Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 17. November 2016, Teil 12

Karin Schiefer

Wien (Weltexpresso) -Wir haben den Film über Egon Schiele gut behandelt, weil die Kenner seines Werkes und seiner Person sowieso froh sind, daß über ihn ein Film gedreht wurde. Der Film ist stark autobiographisch gedeutet und beschäftigt sich kaum mit seiner Kunst, die aber Ursache des Interesses an diesem wirklich sehr besonderen Künstlers ist. Wir kennen den Roman, der Vorlage für den Film ist, nicht und veröffentlichen deshalb dies Interview mit der Autorin. Die Redaktion

Über Ihren Roman „Tod und Mädchen: Egon Schiele und die Frauen“


Ich wollte wissen, wer diese Frauen sind, die man auf seinen Bildern sieht und bei fünf von ihnen war es mir dann möglich, genauer zu recherchieren. Der Maler ist immer wichtig, aber man weiß überhaupt nicht Bescheid, wer diese Frauen waren und wie sie gelebt haben und es war ja doch offensichtlich eine
Arbeitsmöglichkeit für Frauen zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Das Interessante ist auch, dass Egon Schiele kaum den Namen der Frauen auf die Bilder geschrieben hat. Nur bei einem Modell, bei der Moa, da steht es auf fast jedem Bild drauf.


Über diese Frau gab es relativ wenig und es wurde in der Zeit, an der ich an dem Roman geschrieben und dann am Drehbuch gearbeitet habe, auch offensichtlich weitergeforscht. Da sind dann immer mehr Informationen dazugekommen. Sie trat unter verschiedenen Namen in Wien als Varieté-Tänzerin auf. Der Vorname Moa war klar, als Nachnamen wurde Miosa, Nahumimir und Mandu geführt.


Diese Lebensgeschichten sind wahnsinnig interessant. Vor dem 1. Weltkrieg hat es in Wien eine Bühnenform namens „Tablo Vivo“ gegeben, bei dem Frauen und auch die Männer nackt auf der Bühne standen, sich jedoch nicht bewegen durften. Bewegte man sich dennoch, wurde man sofort verhaftet. Das war verboten! Aber nackt stehen und möglichst weiß angemalt zu sein, das war dann Kunst. Da hat man irgendwelche Statuen dargestellt. Schaut man sich die frühesten Österreichischen Filme an, waren das ja kleine Pornokunstwerke. Da kommt dieses Thema oft vor. Irgendeine Gipsfigur, eine nackte Frau
steht da im Atelier und beginnt sich plötzlich zu bewegen und der Künstler verliebt sich in sie. Der Übergang von diesen Künstlerinnen zum Film und als Zwischenstufe wahrscheinlich als Modell bei Malern, sie waren es ja gewohnt lange ruhig zu stehen, wie er sich an Lebensgeschichten wie der Moa zeigt war für mich sehr spannend zum Erforschen.

 


Über die schwierige Quellenlage und das Leben der Wally


Es war bei allen Frauen eine sehr schwierige Quellenlange. Für die Recherche zur Wally bin ich nach Tattendorf gefahren, weil ich wusste, dass sie dort geboren wurde. Über die Geburtseintragungen im Kirchenbuch bin ich zum Beispiel darauf gekommen, dass ihre Eltern noch nicht verheiratet waren. Die
Mutter war eine Tagelöhnerin, der Vater war Hilfslehrer. Er wurde also jedes Jahr in eine andere Schule versetzt. Es war sicher kein einfaches Familienleben. Die Wally ist dann mit 15 zu ihrer Mutter nach Wien gekommen. Hierzu gibt es einen Meldezettel, in dem auch steht, dass sie Probierfräulein war, was jetzt
nicht nur Modell heißt, sondern Probierfräuleins haben oft auch in Modegeschäften Kleider für die Käuferinnen vorgeführt.


