" stehen, was eine Riege von Dichterinnen und Autoren sowie Musiker zelebrierte.

Es begann mit einem Gedanken- und Gefühlsaustausch des spanischen Autors Manuel Rivas, der auf Galicisch schreibt, und dem slowenischen Schriftsteller 
Drago Jančar, die von einer Arte-Mitarbeiterin ins Gespräch gebracht wurden, inhaltlich auf subtile und zielgerichtete Art, technisch in einem Desaster, weil trotz Rivas Hinweisen, daß er nichts höre - denn alle hatten Kopfhörer mit den Übersetzungen des Spanischen, des Slowenischen auf Deutsch und den beiderseitigen Sprachen. Deshalb kam er beim Gespräch etwas zu kurz, was korrspondierte mit unserem Sitzplatz, bzw. den Fotos, die wir von da aus machten, auf denen Rivas verdeckt wurde, wo man aber dafür den Slowenen Drago Jančar um so besser mitbekam. Der ließ nämlich den Schlüssel nicht mehr aus der Hand, den ihm Rivas mitgebracht hatte, weil er unter Bezug auf seine Mutter, man solle beim Besuch immer etwas mitbringen, einen richtig schönen alten Schlüssel überreicht hatte, der nun als Metapher für alles und jedes paßte und den Jančar nicht mehr aus der Hand gab.

Das war eine schöne Idee, wie die beiden ins Gespräch gebracht werden sollten, denn jeder hatte vom anderen ein Buch lesen sollen, über das nun gesprochen wurde. Noch besser wäre es gewesen, auch die Anwesenden hätten die Bücher lesen können. Aber auch so und vor allem beim persönlichen Erleben der beiden, konnte man von den so unterschiedlichen Menschen, Männern, Autoren fasziniert sein. Drago Jančar, der über einen Essayband des Kollegen sprach, in dem vor allem die Geschichte vom Schmetterling und die Frage, was dieser von der Liebe wolle, einen aufmerken ließ. Denn im Hin und Her der beiden konnte man dem Slowenen nur zustimmen, der von der Metaphernmächtigkeit des Galiciers sprach, die im Zuhörer ein Wolkenmeer von Wörtern zurückließ. Das ist sicher eine Eigentümlichkeit des Spanischen, die auch für das Neu-Hebräisch gilt, daß manche Aussagen schwer zu fassen sind, aber bedeutend klingen, und man sich gewissermaßen hilflos fühlt, nichts Konkretes daraus ziehen zu können.

Dem half, wie schon gesagt, Drago Jančar ab, der sehr konkret wurde, als er gefragt wurde, wie sein Gefängnisaufenthalt 1974 im damaligen Jugoslawien verlaufen sei. Ach, es seien nur drei Monate gewesen und die Menschen, die er dort kennengelernt habe, hätte er im normalen Leben eben nie erlebt, sie waren für ihn und seine Literatur wichtig. Beiden, die sich gegenseitig BRÜDER nannten, Brüder im Geiste, nicht nur weil sie ihr Leben lang schreiben, daran von den Machthabern früher gehindert wurden, sondern, weil sie die Funktion der Literatur für das Leben identisch sehen. Sprache ist der Schlüssel für alles, verbal und verschriftlicht, daher ja auch die sinnreiche Schlüsselübergabe. Sprache helfe die Welt zu erklären und einen Sinn in allem zu suchen und sicher wolle sie nicht den Menschen beherrschen, sondern dienlich sein. Für ihn selbst gilt, laut seiner Aussage, daß er den Kontakt zum Leser dringend brauche, erst durch den Leser wird der Text lebendig. Die Literatur dokumentiert auf ihre Weise, was in der Gegenwart gerade geschieht oder wie die Vergangenheit gelesen werden soll und was die Zukunft bringe. Im Moment dokumentiere die Literatur in der Ukraine, was Rußland mit seinem Angriff auslöse, beide Autoren, beide Länder haben mit Unterdrückung Erfahrung; die Sprache sei immer mit das erste, die daran glauben müsse in kriegerischen Zeiten. 

