Drucken
Kategorie: Bücher

KrimiZEIT-Bestenliste in ZEIT und NordwestRadio für August 2014, Teil 2

 

Elisabeth Römer 



Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Die Kairo-Affäre von Olen Steinhauer (original 2014: The Cairo Affair) aus dem Blessing Verlag und auf Platz 1 gehört zu der Art Spionageromanen, die mehr sind als ein Thriller und auch mehr als Liebes- und Landesgeschichten als buntes Programm.

 

Seit seinem ersten Politthriller, dem immer noch nicht ins Deutsche übersetzten The Bridge of Sighs (2003), erforscht der US-Amerikaner Olen Steinhauer (* 1970) die politischen, kulturellen und geheimdienstlichen Beziehungen zwischen Ost und West. Zunächst in fünf zwischen 1948 und 1989 an verschiedenen Orten Europas mit jeweils einer eigenen Hauptfigur angesiedelten Romanen, dann die Welt der Spys nach 9-11 in der „Tourist“-Trilogie, die ihm den Ruf des Nachfolgers von John le Carré einbrachte, auch wenn dies inhaltlich wie stilistisch nicht ganz zutrifft.“

 

Wobei die Frauen nicht unbedingt gut dabei wegkommen. Andererseits die Männer auch nicht. Aber Sophie Kohl ist schon naiver als die Polizei erlaubt, und erst recht als es Geheimdienste erlauben. Daß die Männer um sie herum das Zeitliche segnet, tut uns ja leid für sie, noch stärker aber bemitleiden wir die dahingerafften Männer. Das wäre nicht nötig gewesen, finden wir. Aber für den Roman schon, denn so wird diese Sophie Kohl zu derjenigen, um die sich alles dreht, obwohl sie eigentlich die Nebenfigur ist. Steinhauer nutzt überhaupt die Männer und die Frauen, um das politische Durcheinander noch verwirrender zu machen. Was bleibt ist die Frage, wie viel Lüge ist in der Liebe erlaubt, wie viel in der Politik, wie viel in den Geheimdiensten der eigenen Nation?

Das gibt uns Tobias Gohlis als Jurysprecher an die Hand und fährt fort: Mit der Kairo-Affäre begibt Steinhauer sich auf neues Terrain. „Affäre“ ist im doppelten Sinn zu verstehen: Einerseits geht es um die Affäre der Diplomatenfrau Sophie Kohl mit einem CIA-Mann in Kairo, andererseits um etliche vielfältig mit dieser privaten verwobene Geheimdienst-Affären. Verwickelt sind der ägyptische und im Hintergrund der libysche Geheimdienst, natürlich die CIA und ein idealistischer Libyer, der als Analytiker bei der CIA arbeitet. Alle diese Mächte, Kräfte, Intriganten, Mörder zerren an der Arabellion, um ihre persönlichen Angelegenheiten und die der arabischen Volksbewegungen zu instrumentalisieren, zu kontrollieren, zu manipulieren. Zu Recht erinnern sich Rezensenten an Graham Greene: Steinhauer rückt den menschlichen Faktor ins Bild.

 

Auf Platz 2 folgt neu Black Heart von Mike Nicol (original 2011: Black Heart) von btb. Fangen Sie mit dem südafrikanischen Glossar am Schluß an, daß Ihnen typische Redewendungen oder Gegenstände entschlüsselt. Hier handelt es sich um den abschließenden Band der „Rache-Trilogie“, mit der der 1951 in Kapstadt geborene und dort lebende Mike Nicol seinen Einstand im Krimi-Genre gab. Zuvor war er als Romancier (auch als writer in residence in Deutschland), Lyriker und Biograph von Nelson Mandela hervorgetreten.

Die ehemaligen Waffenhändler des ANC Mace Bishop und Pylon Buso müssen für die Gewalt büßen, die sie einer jungen Frau während des Befreiungskampfes angetan haben. Inzwischen gehört diese Sheemina February zum südafrikanischen Establishment und nutzt wie eine schwarze Spinne ihre Verbindungen, um die beiden bürgerlich gesettelten Herren fertigzumachen. Sehr spannender Einblick in die Macht- und Gewaltstrukturen des demokratischen Südafrika von heute. Überhaupt kann man davon sprechen, daß Südafrikas gesellschaftlich-politischen Probleme nirgends so detailliert niedergelegt werden wie in den Kriminalromanen von dort.