An der Akademie am Schillerplatz haben sich jeden Montag Modelle vorgestellt, das hat „der Sklavenmarkt“ geheißen. Da hat sich zum Beispiel auch Klimt seine Modelle gesucht. Neben Frauen haben sich dort auch Männer vorgestellt, die häufig aus den Varietés gekommen sind. Es war für viele ganz junge Frauen, die nicht in der Fabrik arbeiten wollten oder gar keine andere Arbeit bekommen haben, eine Möglichkeit. Allerdings wurde dies bereits in der Nähe von Prostitution verortet und diese Frauen waren dann keine, die man geheiratet hat. Schiele hat dann ja auch jemanden anderen als Wally geheiratet, ein bürgerliches Mädchen. Ein Mädchen mit guter Schulausbildung, das verschiedene Sprachen, auch Englisch, gelernt hat, das Klavier spielen konnte und darauf wartete, dass jemand sie heiratete. Das war die Edith, deren Schwester Adele Modistin war und so für den Lebensunterhalt gesorgt hat.

 


Über die Beziehung zwischen Schiele und seiner Schwester Gerti


Gerti war Schieles erstes Aktmodell außerhalb der Akademie. Schiele ist mit 16 auf den Schillerplatz gekommen, in die Akademie, als Gasthörer, da er noch zu jung war. Der Vater war bereits tot und die Mutter sehr verarmt. Es hat einen Vormund gegeben, der das Studium dann bezahlt hat, der sich aber zuerst sehr dagegen gewehrt hat, dass er auf die Akademie geht. Er wollte, dass er bei der Eisenbahn etwas macht, so wie der Vater und die restliche Verwandtschaft. Schiele ist aber dann auf die Akademie gegangen und hat sie nach drei Jahren wieder verlassen. Mit ihm hat sich die ganze Klasse aufgelöst, weil sie den Unterricht altmodisch empfanden und lieber so arbeiten wollten wie Klimt.


Schiele konnte sich nach seinem Weggang als einziger an einer großen Ausstellung beteiligen, benötigte hierfür jedoch Aktmodelle. Die einzige hierfür war zunächst seine Schwester Gerti, die damals erst 15 Jahre alt war. Die beiden hatten seit der Kindheit eine sehr enge Beziehung und für Gerti war es auch
schmerzhaft, als Egon sich später andere Modelle gesucht hat. In unserer Geschichte ist die Moa ihre erste Kontrahentin und das tat ihr sehr weh. Gerti hat sich dann einen Freund gesucht und ist schwanger geworden, was ihrem Bruder sehr missfiel. Er hat sie auch nicht heiraten lassen. Da er der einzige Mann
in der Familie war durfte er das bestimmen.


In der Beziehung zwischen Egon und Gerti wollte jeder den anderen besitzen. Künstlerisch war sie sein erstes Aktmodell und viele berühmte Bilder zeigen sie noch heute. Das stehende Mädchen mit den verschränkten Händen. Ein dünner, androgyner Körper, eigentlich noch gar keine Brust. Dies prägte auch
Schieles ideales Frauenbild sehr und er hat sich immer diesen Typ mageren Mädchenkörper gesucht, den er dann auch in Moa fand. Frauen im Übergang vom Kind zur Frau waren für ihn besonders interessant.

 


Über seine Ehefrau Edith


Seine Frau Edith wollte sich zunächst nicht nackt von ihm zeichnen lassen und gleichzeitig hat sie ihm auch verboten, andere Frauen so darzustellen. Das war natürlich ein ziemliches Problem, da er dadurch auch kein Geld mehr verdienen konnte. Als Edith dann doch für ihn Akt stand, musste er ihr einen anderen
Kopf zeichnen, damit sie unerkannt blieb. Betrachtet man seine Bilder ab 1915/16 heute erkennt man Edith daran, dass sie breitere Hüften als die anderen hatte. Sie hat in der Ehe viel gelitten und sie hat es schließlich aufgegeben und ihn wieder andere Modelle zeichnen lassen. Unter anderem auch ihre
Schwester Adele, die keine Hemmungen hatte Nacktmodell zu sein oder auch fotografiert zu werden.

 


Über die Beziehung zu Wally


Wally war für Schiele eine der wichtigsten, wenn nicht die wichtigste Frau in seinem Leben. Klimt hat sie ihm vermittelt und auch die ersten Sitzungen bezahlt. Sie hat ihm bei allem geholfen und auch Modelle für ihn gesucht. Das ist in der Zeit in Neulengbach gewesen, als er dort in dem kleinen Häuschen gewohnt
hat. Sie hat ihm die Buchhaltung gemacht, die Bilder zu den Kunden gebracht und insgesamt glaube ich, eine sehr glückliche Beziehung zu ihm gehabt.


