Sebastião Salgado in Schwarz Weiß in Frankfurt, Teil 2/3

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Es gibt Bücher, hier Bildbände, die einen ein Leben lang begleiten. Und dabei sind immer wieder welche aus dem Taschen Verlag! Das liegt sicher an deren Opulenz und eben den kulturhistorischen Themen, die uns besonders begeistern.



GENESIS ist ja erst im Jahr 2013 erschienen und hat dann durch die Ausstellung der dem Band zugrundeliegenden Fotografien in Berlin und durch den thematisch in andere Richtung laufenden Film von Wim Wenders DAS SALZ DER ERDE über den Fotografen  Sebastião Salgado und seinen Sohn und deren fotografische Arbeiten – beide im Jahr 2015 – eine zusätzliche Bedeutung gewonnen.

Und als wir uns den dicken schweren schönen Bildband im reinen Schwarz-Weiß – übrigens die Unterzeile, daß das Schwarz Weiß auf Frankfurt verweist, hat nur damit zu tun, daß wir ihn in die Redaktion nach Frankfurt geschleppt haben – nun wegen der MIGRATIONS-Ausstellung in der Frankfurter Uni wieder einmal vornahmen, tja, erst da fiel uns schon bei der Umschlagseite auf, daß der Taschen Verlag in einer langen Spalte eigentlich schon alles über den Band gesagt hat. Da heißt es nämlich: „UNVERGÄNGLICHE WELT. Eine fotografische Hommage an unseren Planeten in seinem ursprünglichen Zustand.“

Genau das vermitteln die auf 580 Seiten gedruckten Fotos – ja, Texte sind auch dabei, am Anfang, aber ab Seite 19 fängt das Fotografiewunder an. Schon hier auf dem ersten Foto, was im Beiblatt dann  mit „Ein Eisberg treibt auf dem Weddell-Meer. Antaktische Halbinseln. Januar und Februar 2005“ heißt, sieht die Phantasie und das eigene Bildgedächtnis viel mehr. Ganz klar könnten das aufgeschichtete Wolkentürme am Firmament sein oder – und das liegt uns noch näher, der für die Herstellung von Baiser oder Salzburger Nockerln geschlagene Eischnee.

Das nur als kleines Beispiel, daß der so weise Spruch von Marcel Proust, daß nämlich jeder Leser nur der Leser seiner selbst sei, auch für die darstellende Kunst gilt, für die Musik sowieso. Und damit das auch rundherum verständlich ist, hier das korrekte Zitat von Marcel Proust: „In Wirklichkeit ist jeder Leser, wenn er liest, ein Leser nur seiner selbst. Das Werk des Schriftstellers ist dabei lediglich eine Art von optischem Instrument, das der Autor dem Leser reicht, damit er erkennen möge, was er in sich selbst vielleicht sonst nicht hätte erschauen können.“

Das ist genauso eine Binsenweisheit wie es eine tiefe Weisheit ist und nur zu oft vergessen wird, woraufhin sich der Einzelne für die Kunst dann herausreden kann damit, daß wir auch ein kulturelles Gedächtnis haben, hier also ein kulturelles tradiertes Bildgedächtnis.  Auf solche Gedanken kommt man einfach, weil allein das Blättern in GENESIS einen abheben läßt. Die reinen Landschaftaufnahmen sind sowieso so schön, daß es einem Tränen in die Augen treibt, wie schön die Natur, wie schön die Erde an diesen Flecken ist. Und was Wasser bedeutet, ob Meer oder See oder Fluß, es ist unvergleichlich, welche Weisheit, Tiefe und Weite in Wasserbildern liegt.

Und trotzdem, wir geben es zu, etwas hebelt uns noch viel grundsätzlicher aus. Das sind die Tierbilder. Die auf den Seiten 24 und 25 als Masse auftretenden Pinguine – es sind einige der über 750 000 Zügelpinguine auf den Süd-Sandwichinseln, sagt der schlaue Kommentar, kann man ja noch als kleinere Statisten fast übersehen, aber die beiden Seeelefanten auf den Seiten 30/31 sind wie klassische Skulpturen der Antike, eingefroren von der Kamera im Moment der Ekstase, Freud und Leid. Unglaublich.

