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Kategorie: Bücher

KrimiZEIT-Bestenliste in ZEIT und NordwestRadio  für Mai 2012 



Elisabeth Römer 

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Das haben wir mit etwas sieben Hinweisen herbeigeschrieben, reden wir uns ein, dabei ist die Plazierung auf dem ersten Platz für DIE NACHT DES ZORNS einfach der phänomenalen Romanvorlage der Vargas geschuldet. Es dauerte wohl nur etwas, bis das die Jurymitglieder würdigten, bzw. bevor sie das dicke Buch lesen konnten.

 

Deshalb können wir es jetzt hier kurz machen. Diese Geschichte, die in Paris anfängt, in der Normandie spielt, aber in Paris erneut zum Leben erwacht, ist nicht nur eine von heute, sondern vereinnahmt wie jede Gegenwart die Vergangenheit und zwar nicht die von gestern, sondern gleich die mittelalterliche mit. Es geht um DIE WILDE JAGD, und unser Kommissar Adamsberg ist nicht nur mit einem deutschen Namen behaftet, sondern auch wild auf die Normandie und ihre Mythen. Wie eines dazu in das andere spielt, ist erstaunlich und wie immer sind das skurrilen Personal des Krimis allein das Lesen wert. Schauen Sie nach unseren ausführlichen Besprechungen unter den unteren Links.

 

Wir haben auch die Nummer 2, LONDON KILLING von Oliver Harris aus dem Blessing-Verlag verschlungen. Sehr zeitgemäß, fast ein wenig modisch, findet man erst einmal den Plot. Detective Belsey ist so ein richtiger Verlierertypus, dem alles daneben geht. Privates, nicht mal ein Dach hat er mehr über dem Kopf, dann kann er den Alkohol nicht lassen und wacht nicht nur mit einem Brummschädel auf, sondern auch mit der Gewißheit, daß er einen Streifenwagen demoliert hat. Was tun? Abhauen und am allerbesten England verlassen. Doch, als er herausfinden soll, warum in der Villa im reichsten Bezirk des nördlichen London, Hampstead, der Besitzer verschwunden ist, macht er sich selbst zum russischen Oligarchen namens Devereux.

 

Er schrammt ununterbrochen an den Normen des Gesetzes entlang, als er diese abenteuerliche Situation weiterspielt, dazwischen aber sein bürgerliches Dasein als Detective weiterführt, denn hinter dem harten Hund und frechen Kerl, den er locker gibt, steckt ein moralischer Kern, der die Guten leben lassen und die Bösen ins Gefängnis bringen will. Aber das ist alles doppelbödiger. Denn der Verschwundene Superreiche könnte für immer sein Ausweg aus der Misere und sein Glück von morgen sein. Deshalb spielt er nicht nur diesen, sondern nimmt dessen Identität an, seine Auto, das Haus und das Geld. Der Leser, der sehr früh den eigentlichen Täter zu kennen glaubt, ist dem Autor so richtig auf die Leimspur gegangen. Denn am Schluß ist dann alles ganz anders, als gedacht.

 

Kaum zu glauben, daß dies der erste Roman, also ein Debüt als Schriftsteller, nicht nur als Krimiautor von Oliver Harris ist. Der Klappentext erzählt, daß er 1978 in London geboren, Englische Literatur studiert habe und gerade an seiner Doktorarbeit sitze. Der Name Harris kommt einem deshalb bekannt vor, weil Robert Harris, 1957 in England geboren, der bekannte Schriftsteller ist, der auch Thriller schrieb – ANGST bei Heyne – der aber vor allem neben den Sachbüchern durch seine Romane wie ENIGMA, POMPEJI, IMPERIUM und GHOST bekanntwurde. Letzteres wurde durch die Verfilmung durch Roman Polanski als Ghostwriter besonders bekannt und brachte Harris den Europäischen Filmpreis für das beste Drehbuch ein. Das nur nebenbei.

