Jury nominiert 20 Romane. Deutscher Buchpreis 2016, Teil 3

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso - Es gibt auf Anhieb, noch ohne die Romane zu kennen, über diese lange Liste 2016 einiges zu sagen und zu fragen. Nein, nicht zur Auswahl, die können wir heute nicht überprüfen, da wir fast alle Bücher nicht kennen. Es muß sich um viele junge und noch nicht so bekannte Autoren handeln.

Aber auf den ersten Blick hat es noch nie so wenige Frauen bei der Buchpreisverleihung gegeben. Nur sechs Frauen gegenüber 14 Männern. Das erstaunt erst einmal. Der zweite Blick gilt den Verlagen. Wo ist Hanser, der 'Abräumer' vom Dienst, der seit Beginn des Deutschen Buchpreises jedes Jahr mehrfach auf der Auswahlliste vertreten war, ja sogar bei den folgenden letzten Sechs mehrfach dabei war.

 

Kein einziger Hanser-Roman auf der langen Liste. Da muß sich der immer noch neue Chef von Hanser, Jo Lendle, der dem so erfolgreichen, aber auch ganz schön „Überalldabei“ Michael Krüger folgte, schon etwas überlegen, will er den Verlagsnamen so hochhalten wie er war. Ähnliches gilt diese Jahr für Suhrkamp, die in den letzten Jahren Hanser noch überflügelten und 2012 fünf Titel unter den letzten 20 hatten und sogar noch dreimal unter den letzten Sechs vertreten waren.

 

Wo sind die anderen erfolgreichen Verlage? Nicht vertreten sind Piper, Dumont, Hoffmann und Campe, die seit Jahren nicht favorisiert sind, aber dafür dreimal Kiepenheuer & Witsch. Und vor allem fällt auf einmal der Rowohlt Verlag aus dem ihm zuvor gesteckten Rahmen. In den ersten Jahren war Rowohlt sozusagen bei den besten Romanen nicht vorhanden und ist diesmal – allerdings nur Rowohlt Berlin – gleich dreimal benannt. Das ist eine wirkliche Auszeichnung für die Verlagsarbeit.

 

Wir sehen auch mit Vergnügen, daß Jung und Jung wieder dabei ist. Wieder sind es zwei Frauen, die dieser exquisite Verlag hier vorstellt. Dem Verleger Jochen Jung ist es gelungen, zweimal eine Autorin im Abstand von zwei Jahren als Preisträgerin krönen zu lassen. Unvergessen, denn beide Romane sind aus unterschiedlichen Gründen etwas ganz Besonderes. Melinda Ndj Abonji erhielt den Preis für TAUBEN FLIEGEN AUF im Jahr 2010, einige Wochen später dazu auch den Schweizer Buchpreis für ihre eigene Migrantengeschichte. anrührend und sprachlich feinsinnig.

 

Eine Exilgeschichte dagegen legte Buchpreisgewinnerin Ursula Krechel 2012 mit LANDGERICHT vor, von einem Juristen, der sich nach Kuba rettete und in der westdeutchen Nachkriegszeit - sich als Opfer verstehend - zurückkommt und erwartet, seine alte Richterstelle wieder einnehmen zu können, wobei die bundesrepublikanische nachfaschistische Gesellschaft jedoch ihm das Richteramt wegen zu erwartender mangelnden Objektivität vorenthalten wird, denn als geflohener Jude habe er sicher Vorbehalte gegen Deutsche. Daß er selber Deutscher ist und daß die alten Nazirichter einfach weiterhin Richter in der BRD bleiben durften, deren mangelnde Objektivität doch sehr viel näherlag, ist in diesem Roman so meisterlich verarbeitet, daß man, wie man hier merkt, noch Jahre später an der Geschichte zu knabbern hat.

 

Den Vogel schießt jedoch der S.Fischer Verlag ab. Gleich fünfmal ist er bei den zwanzig Romanen dabei, das bedeutet, daß sich ein Viertel der Zwanzigerliste in einem einzigen Verlag findet. Allerdings finden wir sehr bedauerlich, daß keine einzige Autorin dabei ist, auch bei Fischer nur Männer.

Dann gibt es auf die Liste eine Menge Verlage, die wenigsten einen Schriftsteller oder eine Schriftstellerin auf die Liste bekamen, darunter zum einen bewährte Romanverlage wie der Berlin Verlag oder auch der Aufbauveröag, der immer schon viel bessere Bücher hatte als allgemein wahrgenommen. Aber daß dann Matthes & Seitz dabei ist, der Lenos Verlag aus Basel, der Paul Zsolnay aus Wien (der heute zum Hanser Verlag gehört, wodurch der durch die Nebentür doch wieder dabei ist), das freut einen, denn es zeigt, daß auch kleinere Verlage Chancen haben, wenn es um Qualitiät geht. Auch die Frankfurter Verlagsgesellschaft ist vertreten mit ihrem Starautor Bodo Kirchhoff, der schon längst für eine Ehrung angesagt ist.

 

Wer aber nicht dabei ist, das ist der derzeit interessanteste Schöffling Verlag aus Frankfurt. Bekam er in diesem Jahr einfach zu viele Preise? Denn er räumte im Bereich der Poesie sowieso alles mögliche ab, erhielt aber in Leipzig für seinen Autor Guntram Vesper für FROHBURG auch noch den Leipziger Buhpreis. Der Verlag wird die diesjährige Nichtkenntnisnahme der Buchpreisjury verschmerzen, aber um die vor allem jungen Schriftstellerinnen ist es leid. Dabei hätten – sie oben – der Liste ein paar mehr Autorinnen gut getan.