Und doch gab es eine weitere Steigerung in unserer Emotion, als wir auf den Seiten 52-55 die von uns als Enten wahrgenommenen Tiere sahen, die wie das Flugbeispiel über ihren Köpfen zeigt, mitnichten Enten sind, sondern Albatrosse – und zwar erst mal nur Tausende der über 500 000 Paare von Schwarzbrauenalbatrossen – das Rechtschreibprogramm will die nicht und zwingt uns stattdessen ständig nicht vorhandene Schwarzbraunalbatrosse auf! - , die auf den Falklandinseln zu Hause sind, der größten Albatroskolonie der Welt. Aber nicht darum ging der Krieg zwischen Argentinien und Großbritannien – und das war schon 1982, also vor über 34 Jahren. Verblüfft erkennen wir dann auf der Seite 56, wo nämliche Albatrosse lagern, daß wir nicht mehr auf den Falklandinseln sind, sondern auf den Willis-Inseln in Südgeorgien. Nicht zu fassen, denn es sieht ähnlich aus. Und wenn Sie dann die Innenseiten57/58 betrachten, wird Ihnen auch noch schwindelig von den Übereinstimmungen der Tiere und Landschaften.

Diese Erfahrung überwältigt uns immer wieder, daß wir uns in einem Land, auf einem Erdteil wähnen – aber ganz woanders sind. Die Erde ist nämlich nicht nur sehr unterschiedlich. Sie ist in Teilen – verstreut über die Länder – dann auch wieder sehr gleich. Und weil wir die Pinguine nicht genug gewürdigt hatten, bringt uns Salgado unser Versäumnis auf den Seiten 64 und 65 so recht ins Bewußtsein. Diese Königspinguine leben ebenfalls in einer Bucht in Südgeorgien, in ihrer weltweit größten Kolonie von Königspinguinen, mit rund 300 000 Paaren. So hat sie Salgado im November und Dezember 2009 im Bild verewigt, wie Musterschüler, die aufrecht der Welt entgegenstarren und eines genau wissen: gemeinsam ist man stärker und wärmer ist es auch, so eng stehen sie beieinander, wo doch Tiere sehr oft – wie die Menschen – auf Abstand gehen. Doch schleicht sich bei diesem schönen Anblick immer merklicher der bittere Gedanke ein: wie lange noch?

Für heute genug. Das war ja anläßlich der Fotoausstellung von MIGRATIONS in der Frankfurter Uni ja nur die Erinnerung an den wunderbaren Bildband GENESIS aus dem Taschen Verlag. Wir nehmen uns fest vor, bei der nächsten Gelegenheit die Seiten weiterzublättern, denn zu den Menschen und auch den Texten sind wir ja im 580 Seiten starken Band noch gar nicht gekommen. Aber schon jetzt glücklich, daß es etwas so Schönes auf Buchseiten und in Schwarz Weiß gibt! Fortsetzung folgt also irgendwann. Aber gleich die vom Film DAS SALZ DER ERDE.


INFO:


Bildband: Sebastião Salgado „Genesis“, gebunden, 580 Seiten mit Einlegeheft Erklärungen zu den Fotos, Taschen-Verlag, 49,99 Euro


Ausstellung: Sebastião Salgado, MIGRATIONS, bis 15.7. 2016 in der Studiengalerie 1.357, IG-Farbenhaus, Campus Westend, Goethe-Uni Frankfurt



Film/ DVD und Blu-Ray

Das Salz der Erde. Eine Reise mit Sebastião Salgado. Ein Film von Wim Wenders und Juliano Ribeiro Salgado

DVD
Ton: Dolby Digital 5.1
Sprachen: Deutsch mit französischen und portugiesischen Passagen
Untertitel: Deutsch
Bild: 16:9 (1,85:1)
Länge: 106 Min
FSK: Hauptfilm 12

Blu-Ray
Ton: DTS-HD Master Audio 5.1
Sprachen: Deutsch mit französischen und portugiesischen Passagen
Untertitel: Deutsch
Bild: 16:9 (1,85:1) / 1080p
Länge: 110 Min
FSK: Hauptfilm 12

BONUSMATERIAL

Deleted Scenes · Papu’s Song - Musik Video · Featurette Premiere in Essen & Berlin
· Kinotrailer · Erstauflage mit Postkarten-Set: 4 Motive von Sebastião Salgado


 

Info II: Letzjährige Artikel in Weltexpresso über Salgado:


http://weltexpresso.wurzelknoten.de/index.php/kino/5155-der-dokumentarfilm-das-salz-der-erde



http://weltexpresso.wurzelknoten.de/index.php/kunst2/5154-genesis-der-katalog



http://weltexpresso.wurzelknoten.de/index.php/kunst2/5153-seine-ausstellung-genesis