Die sechs Finalisten. Deutscher Buchpreis 2016, Teil 20

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) –Na, das war eine Überraschung! Weniger, daß Bodo Kirchhoff den Deutschen Buchpreis 2016 gewann – er war in einer starken Gruppe der Finalisten einer der Favoriten. Daß er aber eine Korrelation zwischen seinem Fortkommen und den Siegen der Eintracht entdeckte, die er konkret untermauern konnte, das ist allerhand.


Es waren jedes Mal siegreiche Heimspiele, denen in der Woche drauf die Nominierung innerhalb des Deutschen Buchpreises für Bodo Kirchhoff folgt. Am 19. September war es der 2:1 Sieg über Bayern Leverkusen, dem am 20. September die Platzierung auf der kurzen Liste entsprach und als am letzten Samstag Eintracht Frankfurt Bayern München mit 2:2 trotzte – ein Unentschieden gegen die Bayern ist fast ein Sieg! Erst recht bei Unterzahl bei der Eintracht –, da dachte Bodo Kirchhoff sich zum ersten Mal, daß dies durchaus für ihn als Träger des Deutschen Buchpreises sprechen müsse. Heute Abend war er also durchaus vorbereitet.


Vergnügt hörte der vollgestopfte Kaisersaal des Frankfurter Römer diese völlig logische Herleitung des Gewinns des Preises von 25 000 Euro, denn der so sachlich auftretende, seit 45 Jahren in Frankfurt lebende Autor sagte gleichzeitig auch, daß er sich sehr viel mehr über den Preis freue, als ihm anzumerken sei. Damit ging er zentral auf etwas ein, was Kirchhoff leicht untergeschoben wird, wie er selber anmerkte, daß er hinter vorgehaltener Hand als eher arrogant erscheine. Mit dieser Dankesrede sollten sich solche Zuschreibungen erledigt haben.


Dies war das Ende einer spannenden Preisverleihung, die mit der Nachricht begann, daß die vorgesehe  Moderatorin Cécile Schortmann erkrankt sei und der bisherige Moderator Gert Scobel für sie einspringe, was ihm vielleicht deshalb so besonders schwungvoll und zügig gelang, weil er sich nicht viel vorbereiten konnte, aber aus Erfahrung auf dem Podium im Kaisersaal zu Buchpreiszeiten zu Hause war. Prima gemacht.


Kurz und herzlich hatte Oberbürgermeister Peter Feldmann zur zwölften Buchpreisveranstaltung all die Literaturenthusiasten begrüßt, die jedesmal mit großer Spannung und guter Laune das Geschehen verfolgen. Ihm folgte traditionell der Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. Heinrich Riethmüller nannte zuerst einmal viele Namen: die Finalisten – Reinhard Kaiser-Mühlecker, Bodo Kirchhoff, André Kubiczek, Thomas Melle, Eva Schmidt, Philipp Winkler, die maßgeblichen Förderer und die siebenköpfige Jury – Thomas Andre, Lena Bopp, Berthold Franke, Susanne Jäggi, Christoph Schröder, Sabine Vogel, Najem Wali.

Und dann ging er auf das Gefühl ein, wie es wohl jedem Kenner kam, als am 23. August die Zwanzigerliste veröffentlicht wurde, - „Ich gestehe es offen“ - und auch er überrascht war. „Ich hatte in den vergangenen Monaten einige Bücher gelesen, denen ich eine Nominierung gewünscht hätte oder sogar fest davon ausging, sie auf der Liste zu finden. Ich erinnere mich noch, wie ich die Liste mehrmals durchgegangen bin und gedacht habe: Wie kann denn die Jury meine Lieblingsbücher, von denen ich so überzeugt bin, nicht aufnehmen?“

Damit sind sicher auch die jungen deutschen Autorinnen gemeint, die auf dieser Liste einfach fehlen. Aber was hilft es? Riethmüller nahm die letzten Sechs mit in den Urlaub, las und stellte fest: „Ich war versöhnt mit der Juryentscheidung, die mich zu Leseerlebnissen ganz besonderer Art gebracht hatte, die mich auf Bücher aufmerksam gemacht hatte, die ich so nicht auf Anhieb bemerkt hätte oder mit denen ich mich sonst nicht auseinandergesetzt hätte.“ So ging es übrigens vielen. Uns auch, was sich vor allem auf Thomas Melle und Reinhard Kaiser-Mühlecker bezieht. Auf jeden Fall zog Riethmüller daraus den Schluß, daß ja genau dies die Funktion des Literaturpreises sei, daß er zur Diskussion und vor allem dem Lesen vieler Bücher führe.

