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Kategorie: Bücher

Don Winslow DAS KARTELL aus dem Droemer Verlag

 

Elisabeth Römer

 

Hamburg (Weltexpresso) - „Der mexikanische Drogenbaron Joaquín 'El Chapo' Guzmán ist aus dem Gefängnis ausgebrochen. Nach Angaben des US-Senders 'CCN' startete die Behörden in Mexiko eine Großfahndung. Die Wächter des Hochsicherheitsgefängnisses Altiplano in der mexikanischen Stadt Almoloya de Juárez hätten die Abwesenheit Guzmáns bei deinem Routinecheck am Samstag bemerkt...Guzmán gilt als der Kopf eines der mächtigsten und gefährlichsten Drogenkartelle weltweit.“

 

Dieses Zitat ist nicht aus DAS KARTELL von Don Winslow, aber es könnte daraus sein. Dieses Zitat ist eine dpa-Meldung, die wir der Frankfurter Rundschau (FR) vom 13. Juli entnehmen. Zwei Tage drauf kann man ebenfalls in der Rundschau einer afp-Meldung Näheres entnehmen: Unter der Überschrift: „Geflüchteter Drogenboss hatte Helfer im Gefängnis“, heißt es da: „Nach der filmreifen Flucht des Drogenbosses Joaquín 'el Chapo' Guzmán aus einem Hochsicherheitsgefängnis hat die mexikanische Regierung umgerechnet 3, 5 Millionen Euro Belohnung auf Hinweise zu seiner Ergreifung ausgesetzt. Zwei Tage nach Guzmáns Ausbruch aus einem Hochsicherheitsgefängnis wurden zudem der Gefängnisdirektor und der Chef der Strafvollzugsbehörde gefeuert. Der Drogenboß müsse bei seiner Flucht Helfer unter den Gefängnismitarbeitern gehabt haben, sagte Innenminister Miguel 'Angel Osorio Chong am Montag.“

 

Warum man sich im KARTELL wähnt, hat vor allem mit den unglaublichen Umständen der Flucht zu tun. In der Frankfurter Allgemeinen (FAZ) und der Süddeutschen lasen wir nämlich Näheres über den 1500 Meter langenTunnel, der gegraben wurde, und über den der 'hochsicherheits' gesicherte Drogenbaron entkam, wie weiland Adán Barrera im KARTELL. Der feiert unbehelligt mit seiner ganzen Großfamilie im Gefängnis Weihnachten, bis ein Gefängnisaufstand ihm grünes Licht gibt, aufs Dach zu steigen, wo ein Hubschrauber ihn aufliest und in die Freiheit fliegt. „DROGENBOSS AUS DEM GEFÄNGNIS AUSGEBROCHEN“ liest der US-Ermittler, der ihn vor Jahren ins US-Gefängnis gebracht hatte, dann liest er weiter:

„“Barrera ausgeliefert an ein mexikanisches Gefängnis –-Puente Grande...eine Weihnachtsfeier...

Er kann es nicht glauben.

Anderseits doch.

Natürlich.

Das ist Barrera. Das ist Mexiko.

Das ist der perfekte Witz, und er ist niedergeschmettert.“

 

Wir sind erst auf Seite 100 des Wälzers von 830 Seiten, haben aber die beiden Hauptpersonen schon kennengelernt, von denen der eine überlebt, der andere nicht. Welcher, wollen wir nicht verraten. Der eine ist also der Drogenboß und der andere der ihn speziell verfolgende US-Ermittler, der von der mexikanischen Polizei sogar angefordert wird, weil er sich gut auskennt im Drogendschungel. Anders als wir. Wenn auf Seite 59 Barrera noch vor dem Ausbruch zur tief geliebten Magda, die mit ihm ganz offen im Gefängnis luxuriös lebt, sagt: „Wir Sinaloaner müssen zusammenhalten.“, dann nickt man einverständig, denn Sinaloa, das ist doch eine Provinz in Mexiko. Aber auch ein Kartell. Und damit Sie nun den Zusammenhang mit der Wirklichkeit ein weiteres Mal ertragen müssen, sei hinzugefügt, daß der gerade geflüchtete EL CHAPO der Chef des mächtigen Sinaloa-Kartells war (und nach der Flucht aus dem Gefängnis wieder wird), das weite Teile des Drogengeschäfts in Mexiko kontrolliert. Steht in der Zeitung.