Vor der Übergabe konnte man in zwei Filmen das erleben, was Spanien für die Buchmesse 'geliefert hatte' und das, was Slowenien mit dem Symbol der Honigwabe als Ausdruck für Individualität und Genuß vorhat. Die Zukunft wird angedeutet, aber die Vergangenheit kann man berechnen. Als Spanien im Oktober 2021 die GastRolle von Kanada übernommen hatte, war das der Auftakt für eine nicht nachlassende Aktivität, hierzulande spanische Autoren und Autorinnen an ihre Leser und Leserinnen zu bringen, aber darüberhinaus überhaupt spanische Kultur in Ausstellungen, Konzerten und Festivals den Deutschen nahezubringen. Seit dem Projektbeginn im Jahr 2019 - infolge der Pandemie wurden dem Gastland Kanada zwei Jahre reduzierte Buchmesse zugestanden - sind rund 400 neue Bücher in deutscher Sprache sowie zahlreiche Titel in anderen europäischen Sprachen erschienen. „Die Wände des spanischen Ehrengast-Pavillons haben sich während der Messetage mit Worten aus vier Sprachen des Landes gefüllt. Weltstars wie Rosa Montero, Arturo Pérez-Reverte und Fernando Aramburu waren zu Gast“, erklärte Juergen Boos. „Spanien hat uns in diesem Jahr mit über 50 Veranstaltungen auf der Messe und vielen weiteren über das Messegelände hinaus gezeigt, wie greifbar die Theorie der spanischen Schriftstellerin Carmen Martín Gaite ist: Geschichten sind wie Kirschen – wenn du an einer ziehst, bekommst du eine weitere dazu.“ Für Spanien sprach Maria José Gálve.: „Wir sind dankbar dafür, dass wir als Ehrengast ein Jahr lang mit unseren Büchern und Geschichten, Stimmen und Gesichtern einen lebendigen Eindruck von der sprühenden Kreativität der spanischen Kulturszene vermitteln konnten...Wir haben die große spanische Literatur geehrt und neuen vielversprechenden Stimmen eine Bühne geboten. Wir hoffen, dass die in und um Frankfurt neu geknüpften und vertieften Verbindungen zu Lesenden, Verlagen und Buchfreunden aus aller Welt noch lange Bestand haben.“
 
Und dann kam die feierliche Zeremonie. Maria José Gálvez, Generaldirektorin Bücher und Leseförderung der spanischen Regierung und  Katja Stergar, Designierte Direktorin der Slowenischen Buchagentur (JAK) betraten die Bühne, Erstere erhielt von Juergen Boos, Direktor der Frankfurter Buchmesse, die Schriftenrolle, die sie dann mit Ansprache an die Slowenin weitergab. Dazu äußerte Boos: „Wir freuen uns auf literarische und lyrische Entdeckungen; dass die slowenische Literatur- und Kulturszene ausschwärmt, um sich 2023 in Frankfurt zu präsentieren. Und wir freuen uns natürlich genauso, sie auf diesem Weg zu begleiten“. Die Slowenin Katja Stergar freut sich schon, der Welt die slowenische Literatur und ihre Kultur näher bringen zu können: „Das Meer war schon immer ein wichtiges Motiv in der slowenischen Literatur, und das Mittelmeer ist auch das Bindeglied zwischen Spanien, das in diesem Jahr einen großen Auftritt hatte, Slowenien und Italien, dem Ehrengast des Jahres 2024. Wir werden dem mediterranen Salzkorn einen Tropfen Honig hinzufügen und versuchen, Sie mit unserer Literatur zu verführen.“

Na denn, wir bleiben am Ball und freuen uns auf Slowenien. Gleich werde ich erst einmal nach den Büchern von Drago Jančar schauen und schon einmal mit dem Lesen anfangen. Ein Jahr ist schnell vorbei. 

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