 

Leider erfährt man von der Jury immer nur die Anzahl der eingereichen Romane, nicht ihre Herkunft. Denn es ist ja die Regel, daß ein Verlag nur zwei Romane einreichen kann. Und wenn man bei Verlagen nachfragt, um welche zwei Romane es sich gehandelt hat, wird meist keine Auskunft gegeben, was schon damit zu tun hat, daß nicht nach außen dringen soll, wer nicht benannt wurde.

 

Daß dann Verlage doch mit drei und mehr Autoren, bzw. Titeln auf der Liste vertreten sind, hat einen ganz anderen Grund. Zu den beiden Bänden, die Verlage einschicken können, kommen noch die Romane hinzu, die einzelne Juroren anfordern können, denn die Jurymitglieder dürfen aus eigener Kenntnis zusätzliche Vorschläge machen und solche Vorschläge sind auch schon Buchpreisträger geworden. Demnächst mehr.

 

 

Die nominierten Romane (in alphabetischer Reihenfolge):

 

Akos Doma: Der Weg der Wünsche (Rowohlt Berlin, August 2016)

Gerhard Falkner: Apollokalypse (Berlin Verlag, September 2016)

Ernst-Wilhelm Händler: München (S. Fischer, August 2016)

Reinhard Kaiser-Mühlecker: Fremde Seele, dunkler Wald (S. Fischer, August 2016)

Bodo Kirchhoff: Widerfahrnis (Frankfurter Verlagsanstalt, September 2016)

André Kubiczek: Skizze eines Sommers (Rowohlt Berlin, Mai 2016)

Michael Kumpfmüller: Die Erziehung des Mannes (Kiepenheuer & Witsch, Februar 2016)

Katja Lange-Müller: Drehtür (Kiepenheuer & Witsch, August 2016)

Dagmar Leupold: Die Witwen (Jung und Jung, September 2016)

Sibylle Lewitscharoff: Das Pfingstwunder (Suhrkamp, September 2016)

Thomas Melle: Die Welt im Rücken (Rowohlt Berlin, August 2016)

Joachim Meyerhoff: Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke (Kiepenheuer & Witsch, November 2015)

Hans Platzgumer: Am Rand (Paul Zsolnay, Februar 2016)

Eva Schmidt: Ein langes Jahr (Jung und Jung, Februar 2016)

Arnold Stadler: Rauschzeit (S. Fischer, August 2016)

Peter Stamm: Weit über das Land (S. Fischer, Februar 2016)

Michelle Steinbeck: Mein Vater war ein Mann an Land und im Wasser ein Walfisch (Lenos, März 2016)

Thomas von Steinaecker: Die Verteidigung des Paradieses (S. Fischer, März 2016)

Anna Weidenholzer: Weshalb die Herren Seesterne tragen (Matthes & Seitz Berlin, August 2016)

Philipp Winkler: Hool (Aufbau, September 2016)

 

Foto:

Wir haben das Cover von Bodo Kirchhoff aus der Frankfurter Verlagsanstalt ausgewählt, weil uns uns der Titel so gefällt.

 

Info:

 

Der Deutsche Buchpreis wird von der Börsenverein des Deutschen Buchhandels Stiftung vergeben. Förderer des Deutschen Buchpreises ist die Deutsche Bank Stiftung, weitere Partner sind zudem die Frankfurter Buchmesse und die Stadt Frankfurt am Main. Die Deutsche Welle unterstützt den Deutschen Buchpreis bei der Medienarbeit im In- und Ausland.

Die Preisverleihung findet am 17. Oktober 2016 zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse im Kaisersaal des Frankfurter Römers statt. Interessierte können die Preisverleihung per Live-Stream unter www.deutscher-buchpreis.de mitverfolgen. Deutschlandfunk und Deutschlandradio Kultur übertragen die Preisverleihung im Rahmen von „Dokumente und Debatten“ im Digitalradio und als Livestream im Internet unter www.deutschlandradio.de.

Anlässlich der Nominierung der Titel der langen Liste erscheint das Buch „Die Longlist 2016 – Leseproben“, herausgegeben vom Fachmagazin Börsenblatt im Verlag der MVB Marketing- und Verlagsservice des Buchhandels GmbH, einer Wirtschaftstochter des Börsenvereins. Darin werden Leseproben und Hintergrundinformationen zu den nominierten Romanen veröffentlicht. Es ist ab kommender Woche im Buchhandel verfügbar. In welchen Buchhandlungen das Lesebuch erhältlich ist, zeigt eine interaktive Karte in der Buchhandels-Suchmaschine www.buchhandlung-finden.de.

Das deutschlandweite Onlineradio detektor.fm hat die Leseproben vertont. Ab heute sind Hörproben der 20 Longlist-Titel unter www.detektor.fm/deutscher-buchpreis abrufbar. Sie sind zudem über die detektor.fm-App auf fast allen mobilen Endgeräten nutzbar. Ab dem 23. August präsentiert der Radiosender täglich von Montag bis Freitag jeweils einen Longlist-Titel um 10.15 Uhr in der Sendung „Am Vormittag“ und um 17.40 Uhr in der Sendung „Der Tag“.

Ab dem 23. August stellen sechs Literaturblogs als „Die Buchpreisblogger“ die nominierten Titel vor. Die Blogger lesen die 20 Bücher der Longlist, stellen sie zur Diskussion, bieten Hintergrundinformationen und kritische Debattenbeiträge. Zusammengeführt werden die Blogs auf der Facebook-Seite des Deutschen Buchpreises www.facebook.com/DeutscherBuchpreis und unter dem Hashtag #dbp16.

 

Weitere Informationen zum Deutschen Buchpreis 2016 können abgerufen werden unter www.deutscher-buchpreis.de.