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Kategorie: Bücher

KrimiZEIT-Bestenliste in ZEIT und NordwestRadio für Februar 2016, Teil 1

 

Elisabeth Römer

 

Hamburg (Weltexpresso) – Das war ein rasanter Aufstieg von Malla Nunn mit ihrem dritten Roman, in dem der sehr spezielle Emmanuel Cooper den Detective gibt, der eigentlich – Achtung, wir befinden uns im Jahr 1953 mitten im durch die Apartheid in Herren und Knechte geteilten Südafrika - als „Weiß“ eingestuft, zwischendurch als rassisch doch bedenklich herabgestuft, mit zwei ungeheuer farbig und lebendig geschilderten Kompagnons wenigstens die Zipfelchen von Wahrheit ans Licht bringen will und auch kann.

 

Dabei sind wir mit dem Wort 'farbig' schon eigentlich in die Wortfalle getappt, denn die 1963 in Swasiland geborene farbige Autorin, die übrigens schon in den Siebzigern mit ihren Eltern dem Apartheidsystem entrann und seither in Australien lebt, schildert die beiden in so farbigen Bildern, das wir das ausdrücken wollten, wobei dann der eine ein Schwarzer ist und als Detective Constable Samuel Shabalala von der Native Detective Branch diesen Cooper im Zulu-Revier begleiten und übersetzen soll. Der andere ist Arzt, ein Weißer und wie man überrascht auf Seite 84 liest: „Nachdem er drei Jahre im Konzentrationslager Buchenwald verbracht hatte, machte sich Zweigmann nichts mehr aus Geld, gesellschaftlichem Status oder Äußerlichkeiten.“ Buchenwald? Aha, da saßen die Politischen, aber bald klärt sich, was auf Seite 168 dann dezidiert heißt: „Shabalala und Zweigman standen mitten im Garten. Sie gaben ein bemerkenswertes Paar ab, ein riesiger Zulu und ein verhutzelter deutscher Jude, breit grinsend vertieft...“

 

Daß in diesen Jahren in Südafrika aber ein Jude kein Weißer war, sondern in Hotels wie Schwarze kein Zimmer bekam, gehört zu den Ungeheuerlichkeiten, die man nebenbei auch noch erfährt, an denen dies Buch reich ist, die aber so lakonisch erzählt werden, wie es vielleicht Menschen können, die solche Systeme selbst erlebt und erlitten haben. Übrigens, das haben wir nur für diejenigen vorangestellt, die Malla Nunn noch nicht gelesen hatten. Denn wer die gewichtigen Vorromane der Autorin kennt: EIN SCHÖNER ORT ZU STERBEN und LASS DIE TOTEN RUHEN, der weiß das alles. Der erinnert sich aber auch daran, daß Malla Nunn die große Entdeckung beim Aufbau Verlag war. Wenn man jetzt liest, daß Malla Nunn nun im Argument Verlag, Ariadne Krimi veröffentlicht, so kann man zwar zustimmend nicken, weil Ariadne diese tollen Autorinnen wie Dominique Manotti, Liza Cody, Anne Goldmann, auch viele junge deutsche Autorinnen herausbringt und einfach ein tolles Programm hat, aber man bedauert auch den Aufbau Verlag, die Autorin zu verlieren, vor allem, weil Aufbau gerade auch die Spitzenkrimifrau Fred Vargas an Limes/Randomhouse verloren hat, also gleich zwei Autorinnen, wobei letztere des Geldes wegen wechselte, was sicher für Ariadne Krimis nicht zutrifft.

 

TAL DES SCHWEIGENS von Malla Nunn ist nun also vom 5. Platz des Vormonats auf die Spitze vorgerückt – es wechselte die bisherige und schon länger dort platzierte Erste auf den fünften Rang: eben Fred Vargas mit DAS BARMHERZIGE FALLBEIL. TAL DES SCHWEIGENS ist ein fast heiter geschriebenes Buch über das schwärzeste Kapitel Südafrikas, weil es getragen ist von der Erkenntnis, daß das, was in Südafrika 1953 gelebt wird, falsch ist und daß solche wie dieser Emmanuel Cooper mitsamt seinen zwei Kompagnons dies jeden Tag und jede Stunde ihrer Umwelt auch deutlich machen. Aber sie müssen überleben, müssen sich ein- und anpassen und da wir Leser mit Cooper nach Drakensberge geschickt werden, sind wir mitten im Zululand, wo es mit den Stammesbräuchen nicht unbedingt liberaler zugeht. Vor allem nicht für die Frauen, mit denen wir im TAL DES SCHWEIGENS in solch patriarchalischer Gesellschaft mitleiden, wobei das fast ein Mißbrauch des Wortes 'patriarchalisch' ist, denn so gemein müssen Männer auch im Patriarchat nicht sein. Aber sie dürfen eben. Darum geht es.

