"Das Literarische Quartett" im ZDF mit Thomas Glavinic als Gast

Felicitas Schubert

Berlin (Weltexpresso) - Volker Weidermann lädt am Freitag, 14. Oktober 2016, 23.00 Uhr, im ZDF gemeinsam mit seinen Mitstreitern Christine Westermann und Maxim Biller wieder zum Gespräch über Bücher. Gast im "Literarischen Quartett" ist dieses Mal der österreichische Schriftsteller Thomas Glavinic. Diskutiert werden aktuelle Werke von André Kubiczek, John Burnside, Ismail Kadare und Thomas Melle.

Das halten wir für einigermaßen schwierig, daß drei Tage vor der Verleihung des Deutschen Buchpreises, zwei der sechs Kandidaten mit ihren Büchern im Literarischen Quartett vorgestellt werden. Leider müssen wir nicht befürchten, daß sie in Grund und Boden diskutiert werden und dann einer der Getretenen am 17. Oktober im Kaisersaal des Frankfurter Römer, am Abend vor der Eröffnung der Frankfurter Buchmesse den Deutschen Buchpreis erringt. Nein, es geht nicht darum, daß wie die beiden nicht für preiswürdig hielten, insbesondere Thomas Melle hat etwas Erstaunliches geschafft, eine Krankheit, seine eigene Krankheit mit Mitteln der Literartur auf Distanz gehalten und uns Einblicke verschafft, die auf Dauer bewegen. Nein, also, es geht nicht um die beiden Bücher, sondern um die Besetzung des Literarischen Quartetts. Leider ist vor allem die weibliche Besetzung als Literaturkritiikerin ein absoluter Ausfall, Feigenblatt zu sagen, trifft es auch nicht.

Wir halten es für typisch, daß wieder mal drei Männer und eine schwache Frau über Literatur diskutieren. Auch deshalb typisch, weil von den einst zwanzig voraus ausgewählten in der Langen Liste nur fünf Frauen waren, von denen eine bei den letzten Sechs übrig blieb, die auch jetzt nicht in der Auswahl des Literarischen Quartetts steht, von denen dazu nur vier Bücher von männlichen Autoren besprochen wird. Für uns ist das ein Skandal, angesichts von so guter Literatur von weiblichen Autorinnen in Deutschland und der ganzen Welt.

Das mußte gesagt sein, ehe es zur männlichen Tagesordung übergeht: "Skizze eines Sommers" heißt das jüngste Buch von André Kubiczek, ein Jugendroman für Erwachsene, der aus den letzten Jahren der DDR mit den Augen eines Jugendlichen erzählt. Eines Jugendlichen? Natürlich, nicht einer Jugendlichen. -Eines Jungen natürlich, dieser Erweckungsgeschichten sind immer die von Jungens auf dem Weg zur Mannwerdung, wobei Musik immer dazugehört, was im letzten Jahr der Buchpreisträger mit dem längsten Titel der Buchpreisgeschichte, "Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969" von Frank Witzel schon einmal, aber sehr viel individueller und schräger tat. Der Roman ersschien übrigens bei Matthes & Seitz Berlin und bleibt ein Hammer. Wollte Kubiczek das östliche Pendant dazu schreiben? Dann ist das harmlos ausgefallen, denn die DDR kommt eigentlich kaum vor. Der Sender schreibt:   Eine Geschichte über erste Liebe, Freundschaft, Musik und Bücher, die die Jugend prägen. Privilegierte und einfache Genossenkinder durchstreifen im Sommer 1985 Potsdam, hängen in Cafés und Diskos ab und versuchen herauszufinden, wie das mit den Mädchen geht.

