Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 20. Oktober 2016, Teil 4

Cordula Passow


Hamburg (Weltexpresso) – Wenn man, wie ich, erst den Film gesehen habe und dann die Bücher der Sechziger Jahre liest, dann staunt man erst einmal über die Unterschiede, die einfach in den letzten bis zu 57 Jahren in Kinder- und Jugendbüchern eingetreten sind. Aber genauso deutlich wird, daß bestimmte Verhältnisse, hier Schüler und ihre Schule gleich bleiben.


Das Buch von 1959 fängt anders als der Film direkt mit dem Städtchen Neustadt an. „Dort saßen die zum Lernen Verurteilten so gedrängt, dass sie bei Klassenarbeiten um das Abschreiben gewissermaßen gar nicht herumkamen.“ Schnell merken wir, daß es in Neustadt eine alte heruntergekommene Schule gibt, wo Direktor Meyer, der Rex genannt wird, die Situation nicht weiter mittragen will. Ach, und schon sind die Schüler zur Stelle, Dampfwalze und Strehlau tauchen auf, einer heißt Ottokar, ein anderer Klaus und Graf von Schreckenstein ist auch vorhanden.


Warum einen das nach dem Sehen des Films wundert, erfahren wir schnell, denn die Burg des Grafen liegt im Buch 40 Kilometer entfernt und dahin wird die marode Schule hinverlegt. „Und so fahren alsbald zwei Omnibusse voller Koffer, Räder, Sportgeräte und deren mit gemischten Gefühlen ringenden Besitzern aus Neustadt hinauf in das Raubritternest.“ Wir lassen die Jungens auf der Burg nun alleine…


Das ist nun eine interessante Veränderung. War in den Sechziger Jahren des vorherigen Jahrhunderts noch das gesellschaftliche Element: marode Schule der Ausgangspunkt der Geschichte, wird es nun ganz individuell die Lebenssituation von Stephan. Baut man heute mehr auf Individualität, damit der emotionale Bezug größer wird, oder ist einfach in der saturierten Bundesrepublik Deutschland einfach nicht mehr erwartbar, daß eine Schule fast zusammenfällt. Wahrscheinlich fallen auch hier die Gründe für die Veränderung in der Geschichte zusammen.


In den Umschlagsseiten der originalen Jugendbücher ist übrigens der Grundriß der Burg eingezeichnet, wo man genau nachvollziehen kann, wo die im Buch vorkommenden Räume, der Rittersaal, die Klassenzimmer, der Burghof, der Südflügel etc. liegen. Kaum sind die Streiche im ersten Buch erledigt und wir uns fragen, da fehlt doch etwas, kommen in AUF SCHRECKENSTEIN GEHT’S LUSTIG ZU die nächsten Abenteuer. Es sind wirklich genau die Verhältnisse, die jungen Leuten Spaß machen und hier, im zweiten Band, kommen jetzt die Mädchen vom anderen Ufer des Sees mit ihrem Internat ins Spiel. Alles das, was im Film an Auseinandersetzungen zwischen den Jungen und den Mädchen passiert, kommt erst im zweiten originalen Buch vor. Der Film faßt allso mehrere Bücher zusammen.


Dann haben wir ein weiteres, späteres Buch auch noch gelesen. Das Original ist von 1966 und die Jungens sind älter geworden. Es heißt AUF SCHRECKENSTEIN GIBT’S TÄGLICH SPAß. Und jetzt merken wir, daß schon wieder ein Teil aus diesem Buch mit im Film steckt. Es ist ein neuer Schüler, der mit seinem Rennrad auf die Burg einzieht, Andi heißt und genau die Prüfung durchleiden muß, die im Film Stephan passiert, mit dem der Film doch beginnt.
Mark Stichler, der das ganz aktuelle BUCH ZUM FILM schreibt, hatte mit dem Film wohl gar nichts zu tun.

Das Filmdrehbuch hatte Christian Limmer nach der Vorlage von Oliver Hassencamp geschrieben. Man merkt dem Buch zum Film sofort an, daß es in neuerer Zeit geschrieben ist. Das heißt nicht, daß die originalen Jugendgeschichten veraltet sind. Nein, aber die Texte sind viel geschlossener, die Geschichten kürzer. DAS BUCH ZUM FILM ist auch umfangreicher als die Hassencampromane und hat ein größeres Format. Beim Lesen stellt sich sehr schnell das Gefühl vom Film ein, man sieht die Bilder vor sich, was ja auch verständlich ist, denn der Text folgt ja den Bildern. Irgendwie ist das ja lustig und nicht nur diesmal angewandt: Da wird ein Buch als Vorlage für Filme genommen, dann gibt es den Film und dann wird nach dem Film dessen Geschichte als Buch formuliert. Und immer wird daran verdient, aber es hilft auch zur Vertiefung von Gesehenem, Gelesenem und Gehörtem.


Denn das Hören gibt es auch und das HÖRSPIEL ZUM FILM vermittelt das gleiche Gefühl von Wieder-im-Film-Sein. Kein Wunder. Denn es sind die Filmsequenzen, die von den Schauspielern gesprochen, durch Zwischentexte verbunden werden. Da merkt man beim Hören doch noch mal, was noch nicht zur Sprache kam, nämlich welch gute Schauspieler das Direktorenpaar abgibt. Henning Baum nimmt sich sehr zurück. Das tut der Rolle und das tut dem Hörspiel gut, weil dieser Schuldirektor realistisch bleibt und keine Klamaukfigur abgibt. Umwerfend ist in ihren subtilen sprachlichen Möglichkeiten die Direktorin durch Sophie Rois. Ihre Fiesheit, aber auch ihre gezüchtete Kultiviertheit ist ihr mit jedem Ton anzumerken.


Ist das nicht doch eine Spur zu frauenfeindlich, will sagen, bestimmte Frauen sind immer die Spielverderber und werden pauschal abgelehnt, ja bekämpft. Aber nein, hier ist die Dame zwar besonders zickig, aber sie hat viele sympathische Züge, aus denen man ihr Herz erkennt und ihre Verantwortung für die Mädchen ihres Internats. Die Jugendlichen machen ihre Sachen gut. Das ist sehr spannend gemacht und das hat dann auch Spaß gemacht, ein und dieselbe Geschichte als Film, als Buch zum Film und als Filmhörspiel nacheinander zu sehen und zu hören. Gefallen haben uns alle und wir sind nach drei Durchgängen in den Streichen der Jungen absolut firm…



Info:
Oliver Hassencamp, Die Jungen von Burg Schreckenstein, Schneiderbuch Egmont 2013, erstmals erschienen 1959 im Franz Schneider Verlag
Oliver Hassencamp, Auf Schreckenstein geht’s lustig zu, Schneiderbuch Egmont 2013, erstmals erschienen 1960 im Franz Schneider Verlag
Oliver Hassencamp, Auf Schreckenstein gibt’s täglich Spaß, Schneiderbuch Egmont 2013, erstmals erschienen 1966 im Franz Schneider Verlag

Mark Stichler, Burg Schreckenstein. Das Buch zum Film, Schneiderbuch Egmont 2016


Oliver Hassencamp, Filmhörspiel BURG SCHRECKENSTEIN 2 CD, Laufzeit 1h 34. Mit den Originalstimmen aus dem Film: Henning Baum, Sophie Rois, Harald Schmidt, Alexander Beyer, Jana Pallaske, Matthias Lier und vielen anderen. Der Hörverlag 2016