 

Wie heißt es für den Fall und die Ermittler: die Arschkarte zieht der, der dort ermitteln soll, denn ist ein Weißer der Mörder, dann gibt’s Zunder unter den Zulus und ist es ein Farbiger, dann verschärft sich die Apartheid. Aber unter solchen Bedingungen erst mal einen Mörder finden? Da sind wir aber der Geschichte voraus, die gleich auf Seite 14 mit der Mädchenleiche beginnt. „Im frischen Frühlingsgras lag ein schwarzes Mädchen und starrte hinauf in den sanften blauen Himmel mit den Silhouetten durch die Luft sausender Vögel. Ihr Kopf ruhte auf einer zusammengerollten Schottenkaro-Decke. Winzige rote und gelbe Wildblumen waren über sie und den Boden verstreut. Drei oder vier der Blüte waren in ihren leicht geöffneten Mund gefallen.“ Solche poetischen Stellen tauchen immer wieder auf und sie sind keine Fremdkörper in der Erzählung, sondern die andere Seite der von Gewalt und vor allem von Gewalt gegen Frauen geprägten Gesellschaft, wo es natürlich auch Liebe, Geborgenheit, Vertrauen und Verantwortung gibt.

 

Vielleicht ist dies die wichtigste Erkenntnis bei der schwierigen Aufklärung des Mordes an diesem Mädchen, zu der ein weiterer Toter, ein junger schwarzer Mann hinzukommt, daß die Apartheid zwar trennt in Schwarz und Weiß, daß aber von den im Roman auftauchenden Menschen keine Schwarzweißmalerei getrieben wird. Und dann gibt es solche Grenzgänger, zu denen unsere drei Helden gehören, die beiden Detective und der Arzt, der hier als Pathologe unter den primitivsten Bedingungen arbeiten muß, die Boten einer fernen Zukunft sind, denn nach allem was man hört, hat Südafrika mit seiner restriktiven Vergangenheit und dem Gewaltpotential noch gewaltig zu kämpfen.

 

Bei dieser Geschichte ist nicht so sehr wichtig, wie dramatisch sich die Verhältnisse entwickeln, sondern eher, wie viele Einblicke in gelebtes Leben uns möglich gemacht wird. Und eben auch, daß nicht die Situation, in die einer hineingeboren wird, entscheidend für sein Verhalten wird, sondern daß die Buren, die Engländer, die Zulus in ihren jeweiligen Familien- und Stammesverbänden in Südafrika so unterschiedliche Individuen hervorbringen, daß man an der von Malla Nunn geschilderten Vielfalt der Persönlichkeiten, aber auch deren Verhaltensspektrum seine Freude hat.

 

Wie schade, daß wir vom Fischer Verlag kein Rezensionsexemplar für DIE UNANTASTBAREN von Richard Price erhalten haben, obwohl wir sofort im Dezember darum baten. Der Roman hatte ebenfalls auf Anhieb den 8. Platz der JahresZEITBestenListe eingenommen. Zudem hatte er den INTERNATIONALEN DEUTSCHEN KRIMI PREIS erhalten.

 

 

Die KrimiZEIT-Bestenliste FEBRuar 2016

 

Lfd.

Nr.

Rang

Vor-monat

Titel

1

1

(5)

Malla Nunn: Tal des Schweigens

Aus dem Englischen von Laudan & Szelinski

Ariadne im Argument-Verlag, 318 S., 13,00 €

Drakensberge, Südafrika 1953. DS Cooper und DC Shabalala sollen den Mord an einer schwarzen Land-Schönheit aufklären – die Arschkarte für Kriminalisten im Apartheid-Staat. Fallstricke überall: Zulu-Traditionen, Rassisten-Traditionen, Frauenunterdrückung sowieso. Behutsam, fein und klug: Nunn.