 

Die neuen Romane sind: Auf Platz 5 HIGH LIFE von Matthew Stocker, erschienen bei Arche, DIE SPRACHE DES FEUERS von Don Winslow auf Platz 7 aus dem Suhrkamp Verlag, ein Autor, der immer Rekordverdächtig ist, sodann auf Platz 8 DAS EISERNE HAUS von John Hart, bei C.Bertelsmann erschienen und TÖDLICHE GESCHENKE von Carol O'Connell von btb/Randomhouse. Mit den meisten Büchern hinken wir, da ungelesen, noch hinterher. Aber die TÖDLICHEN GESCHENKE haben uns nächtelang nicht schlafen lassen.



Nicht nur, weil die 415 Seiten von Carol O'Connell gelesen sein wollen, sondern vor allem, weil deren Gehalt einen einfach beschäftigt. Vordergründig sind es die Knochen, die täglich auf der Terrasse des alten Vaters auftauchen und die dieser sorgfältig sammelt. Sein jüngerer Sohn Josh ist vor zwanzig Jahren in den Wald aufgebrochen, wie so oft, aber diesmal nicht wiedergekommen. Nur der ältere Sohn, Oren, kam zurück, ohne über den Verbleib des Bruders etwas auszusagen. Kein Wunder, daß er unter der Hand verdächtigt wurde, damit etwas zu tun zu haben, weswegen ihn der Vater weit weg in ein Internat steckte, von wo aus Oren in die Welt ging und erfolgreich bei der Army wurde.

 

Genau dieser Oren kommt nun zurück und bleibt die Hauptfigur dieser Erzählung, die aus seiner Perspektive erzählt wird, denn wir sind als Leser immer so schlau wie der Ermittler Oren, der auch anfangen muß, gegen sich selbst zu ermitteln. Die handelnden Personen, selbst oder gerade die aufopferungsvolle Hannah sind alle zwielichtig. Irgendetwas Geheimes muß vor sich gegangen sein, vor 20 Jahren, als Josh verschwand. Auch uns packt irgendwann die Manie, der Knochengeschichte – tatsächlich sind es die von Josh, aber zu viele, weswegen eine zweite Person tangiert ist – auf den Grund zu gehen und sind mittendrin im Südstaatenmilieu des nördlichen Kaliforniens. Sehr gut gemacht.

 

Lfd.

Nr.

Rang

Vor-monat

Titel

1

1

(4)

Fred Vargas: Die Nacht des Zorns

Aus dem Französischen von Waltraud Schwarze

Aufbau, 454 S., 22,99 €

Paris/Normandie. In Ordebec wurde „Die Wilde Jagd“ gesehen. In der Horde: vier Männer aus dem Dorf. Todgeweiht? Kommissar Adamsberg, genervt vom Mord an einem Finanzmagnaten, folgt fasziniert normannischen Mythen, Ängsten, Intrigen. Nach drei Jahren Abstinenz: der neue Polar Poétique von Vargas.

2

2

(2)

Oliver Harris: London Killing

Aus dem Englischen von Wolfgang Müller

Blessing, 480 S., 19,95 €

London Hampstead. Als Detective Belsey das Haus eines russischen Oligarchen leer findet, ergreift er die Chance, sein beschissenes Leben zu ändern. Er übernimmt Auto, Haus und Kreditkarte. Und die Feinde des Milliardärs. Rasantes Debüt. Oliver Harris gewinnt dem British Noir unverfrorene Heiterkeit ab.

3

3

(3)

Oliver Bottini: Der kalte Traum

Dumont, 448 S., 18,99 €

Rottweil/Berlin/Kroatien. 15 Jahre, nachdem Thomas Ćavar in Bosnien gefallen ist, wird er gesucht. Vom kroatischen Geheimdienst, von der deutschen Polizei und einer Journalistin. Thomas, aufgewachsen in Rottweil, wollte 1995 die kroatische Heimat retten. Kluger, starker politischer Roman. Nah an den Tatsachen: Kriegsverbrechen und Folgen.