Dabei ist die Romanstruktur erst einmal so schräg wie seine Protagonisten. Denn schließlich kommt es nicht häufig vor, daß indianerstämmige Amerikaner in Südafrika im Glücksspiel investieren wollen, will sagen: eine Casinokette finanzieren wollen. Das riecht nach Geld und deshalb muß es einen nicht wundern, daß eine kleine Entführung Leben in die Bude bringt. Das soll heißen, daß wir während des Lesens oft laut gelacht haben, weil Mike Nicol eine Situationskomik zuläßt, die die Trauer über das übrige immer wieder aufhebt. Doch, das Ganze hat was und dieser seltsame Mace Bishop mit seiner seltsamen Tochter auch. Was kommt als nächstes?, muß man fragen, denn die Rache-Trilogie ist mit dem dritten Band zu Ende. Fortsetzung folgt.





Die KrimiZEIT-Bestenliste August 2014

Lfd.

Nr.

Rang

Vor-monat

Titel

1

1

(1)

Olen Steinhauer: Die Kairo-Affäre

Aus dem Englischen von Rudolf Hermstein

Blessing, 496 S., 19,99 €

Kairo. Fünf Exil-Libyer verschwunden. CIA-Analytiker Aziz fürchtet, dass die USA die Arabellion kontrollieren. Ein US-Konsul wird erschossen, Witwe Sophie mit Schuld konfrontiert. Klug und skeptisch: Menschenforscher Steinhauer macht aus Spionage grandiose Literatur.

2

2

(-)

Mike Nicol: Black Heart

Aus dem Englischen von Mechthild Barth

btb, 480 S., 9,99 €

Kapstadt. Nachdem Sheemina February Mace‘ Tochter entführt und seine Frau umgebracht hat, will sie ihn und Kumpel Pylon endgültig fertigmachen. Im Finish der „Rache-Trilogie“ steht für die beiden Ex-Waffenhändler alles auf dem Spiel: Ruf, Geld, Leben, Familie. Gnadenlos gut.

3

3

(4)

Adrian McKinty: Die Sirenen von Belfast

Aus dem Englischen von Peter Torberg

Suhrkamp, 388 S., 19,95 €

Carrickfergus. Spooky, der Fund im Container: der Torso eines Finanzbeamten mit besonderen Aufgaben und spezieller Herkunft. Duffy, katholischer Bulle in protestantischer Polizei, stochert im Regen. Eine Landlady, ein Landlord und DeLorean, Bürgerkrieg. Düstere Zeiten werden da evoziert.

4

4

(-)

Nathan Larson: 2/14

Aus dem Englischen von Andrea Stumpf

Penser Pulp bei diaphanes, 256 S., 17,95 €

New York. Die Katastrophe vom 14. Februar hat die Hauptstadt der Welt plattgemacht. Dewey Decimal weiß nicht, wer er ist, aber er lebt. In Ruinen, unterm Diktat von Zwängen und auf Befehl eines durchgeknallten Staatsanwalts, als Vollstrecker im Schutt des Jetzt, ein Held ohne Zeit.

5

5

(2)

Tom Hillenbrand: Drohnenland

KiWi, 422, 9,99 €

Europa, nahe Zukunft. Wo Flachland war, ist Meer. Trotz digitaler Totalüberwachung: Europaabgeordneter Pazzi wird ermordet. Er war nicht der einzige, entdeckt Kommissar Westerhuizen. Intelligent imaginierte Science-Fiction aus der schönen neuen Überwachungswelt.

6

6

(-)

Jim Nisbet: Der Krake auf meinem Kopf

Aus dem Englischen von Ango Laina u. Angelika Müller

Pulp Master, 320 S., 14,80 €

Oakland/San Francisco. Curly, Lavinia, Ivy – menschliches Treibgut. Eine Razzia und ein Wiederbeschaffungsjob bringen die drei Musiker, Abhänger, Junkies zu einer Leiche und dem Mann, der Pfefferminz lutscht. Das abgefahrenste Stück Serialkiller-Noir seit Langem.

7

7

(-)

Lee Child: Wespennest

Aus dem Englischen von Wulf Bergner

Blanvalet, 448 S., 19,99 €

Nebraska. Jack Reacher hat den richtigen Riecher. Nasenbluten bei Frauen = Indiz für prügelnde Männer. Das duldet Reacher nicht. Aber selbst er konnte nicht ahnen, in was für ein Wespennest er gestoßen ist. Reachers Brutalität wird gerechtfertigt durch das Grausliche, das er aufdeckt.