2

2

(2)

Richard Price: Die Unantastbaren

Aus dem Englischen von Miriam Mandelkow

S. Fischer, 432 S., 24,99 €

New York. Detective Billy Graves, Nachtschicht Manhattan, navigiert zwischen konkurrierenden Fixpunkte: Liebe, Rache, Solidarität, Schuld, the law. Gejagt von einem Stalker, voller Zweifel an und Liebe zu seinen Ex-Kollegen. Fünf Cops und ihre Dämonen: Sittenbild in Nahaufnahme. Stark.

3

3

(6)

Tito Topin: Exodus aus Libyen

Aus dem Französischen von Katharina Grän

Distel Literaturverlag, 233 S., 14,80 €

Libyen 2011. Acht Menschen fliehen vor dem Bürgerkrieg, bloß raus. Zwangsstop in einer umkämpften Wüstenstadt. Jetzt müssen sie sich ihrer persönlichen Wahrheit stellen. Was hat Gaddafis „Verderbtheit“ aus ihnen gemacht? Wie frei können sie werden? Der erste Kriminalroman der „Arabellion“.

4

4

(-)

Ryan Gattis: In den Straßen die Wut

Aus dem Englischen von Ingo Herzke

Rowohlt Polaris, 528 S., 16,99 €

Los Angeles 1992. Aufruhr. Stadt ohne Staat. Hier: Feuerwehr, Nationalgarde, Killercops. Dort: Latino-Gangs. Kids als Mobster. Im Tumult Blutrechnungen begleichen. Ernesto, Bruder, guter Mann totgeschleift. Unterm Qualm rennen, schießen sie: Trauer, Fluchtversuche, Machokampf. 6 Tage Wahnsinn. Unbelievable.

4

5

(1)

Fred Vargas: Das barmherzige Fallbeil

Aus dem Französischen von Waltraud Schwarze

Limes, 512 S., 119,99 €

Paris, Island. Bei den Leichen vorgeblicher Selbstmörder entdeckt Adamsbergs Brigade die Zeichnung einer Guillotine, Hinweis auf einen Geheimbund von Robespierre- und Revolutionsdarstellern. Doch Adamsberg zieht es zum Polarkreis. „Die Revolution frisst ihre Kinder“ in der arktischen Version, made by Fred Vargas.

6

6

(4)

Oliver Bottini: Im weißen Kreis

DuMont, 304 S., 14,99 €

Freiburg, Stuttgart, 2006. Kommissarin Louise Bonì, trocken seit drei Jahren, stößt auf ein Waffengeschäft, landet im nationalsozialistisch kluxenden Untergrundsumpf und kämpft aussichtslos an zwei Fronten: gegen den deutschen Verfassungsschutz und um das Leben eines traurigen Mannes aus Ruanda.

7

7

(7)

Jeong Yu-jeong: Sieben Jahre Nacht

Aus dem Koreanischen von Kyong-Hae Flügel

Unionsverlag, 524 S., 19,95 €

Auf dem Land in Südkorea. Seit sieben Jahren wird Sowon aus Schulen und von Arbeitsplätzen vertrieben. Er ist der Sohn des „Stausee-Monsters“, das eine Staumauer öffnete und Hunderte Menschen umbrachte. Wie es so weit kommen konnte, erzählt Jeong meisterhaft und voll Einsicht in seelische Verwirrungen.

8

8

(9)

Paul Mendelson: Die Unschuld stirbt, das Böse lebt

Aus dem Englischen von Jürgen Bürger

Rowohlt Polaris, 480 S., 14,99 €

Kapstadt. Vor sieben Jahren sind drei Jungen verschwunden, jetzt werden zwei als Leichen aufgefunden, missbraucht, unterernährt. Kein Gejaule über Gut, Böse, Seele oder Soziales.Mendelson konzentriert sich in seinem Krimidebüt nüchtern auf Fakten und Handlungen: Ermittlungen, Spuren, Szenen. Prima.

9

9

(-)

 

Joseph Kanon: Leaving Berlin

Aus dem Englischen von Elfriede Peschel

C. Bertelsmann, 448 S., 19,99 €

Ost-Berlin 1949. Exil-Schriftsteller Alex Meier soll in CIA-Auftrag Kulturbund und Kommunisten bespitzeln. Atmosphärisch genau rekonstruiert: ein Mann im Kalten Krieg mit eigener Agenda zwischen den Stühlen. Cameos: Brecht, Weigel, Janka, andere Kulturgrößen. Clever und ideologieresistent.