 

Weil wir alle keine Drogen und Kartellexperten sind, anders als Autor Don Winslow, hat er uns eine Übersicht verschafft. Da kann man auf der letzten Umschlagseite nachlesen, wie es um die Drogenkartelle und ihre Territorien in Mexiko bestellt ist, damit man den Überblick behält.

 

Den braucht man im dicken Wälzer dringend,denn es geht, so nicht um den Krieg der Sterne, doch genau um die Vorherrschaft im Drogenhandel in Mexiko, wobei besagte Umschlagseite einem erläutert, daß das Juárez-Kartell – es geht um Drogenkartelle, alles klar! - die Nummer 1 ist mit Sitz in der Grenzstadt Juárez. Vicente Fuentes hat dort die Vormacht und pflegt enge Beziehungen zu Nacho Esparza vom Sinaloa-Kartell (aha!, siehe oben), dem Viertplatzierten, dem er den Drogentransport durch sein Gebiet erlaubt. Doch dieser Nacho ist nur einer der drei Helden vom Sinaloa-Kartell, genau: ein anderer ist unser Hauptheld Adán Barrera, dem mit seinem Bruder Raúl aber ebenfalls das Tijuana-Kartell gehört, die drittgrößte Vereinigung. Fehlt noch das Golf-Kartell als Nummero 2. Da kommen Namen ins Spiel wie Osiel Contreras, der noch eine große Rolle spielt, spielen kann, denn der eigentliche Boß Hugo Garza sitzt im Gefängnis.

 

Nicht für lange, sagt unsere nun eingängige Leseerfahrung aus der Zeitung mit Drogenbaronen in mexikanischen Hochsicherheitsgefängnissen. Nicht für lange, sagt ebenso unsere Leseerfahrung aus DAS KARTELL. Es wäre uns lieber, die Übereinstimmung zwischen Wirklichkeit und Fiktion wäre nicht derart hundertprozentig. Woran soll man noch glauben? Denn, was der schlaue amerikanische Saubermann und Ermittler Art Keller längst als Lebenserfahrung mit sich trägt, überhaupt niemandem noch trauen zu können und nur darauf zu bauen, wie sich die Bosse gegenseitig liquidieren, aber schon dabei zu wissen, daß wo ein Boß fällt wie bei der Hydra mehrere Bosse nachwachsen, gehört zu den niederdrückendsten politisch-gesellschaftlichen Erfahrungen, die man derzeit im Leben und in der Thrillerliteratur machen kann.

 

Übrigens ist dieser Kampf jeder gegen jeden, der an der Person des Adán Barrera beispielhaft erzählt wird, die Fortsetzung von DIE TAGE DER TOTEN, wo Don Winslow über einen Zeitraum von dreißig Jahren den Drogenkrieg in den USA beschreibt, der im Jahr 2004 mit der Festsetzung von Barrera endete. Daher versteht man auch die Aufruhr, in die Keller gerät, als er von dessen Flucht aus dem Gefängnis hört, in das er ihn ja unter Gefahr für das eigene Leben gebracht hatte.

 

Wie man aus der Jury der KRIMIBESTENLISTE hört, wo Don Winslow jetzt im Juli auf Platz 3 kam, wird die literarische Qualität der Fortsetzung sehr unterschiedlich eingeschätzt. Für die einen ein Klischee, für die anderen 'eine düstere,aber hellsichtige Dokumentation des Grauens“. Wir neigen ersterem zu, weil uns erstens ein Roman nicht geheuer ist, wo ein solcher, mit anderen erbarmungsloser Mensch wie dieser Adán, als sanfter Liebhaber und Vater geschildert wird und wir quasi zum Komplizen des Autors werden und uns über seine Fluchten noch freuen sollen und an seiner Seite stehen, wenn die anderen Drogenbosse ihm ans Leder, ach was, ans Leben wollen; weil uns zweitens die gesamte Drogenwelt wie Charaktermasken aus einem mittelmäßigem Film vorkamen, irgendwie mehr Schablone als Inhalt.

 

Wenn man allerdings solche Zeitungsmeldungen wie die jüngsten verstehen will, dann lohnt sich der Leseaufwand allemal.

 

 

Info:

Don Winslow, Das Kartell, Droemer Verlag 2015