Der Juryvorsitzende Schröder wurde von Gert Scobel befragt, wie es sich denn mit dem Begriff des Romans verhalte, wenn eindeutig doch einige Bücher auf der Liste keine Romane seien. Lachen und Klatschen im Saal, das sich steigerte, als Christoph Schröder mit Verweis auf Marcel Reich-Ranickis dessen dehnbaren Romanbegriff nutzte. Ein Roman sei für ihn ein erzählendes Werk im Umfang von mindestens 200 Seiten. Schröder hielt die Auswahl deshalb für so gelungen, weil sie die vielen Facetten der Literatur spiegele: fiktive Elemente und Gegenwartsbezug, was auf extrem unterschiedliche Weise eine conditio humana ergebe.  Er verwies auf die immense Arbeit, die heftigen Auseinandersetzung und den Spaß,  den dann alle in der Jury doch gehabt hätten.

Und dann kam der Ritt durch die Liste im Triumvirat: Gert Scobel stellte Autor und Buch kurz vor, ein Schauspieler las eineinhalb Minuten lang aus dem jeweiligen Werk und die von der Deutschen Welle produzierte Vorstellung von Autor und Buch per Film lief auf den aufgestellten Videowänden. In alphabetischer Reihenfolge.

Das fing also mit Reinhard Kaiser-Mühlecker an, wo herrliche Waldaufnahmen eine lichte Welt suggerierten, die eigentlich mit den handelnden Personen im Roman, die in sich selber eingesperrt sind, nichts zu tun hatte, aber eben zeigt, wie ein Autor in Luft und Licht so etwas wie Transzendierung erreicht. Wieder konnte man bewundern, wie gut diese doch kurzen Filme die Bücher reflektieren und den Schriftsteller nahebringen. Das gilt für alle, mal mehr, mal weniger.

Und dann der spannende Moment kurz vor der Preisverleihung. Dann wird es in dem summenden Saal mucksmäuschenstill still. Heinrich Riethmüller waltet seines Amtes, öffnet die Mappe und spricht: Der Buchpreisträger ist Bodo Kirchhoff. Großer langer Beifall. Damit hatletzten  einer der Favoriten gewonnen, aber gerade die Favoriten gingen in den lzwölf Buchpreisjahren oft leer aus. Schaut man sich die Sechserliste nochmal genau an, dann glaubt man auch zu erkennen, daß die Wahl von Bodo Kirchhoff nicht nur diesem Buch gilt, sondern seinem unermüdlichen Schaffen auf hohem Niveau aller Jahre gilt.

Kirchhoff nun begrüßte in der Dankesrede den „Bürgermeister“ der Stadt und alle anderen und sprach lobend und herzlich über die Stadt Frankfurt, in der er 46 Jahre lebt und die zwar nicht mehr den Suhrkamp Verlag beheimatet, aber den Sproß, Joachim Unseld, der in Frankfurt die Literatur hochhält. Und daß sein Bezug auf die Spiele der Eintracht – siehe oben - , die sein Glück im voraus kündeten, auch einen tieferen Aspekt hatte, das konnte man dann an dem Vergleich von Literaturkritik und Meßbarem beim Fußball sehr gut nachvollziehen. Echt witzig, die neue Technik des Videobeweises – ob nämlich der Ball die Torlinie überschritten hat oder nicht – im Verhältnis zu den Verfahren innerhalb der Literaturkritik, hier der Jury, zu stellen, wo es weder meßbare noch objektive Kriterien geben könne. Der Buchpreis 2016 ist auf jeden Fall 1:0 für Kirchhoff!

Auch sein Hinweis auf die Gratwanderung für das Erzählen ist einsichtig: sie muß enthalten, das, was guttut und das, was wehtut.

Für die anderen Autoren und die eine Autorin gilt:  Nächste Jahre, nächste Buchpreise, nächstes Glück.


Kommentar:
Da ich bei der Preisverleihung im Saal vielleicht nicht die einzige war, die bei den erwähnten Spielen der Eintracht dabei war, aber ganz sicherlich die einzige bin, die in Fußballreportagen darüber berichtet, hier die Links zu den jeweiligen Artikeln in Weltexpresso.

Daß ich dort meinen Zweitnamen verwende, hat einsichtige Gründe. Zwar würde es die Hochkultur durchaus als Marotte oder sonstiges verschmerzen, daß eine Kulturjournalistin auch über Fußball schreibt. Aber gleiches gilt nicht umgekehrt! Wenn in Fußballkreisen bekannt wäre, daß ich auch über Bücher, Musik, Kunst und solche Sachen schreibe, wäre das abträglich für meinen Fußballverstand. Toll. Aber das Gute ist, daß Zweitere sicher nicht diese Zeilen lesen.

Bayer Leverkusen 2:1 am 17. September
https://weltexpresso.de/index.php/heimspiel/8013-gefaehrdet-aber-souveraen-gehalten


Bayern München 2:2 am 15. Oktober
https://weltexpresso.de/index.php/heimspiel/8237-niedergekaempft



Foto: Preisträger Bodo Kirchhoff (c) hessenschau.de

Info:
Preisverleihung und Dankesrede als Video auf
http://www.deutscher-buchpreis.de/preisverleihung-2016/