10

10

(3)

 

Adrian McKinty: Gun Street Girl

Aus dem Englischen von Peter Torberg

Suhrkamp, 376 S., 14,99 €

Belfast 1985. Die Eltern, der Sohn, die Freundin – alle umgebracht, professionell, als Selbstmord getarnt. DI Sean Duffy stochert im vierten Band der Serie erneut in den Geheimdienstsümpfen, die sich zwischen Belfast, London und den USA erstrecken. Bester historischer Stoff, das heißt bedenkenswert aktuell.

 

 

 

 

INFO:

 

Die monatlich erscheinende Krimi-Bestenliste existiert seit März 2005, als sie erstmals auf der Leipziger Buchmesse, damals noch als KrimiWelt-Bestenliste vorgestellt wurde. Von März 2011 an wird sie regelmäßig an jedem ersten Donnerstag des Monats in der Wochenzeitung DIE ZEIT als KrimiZEIT-Bestenliste veröffentlicht.

 

Vorgestellt wird die KrimiZeit-JahresBestenListe

- im NordwestRadio am Donnerstag, den 17. 4. Februar 2016mit Tobias Gohlis gegen 9.20 Uhr sowie später in den Sendungen der „Buchpiloten2, nachzuhören unter

http://www.radiobremen.de/nordwestradio/serien/krimizeit/index.html

- für die Wochenzeitung DIE ZEIT am 4. Februar2016.

 

 

Monatlich wählen einundzwanzig auf Kriminalliteratur spezialisierte Literaturkritiker aus Deutschland, Österreich und der Schweiz aus der Masse der Neuerscheinungen die zehn Titel aus, denen sie viele Leser wünschen. Das Beste vom Besten: Immerhin erscheinen übers Jahr verteilt inzwischen über 1800 Kriminalromane auf Deutsch. An jedem ersten Donnerstag im Monat geben Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Sie halten nach dem literarisch interessanten, thematisch ausgefallenen, besonderen Kriminalroman Ausschau. Die besten Zehn werden mit Bibliographie und Kurzbeschreibung hier veröffentlicht.

 

 

Die Jury der KrimiZEIT-Bestenliste auf dem aktuellen Stand:

 

Tobias Gohlis, Kolumnist DIE ZEIT, DeKrPr*, Moderator und Jury- Sprecher der Krimiwelt

Volker Albers, Hamburger Abendblatt, DeKrPr*

Andreas Ammer, „Druckfrisch“, Dlf, BR, DeKrPr*

Gunter Blank, Sonntagszeitung Zürich

Thekla Dannenberg, Perlentaucher

Fritz Göttler, Süddeutsche Zeitung

Michaela Grom, SWR

Hannes Hintermeier, Frankfurter Allgemeine Zeitung

Lore Kleinert, Radio Bremen 

Elmar Krekeler, Die Welt

Kolja Mensing, Dradio Kultur

Ulrich Noller, Deutsche Welle, WDR, DeKrPr*

Jan Christian Schmidt, www.Kaliber 38.de, DeKrPr*

Margarete v. Schwarzkopf, Freie Literaturkritikerin

Ingeborg Sperl, Der Standard - Wien

Sylvia Staude, Frankfurter Rundschau, DeKrPr*

Jochen Vogt, NRZ, WAZ

Hendrik Werner, Weser-Kurier

Thomas Wörtche, Plärrer, culturmag, Dradio Kultur, Penser Pulp bei Diaphanes, DeKrPr*

 

In der Regel kommentieren wir die von der Jury neu plazierten Krimis. Alle weiteren plazierten Krimis der Vormonate entnehmen Sie bitte unseren Krimi-Besprechungen in den vormonatlichen Artikeln, die Sie in der RUBRIK BÜCHER auf dem Titel oder unter dem Autorennamen im Archiv finden.

Das Prozedere der Platzverteilung für die Liste ist ganz einfach. Dreimal darf ein Kritiker aus der Jury einen Roman benennen. Wenn das gut verteilt ist, kann ein Buch einige Monate überwintern, dann hat es nur noch die Chance, in der Jahresbestenliste wieder aufzutauchen, die jeweils Ende Dezember herauskommt und die wir für 2015 hier ebenfalls kommentierten.

 

http://weltexpresso.tj87.de/index.php?option=com_content&view=article&id=6227:die-jahresbestenliste&catid=78:buecher&Itemid=470

 

http://weltexpresso.tj87.de/index.php?option=com_content&view=article&id=6228:vier-der-besten-haben-frauen-geschrieben&catid=78:buecher&Itemid=470