4

4

(1)

Donald Ray Pollock: Das Handwerk des Teufels

Aus dem Englischen von Peter Torberg

Liebeskind, 304 S., 19,80 €

Meade, Ohio/Coal Creek, West Virginia. Mit 10 hungert und betet Arvin Russell gegen das Sterben seiner Mutter an. Mit 18 hat er vier Menschen erschossen. Dann haben ein Vergewaltiger, zwei Serienmörder, ein mörderischer Sheriff und ein Prediger-Paar seinen Weg gekreuzt. Wüstes, grandioses Romandebüt.

5

5

(-)

Matthew Stokoe: High Life

Aus dem Englischen von Joachim Körber

Arche, 448 S., 19,95 €

Los Angeles. Jack will ein vollkommenes Geschöpf werden, einer wie Brad Pitt. Der Mord an seiner Frau Karen wird zum Start seiner Karriere. Vorgeblich auf der Suche nach dem Mörder, partizipiert Jack als Stricher, Lover, Killer voll am High Life: Snuff und Brutal-Sex inklusive. Nicht so raffiniert wie American Psycho, aber bös.

6

6

(8)

Bernhard Jaumann: Steinland

Kindler, 320 S., 19,95 €

Windhoek/Karibib. Auf Steinland wurde der Farmer erschossen, der Sohn entführt. Chief Inspector Clemencia Garises in der Klemme: Unter den Gangstern aus der Township war ihr Bruder. Im Hintergrund der Klassenkampf um Landbesitz. Ein brisanter Fall: Wird Namibia ein zweites Simbabwe?

7

7

(-)

Don Winslow: Die Sprache des Feuers

Aus dem Englischen von Chris Hirte

Suhrkamp, 419 S., 14,99 €

Dana Point 1997. Brandschadenregulierer Jack Wade weiß, dass Immobilienhai Nick Vale seine Frau Pamela verbrannt hat. Er muss es nur beweisen. Auf dem Spiel steht der letzte unberührte Strand im Süden. Harter Fight zwischen dem alten Kalifornien und der Gier-und-Gang-Moderne. Bravourös.

8

8

(-)

John Hart: Das eiserne Haus

Aus dem Englischen von Rainer Schmidt

C. Bertelsmann, 512 S., 19,99 €

New York/North Carolina. Drei Findelkinder. Zart: Julian, stark: Michael, gerissen: Abigail. Schicksale, verknüpft mit dem eisernen Waisenhaus. Erneut verknotet, als Michael, erwachsen, nicht mehr morden will. Der Killer hat die Liebe gefunden, tötet die Bösen und trabt in den Sonnenuntergang.

9

9

(6)

Andrea Maria Schenkel: Finsterau

Hoffmann und Campe, 126 S., 16,99 €

Finsterau, Oberpfalz, 1947. Afras Aufbruch ist gescheitert. Mit einem Kind von einem französischen Zwangsarbeiter musste sie zurück zu den Eltern. Ihr Vater wird verhaftet, als man Mutter und Kind erschlagen findet. Gewalt, Armut, Nachkriegszeit. In Ton und Handlung Anklänge an Tannöd, Schenkels großen Erfolg.

10

10

(-)

Carol O’Connell: Tödliche Geschenke

Aus dem Englischen von Renate Orth-Guttmann

btb, 416 S., 14,99 €

Coventry, nördliches Kalifornien. 20 Jahre nach dem Verschwinden seines Bruders Josh, der schon als Kind ein begnadeter Photograph war, kehrt Militärpolizist Oren zurück ins Heimatstädtchen. Auf Vaters Terrasse liegen Josh’s Knochen. Oren puzzelt unter schrägen Vögeln. Crazy Sweet California.






Info:

Rund 1200 neue Kriminalromane erscheinen pro Jahr in Deutschland. Selbst ausgefuchste Leser verlieren angesichts dieser Masse den Überblick. Orientierung bietet aktuell die Mai Ausgabe der KrimiZeit-Bestenliste von ZEIT und NordwestRadio. 