8

8

(6)

Leonardo Padura: Ketzer

Aus dem Spanischen von Hans-Joachim Hartstein

Unionsverlag, 656 S., 24,95 €

Havanna/Amsterdam 1939, 1648, 2007. Paduras Triptychon breitet jüdische Geschichte, Rembrandts Kunst und kubanische Jugendrevolte zwischen zwei Kriminalfällen aus, vertrauter Ermittler: Mario Conde. Ohne Ketzer, die die Normen brechen, keine Freiheit: Interkontinental aktuell.

9

9

(-)

 

 

Jörg Juretzka: Taxibar

Rotbuch, 222 S., 16,95 €

Mülheim. Kryszinski hat in den Ferien ein weißes Paket vor den Bullen gerettet. Das bleibt nicht folgenlos für den friedlichen Betrieb seiner Taxibar. Alle wollen das Zeug, und er will endlich auch mal seinen Schnitt machen. Ruhrpott, hackevoll, von unten: immer reinspaziert ins Chaos!

10

10

(-)

 

Joseph Kanon: Die Istanbul-Passage

Aus dem Englischen von Elfriede Peschel

C.Bertelsmann, 480 S., 19,99 €

Istanbul 1945. Amateuragent Leon Bauer im Zwiespalt der Loyalitäten. Der Flüchtling, den er in die USA schmuggeln soll: Judenschlächter. Sein CIA-Boss: Kriegsgewinnler. Klassische Konstellation, mit Schmackes ausgemalt: Aufrechter Mann zwischen Frauen und Fronten.

 

 

 

 

INFO I :

 

Die monatlich erscheinende Krimi-Bestenliste existiert seit März 2005, als sie erstmals auf der Leipziger Buchmesse, damals noch als KrimiWelt-Bestenliste vorgestellt wurde. Von März 2011 an wird sie regelmäßig an jedem ersten Donnerstag des Monats in der Wochenzeitung DIE ZEIT als KrimiZEIT-Bestenliste veröffentlicht.

 

Vorgestellt wird die KrimiZeit-JahresBestenliste

- im NordwestRadio am Donnerstag, den 7. August 2014 mit Tobias Gohlis gegen 9.20 Uhr sowie später in den Sendungen der Buchpiloten nachzuhören unter http://www.radiobremen.de/nordwestradio/serien/krimizeit/index.html -

in der Wochenzeitung DIE ZEIT am 7. August 2014 und unter www.zeit.de/krimizeit-bestenliste

 

 

Monatlich wählen neunzehn auf Kriminalliteratur spezialisierte Literaturkritiker aus Deutschland, Österreich und der Schweiz aus der Masse der Neuerscheinungen die zehn Titel aus, denen sie viele Leser wünschen. Das Beste vom Besten: Immerhin erscheinen übers Jahr verteilt inzwischen über 1800 Kriminalromane auf Deutsch. An jedem ersten Donnerstag im Monat geben Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Sie halten nach dem literarisch interessanten, thematisch ausgefallenen, besonderen Kriminalroman Ausschau. Die besten Zehn werden mit Bibliographie und Kurzbeschreibung hier veröffentlicht.

 

 

Die Jury der KrimiZEIT-Bestenliste auf dem aktuellen Stand:

 

Tobias Gohlis, Kolumnist DIE ZEIT, DeKrPr*, Moderator und Jury- Sprecher der Krimiwelt

Volker Albers, Hamburger Abendblatt, DeKrPr*

Andreas Ammer, „Druckfrisch“, Dlf, BR, DeKrPr*

Gunter Blank, Sonntagszeitung Zürich

Thekla Dannenberg, Perlentaucher

Fritz Göttler, Süddeutsche Zeitung

Michaela Grom, SWR

Hannes Hintermeier, Frankfurter Allgemeine Zeitung

Lore Kleinert, Radio Bremen

Elmar Krekeler, Die Welt

Kolja Mensing, Dradio Kultur

Ulrich Noller, Deutsche Welle, WDR, DeKrPr*

Jan Christian Schmidt, www.Kaliber 38.de, DeKrPr*

Margarete v. Schwarzkopf, Freie Literaturkritikerin

Ingeborg Sperl, Der Standard - Wien

Sylvia Staude, Frankfurter Rundschau, DeKrPr*

Jochen Vogt, NRZ, WAZ

Hendrik Werner, Weser-Kurier

Thomas Wörtche, Plärrer, culturmag, Dradio Kultur, Penser Pulp bei Diaphanes, DeKrPr*

 

 

In der Regel kommentieren wir die von der Jury neu plazierten Krimis. Alle weiteren plazierten Krimis der Vormonate entnehmen Sie bitte unseren Krimi-Besprechungen in den vormonatlichen Artikeln, die Sie in der RUBRIK BÜCHER auf dem Titel oder unter dem Autorennamen im Archiv finden. Das Prozedere der Platzverteilung ist ganz einfach. Dreimal darf ein Kritiker aus der Jury einen Roman benennen. Wenn das gut verteilt ist, kann ein Buch einige Monate überwintern, dann hat es nur noch die Chance, in der Jahresbestenliste wieder aufzutauchen, die jeweils Ende Dezember herauskommt und die wir für 2013 ebenfalls kommentierten.