In "Wie alle anderen" schreibt der schottische Schriftsteller John Burnside biografisch über ein Leben an der Grenze zum Wahnsinn: Drogen, Alkohol, Lügen und systematische Verantwortungslosigkeit. Ein Weg, den schon sein Vater eingeschlagen hatte, und dem der Sohn blindlings gefolgt war. Der einzig rettende Weg aus dem Abgrund war die Flucht in einen radikal bürgerlichen Alltag. Für dieses Buch erhielt Burnside jubelnde Kritiken in der englischsprachigen Presse.

Ismail Kadare, Albaniens berühmtester Autor, gilt seit Jahren als Anwärter auf den Literatur-Nobelpreis. In seinem neuen Roman "Die Dämmerung der Steppengötter" schreibt der inzwischen 80-Jährige über eine Zeit, die er selbst als Student in Moskau miterlebt hatte: die späten 50er Jahre und die Hetzkampagne gegen Boris Pasternak, der den Nobelpreis für sein Werk nicht entgegennehmen durfte. Es ist das Milieu aus frustrierten Sozialisten und korrupten Informanten in der Zeit nach Chruschtschow und die der wachsenden Paranoia, die zur Isolation Albaniens vom Großen Bruder Sowjet-Union führte.

"Die Welt im Rücken" hat Thomas Melle in seinem autobiografischen Roman, in dem er erzählt, wie seine manisch-depressive Erkrankung das Leben jeden Tag aufs Neue in den Abgrund stürzt. Er lässt seine Leser mit hinunter blicken, wenn er schreibt: "Wenn sie bipolar sind, hat ihr Leben keine Kontinuität mehr. Die Krankheit hat ihre Vergangenheit zerschossen, und in noch stärkerem Maße bedroht sie ihre Zukunft." Thomas Melle ist mit diesem Buch nicht nur für den Deutschen Buchpreis nominiert, sondern gilt den einen als richtiger Favorit. Das ist schwierig vorherzusagen, denn mit Bodo Kirchhoff ist ebenfalls ein Favorit vorhanden, der zudem das Gegenteil der Innensicht von Melle schreibt, nämlich einen durchdringenden Blick auf die heutige gesellschaftliche Situation wirft.

Und jetzt wissen wir auch, was unser Unbehagen hervorruft. Wenn das Literarische Quartett drei Tage vor der Verleihung des Deutschen Buchspreises ausgestrahlt wird, dann nehme ich entweder alle Sechs in diese Sendung auf oder gar keinen. Kämen alle Sechs würde sich das Literarische Quartett als Konkurrenzunternehmen zur Jury des Deutschen Buchpreises gerieren. Aber, warum eigentlich nicht. Das es eine 'gerechte' Auswahl nicht geben kann, weiß doch jeder. Aber eine doppelte Besprechung und Wertung der Bücher, würde das noch deutlicher machen. Nun zwei herauszugreifen, ohne daß man weiß, warum die anderen vier nicht dabei sind, ist undurchsichtig.

Sehenswert ist das allemal. Schon um die aufgeworfenen Fragen zu beantworten. Aber noch einmal. Einfach zu viel Mann! Alle besprochenen Autoren sind männlich, drei der vier Kritiker auch. Die einzige Frau ist eine schwache Kritikerin. Wann ändert sich an diesen Verhältnissen endlich etwas? Wir haben so gute weibliche Autoren, so gute weibliche Literaturkritikerinnen. 



Bücherliste:


André Kubiczek: Skizze eines Sommers (Rowohlt)
John Burnside: Wie alle anderen (Knaus)
Ismail Kadare: Die Dämmerung der Steppengötter (S. Fischer)
Thomas Melle: Die Welt im Rücken (Rowohlt)



"Das Literarische Quartett" wird im Foyer des Berliner Ensembles mit Publikum aufgezeichnet.

 

Foto:

Maxim Biller, Christine Westermann, Volker Weidermann (c) ZDF/Svea Pietschmann   

 

Info: Die nächste Sendung findet am 9. Dezember 2016 statt.

Mehr Informationen zum "Literatischen Quartett": http://ly.zdf.de/qf7ej/