Die monatlich erscheinende Krimi-Bestenliste existiert seit März 2005, als sie erstmals auf der Leipziger Buchmesse, damals noch als KrimiWelt-Bestenliste vorgestellt wurde. Von März 2011 an wird sie regelmäßig an jedem ersten Donnerstag des Monats in der Wochenzeitung DIE ZEIT als KrimiZEIT-Bestenliste veröffentlicht. 

Vorgestellt wird sie

In den Literatursendungen des NordwestRadio ( mit Tobias Gohlis)

http://www.radiobremen.de/nordwestradio/serien/krimizeit/index.html unter www.zeit.de mit Kurzrezensionen der Juroren, Kommentaren des Jurysprechers („What’s New?“) und weiteren Informationen zu Büchern und Autoren („Krimiautoren A-Z“)

 in der Wochenzeitung DIE ZEIT am 5. Mai 2012



Monatlich wählen achtzehn auf Kriminalliteratur spezialisierte Literaturkritiker aus Deutschland, Österreich und der Schweiz aus der Masse der Neuerscheinungen die zehn Titel aus, denen sie viele Leser wünschen. Das Beste vom Besten: Immerhin erscheinen übers Jahr verteilt über 1200 Kriminalromane auf Deutsch. An jedem ersten Donnerstag im Monat geben Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Sie halten nach dem literarisch interessanten, thematisch ausgefallenen, besonderen Kriminalroman Ausschau. Die besten Zehn werden mit Bibliographie und Kurzbeschreibung hier veröffentlicht.

 Die Jury setzt sich zusammen aus: 

Tobias Gohlis, Hamburg, Kolumnist DIE ZEIT, Moderator und Jury-Sprecher der KrimiWelt

Volker Albers, Hamburg, Hamburger Abendblatt, Herausgeber „Schwarze Hefte“
Andreas Ammer, Berg, „Druckfrisch“, Dlf, BRGunter Blank, Sonntagszeitung

Thekla Dannenberg, Perlentaucher
Fritz Göttler, München, Süddeutsche Zeitung
Michaela Grom, Heidelberg, SWR
Lore Kleinert, Bremen, Radio Bremen
Thomas Klingenmaier, Stuttgart, Stuttgarter Zeitung
Kolja Mensing, Berlin, Tagesspiegel
Ulrich Noller, Köln, Deutsche Welle, WDR
Jan Christian Schmidt, Berlin, Kaliber 38
Margarete v. Schwarzkopf, Köln, NDR
Ingeborg Sperl, Wien, Der Standard
Sylvia Staude, Frankfurt/M., Frankfurter Rundschau

Jochen Vogt, Elder Critic, NRZ, WAZ
Hendrik Werner, Bremen, Weser-Kurier
Thomas Wörtche, Berlin, Kolumnist, Plärrer , culturmag, DRadioKultur

In der Regel kommentieren wir die von der Jury neu plazierten Krimis. Alle weiteren plazierten Krimis der Vormonate entnehmen Sie bitte unseren Krimi-Besprechungen in den vormonatlichen Artikeln, die Sie unter Kultur. Bücher oder unter dem Autorennamen im Archiv finden. Viermal darf inzwischen ein Buch einen Platz bekommen, dann scheidet es aus und hat nur noch die Chance, in der Jahresbestenliste wieder aufzutauchen, die Ende Dezember herauskommt und die wir für 2011 ebenfalls kommentierten. 

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/312-bester-kriminalroman-des-jahres-wird-qroter-glamourq-von-ariadne-im-argument-verlag

Die Einzelbesprechungen zu Fred Vargas:

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/546-wir-sind-suechtig

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/547-mehr-vom-skurrilen-personal

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/590-wer-sie-ist-und-was-die-anderen-ueber-fred-vargas-und-ihre-kriminalromane-sagen



www.zeit.de/krimizeit-bestenliste





 

 







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