 

JahresBestenliste 2013

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/2343-leichendieb-der-brasilianerin-patricia-melo-von-tropen-bei-klett-cotta-auf-platz-1

 

 

INFO II :

 

Am 23. Juni teilte der Jurysprecher Tobias Gohlis mit:

 

Hannes Hintermeier (FAZ) und Elmar Krekeler (WELT) neu in der Jury der KrimiZEIT-Bestenliste

 

 

Seit Juni 2104 verstärken Hannes Hintermeier, Redakteur im Feuilleton der F.A.Z., und Elmar Krekeler, stellvertretender Feuilletonchef der WELT-Gruppe, die Jury der KrimiZEIT-Bestenliste.

 

Die Jury, die monatlich die zehn besten Kriminalromane aus der Fülle der Neuerscheinungen auswählt, besteht damit aus 19 Kritikerinnen und Kritikern, die in Deutschland, Österreich und der Schweiz veröffentlichen.

 

Hannes Hintermeier, Jahrgang 1961, hat Anglistik und Germanistik an der Ludwig-Maximilians-Universität München studiert. Nach dem Staatsexamen 1988 absolvierte er die Deutsche Journalistenschule in München. 1990 bis 1996 war Hintermeier Literaturredakteur bei der AZ, dann in der Kulturredaktion der „Die Woche“ tätig. Seit 2001 ist er im Feuilleton der F.A.Z. Stellvertreter des Ressortleiters, aktuell Redakteur für „Neue Sachbücher“.

 

Seit Frühjahr 2014 betreut er mit weiteren Kollegen die FAZ-Krimi-Seite, die alle fünf Wochen versucht, „mit ausgewählten Beispielen der ganzen Bandbreite des Genres gerecht zu werden“.

 

Hannes Hintermeier über zwanzig Jahre Krimi-Erfahrung: "Am Krimi fasziniert mich die ungeheure Entwicklung, die das Genre in den letzten zwanzig Jahren weltweit gemacht hat. Der Krimi vereint einen Gegensatz, indem er gleichzeitig immer lokaler und universeller geworden ist. Ärgerlich finde ich manches buchindustrielle Kopier-Verhalten - merke: Erst wenn der letzte Serienmörder gefasst ist, werdet ihr merken, dass man

Hannibal Lecter nicht toppen kann."

 

Elmar Krekeler, geboren 1963, kam nach einem Studium der Musikwissenschaft 1989 als Redakteur ins Feuilleton der WELT, wo er sich zunächst der klassischen Musik widmete, bis er 1994 Literaturredakteur wurde. Von 2001 bis 2011 leitete er die „Literarische Welt“, wo er von 2005 bis 2010 mit verantwortlich für den Vorgänger KrimiWelt-Bestenliste war.

Seit 2012 schreibt er wöchentlich die Krimi-Kolumne „Krekeler killt“. Krekeler wurde 2004 mit dem Alfred-Kerr-Preis für Literaturkritik ausgezeichnet und ist derzeit stellvertretender Feuilletonchef der WELT-Gruppe.

 

Krimis umgeben ihn von Kindesbeinen an. Elmar Krekeler: „Mein Vater war ein geradezu manischer Krimi-Sammler. Wir hatten u.a. die Gesamtausgaben von Agatha Christie, Victor Gunn, Arthur W. Upfield und Edgar Wallace im Regal stehen. Meine mittlere Jugend bestand aus roten Goldmann-Krimis, die schleichend die "Fünf-Freunde"- und ???-Ära ablösten.“

 

 

Ich freue mich, dass diese beiden renommierten Literaturkritiker und Feuilletonisten die monatliche Suche der KrimiZEIT-Bestenlisten-Jury nach dem intellektuell anregenden, spannenden und literarisch reizvollen Kriminalroman unterstützen. Gute Kriminalliteratur ist für das Verständnis und die Gestaltung unserer schwer durchschaubaren Welt von existenzieller wie ästhetischer Bedeutung.