wildes wasser

Louise Penny läßt zum 15. Mal ihren Armand Gamache in Québec ermitteln

Claudia Schulmerich
 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Nein, damit halten wir uns jetzt nicht auf, mit der Klage, immer wieder von Neuem anfangen zu müssen, weil das Gamache-Imperium so durchlöchert ist, mit den Übersetzungen, wann und wie: nein diesmal nicht. Denn der 15. Fall ist so komplex und gefährlich, daß man schnell durchkommen muß.

Über 500 Seiten und gleich zu Beginn staunt man, weil man den Band vorher nicht kennt – oder es gibt gar keinen darüber, was an Entsetzlichem passiert ist. Hier sind die Folgen: erst war er suspendiert, der Chief Superintendent bei der Sûreté du Québec, dann darf er zurückkommen, aber um den Preis seiner Degradierung, jetzt ist er nur noch Chief Inspector der Mordkommission – und auch das nur zur Hälfte. Für die, die die Verhältnisse nicht überschauen, sicher schwierig; aber für die, die Romanreihe kennen, glasklar: denn diese Stelle ist doch besetzt durch Jean-Guy Beauvoir, seinen Schwiegersohn. Ja, schon, aber – und das alles hatten wir nicht mitbekommen – dieser wird in einigen Wochen den Dienst verlassen und für die nächsten Jahre mit seiner Frau und dem Kind nach Paris gehen, was für Gamache wichtig ist, denn dessen Frau ist seine Tochter. So lange der Schwiegersohn noch im Lande weilt, teilen sich die beiden also die Stelle.

Aber es geht nicht nur um Mord. Hauptsächlich schon, aber Louise Penny flicht mit sicherem Griff ein Thema ein, das einfach an der Tagesordnung ist: die außer Rand und Band geratene Natur. Hier ist es die Schneeschmelze einschließlich des ununterbrochenen Regens, die den Sankt-Lorenz-Strom über die Ufer treten lassen und auch das sonst kleine Flüßchen Bella Bella zum reißenden Strom macht, der die Bewohner von Three Pines zwingt eine ganze Nacht lang Sandsäcke u.a. als Schutz vor einer Überschwemmung zu füllen und zu deponieren. Und die, die gerade heftig arbeiten, kennen wir genau aus den bisherigen Büchern: das ist die mal hoch gefeierte, mal abgemeierte Künstlerin Clara, die sehr seltsame, der Welt abgewandte, aber heimlich kluge und sogar berühmte Dichterin Ruth, uralt und ihre Ente Rosa meist auf dem Arm. Das sind noch sehr viel andere und vor allem lebt ja seit irgendwann hier in Three Pines auch Gamache, der übrigens der sein wird, der in der Frage der Überschwemmung eigenmächtig etwas macht, was völlig gegen die Doktrin ist, weshalb er wieder einmal wegen Unbotmäßigkeit gescholten, aber gleichzeitig gelobt wird, denn er war erfolgreich. Den Roman hindurch stört das Wasser den Krimiablauf nicht mehr. Denn längst ist ja höher, aber unterhalb des Ufers, also am Grund der Bella Bella eine weibliche Leiche gefunden worden, was korrespondiert damit, daß seit Beginn dieser Geschichte eine junge Frau vermißt wird, die Gamache suchen soll. Die Suche hatte Agentin Goutier in der Polizeibesprechung vorgeschlagen, weil sie den Vater der Vermißten gut kennt, die junge Frau auch und weil sie ihre Gründe hat, dies zu verschweigen, wird sie später sogar zu den des Mordes Verdächtigen gehören. Vivienne Godin ist also das Opfer und ihr schlagender und trinkender Ehemann sicher der Täter, so wie sich Carl Tracey aufführt, was polizeibekannt ist, weil Vivienne schon oft die Polizei zu Hilfe rief, aber, wenn diese kam und ihr Ehemann von ihr abließ, dann doch keine Anzeige erheben wollte.

Was hier abgeht, ist wirklich Krimispannung vom feinsten. Allerdings nur für diejenigen, die an Personen und ihrer Entwicklung Spaß haben. Louise Penny gelingt nämlich, was bei manch anderen Serienschreiberinnen schief geht, nein, nein, wir werden jetzt nicht Venedig nennen, daß ihr literarisches Personal sich entwickelt, ja verändert, obwohl die meisten schon ganz schön alt sind. Das ist wirklich interessant, wie die Leute unter den neuen Eindrücken auch andere Charakterzüge erhalten, bzw. dieser jetzt stärker zum Vorschein kommen. Am stärksten beim Helden, beim Chiefinspector Gamache, der uns allen ein Vorbild an Demut wird. Alle Achtung. Aber doch schwer.

Diesmal fand ich die lückenlose Verdächtigteninszenierung zu perfekt. Wie einer nach dem andren einfach der Mörder der jungen Frau sein muß, natürlich fängt das mit dem Ehemann an. verdächtiger kann man nicht sein, aber wer dann alles drankommt, einschließlich des trauernden Vaters, birgt für den Leser so manche Überraschung. Und genau das erwartet man bei einem 15. Fall: das Bewährte, Vertraute und das Neue, das spannend daherkommen muß. Und tut.

Foto:
Umschlagabbildung

Info:
Louise Penny, Wildes Wasser. Der 15. Fall für Gamache, übersetzt von Andrea Stumpf und Gabrielle Werbeck

Wenn Sie auf der Titelseite des WELTEXPRESSO unter Suche: Louise Penny eingeben, werden Sie elf Ergebnisse finden, die zeigen, daß wir noch nicht bei den 15 sind. Noch nicht. Aber bald!