In einem seiner Skizzenbücher gibt es einen geschrieben Satz von ihr, in dem es heißt „Ich bestätige, dass ich in niemanden verliebt bin!“ Über diesen auf den Juli 1913 datierten Satz zerbricht man sich bis heute den Kopf. Warum sagt sie das? Für mich war dies auch der Zugang zu der Figur, denn ich glaube zu sagen „Ich liebe dich“, wie es Edith vielleicht tut, war nicht die Art von Wally. Sie war eine sehr pragmatische Frau vom Land, die froh war, diese Arbeit zu haben, die froh war, diese Beziehung zu führen und das könnte eine Art Witz gewesen sein von ihr. „Was heißt große Liebe? Ich bin in niemanden verliebt, aber ich bin bei dir.“


Als Schiele dann um die Hand der Nachbarin anhält und sie heiraten will, weil er dadurch bessere Arbeit, bessere Möglichkeiten beim Militär bekommt, ist das für sie eine Katastrophe gewesen. Für sie ist dadurch eine Welt zusammengebrochen. Sie hat sich dann als Krankenschwester gemeldet im Militärdienst und
ist später an Scharlach gestorben.


Mich erinnert die Figur der Wally an das Märchen mit der Meerjungfrau. Sie ist jemand, die ihre Welt verlässt, in diese neue eintaucht mit Schiele als Prinz an ihrer Seite. Sie hat alles geduldet. Er hatte andere Freundinnen und sie hat es geduldet, Hauptsache sie war an seiner Seite. Eine große, tragisch Liebende, ohne dass sie wahrscheinlich jemals gesagt hätte „Ich liebe dich.“ Sie war einfach für ihn da und er hat sehr, sehr gute Bilder mit ihr gemacht. Es heißt, dass er seinen Stil mit ihr zusammen erst wirklich entwickelt hat.

 


Über die Beziehung zu Edith


Die Schwestern, besonders Edith, waren für Schiele ein stückweit Mittel zum Zweck. Als Akademiker, und das war Schiele auch, durfte man damals seine Ehefrau mit zur Front nehmen. Jedenfalls war es in den ersten Jahren so. Der Soldat musste dann nicht im Zelt schlafen oder in einer Baracke irgendwo im
Dreck, sondern durfte jede Nacht in ein Wirtshaus etwas im Hinterland. Schiele selbst war nie im Kriegseinsatz, aber er war einige Monate in Prag bei der Ausbildung. Wenn er in andere Dörfer versetzt wurde, sollte Edith vorausfahren und sich dort ein Zimmer mieten für die beiden. Das Problem war immer
das Geld, dass sie sich von den Eltern erbettelte.

Es war keine gute Ehe für sie, das erfährt man auch aus den wenigen Tagebucheinträgen. Als sie 1918 schwanger wird, erhofft sie sich Besserung für ihr gemeinsames Leben, aber sie verstirbt bereits sechs Monate später. Es ist irrsinnig tragisch. Auch, dass sie da gestorben ist, dass sie krank geworden ist, hat wiederrum mit ihrer Eifersucht zu tun. Sie wollte nicht, dass andere Frauen zu ihm ins Atelier kommen und so ist sie ins kalte, neue Atelier in die  Wattmanngasse mit ihm gezogen, um ihn dort nicht alleine zu lassen. Dort konnte man im Herbst 1918 nicht mehr heizen und die Spanische Grippe grassierte in Wien. Schiele ist drei Tage später gestorben und auch Adele ist erkrankt, hat es jedoch überlebt.

 


Wie haben Sie die Geschichten der 5 Frauen, denen Sie im Buch jeweils ein Kapitel widmen, in der Drehbucharbeit miteinander verflochten?


Während der Roman jeder der fünf Frauenfiguren ein Kapitel widmet, muss man bei einem Film eine andere Auswahl treffen. Wir haben Gerti zur wichtigsten Figur im Drehbuch gemacht und sie als Klammer für den Film eingesetzt. Sie findet den schwerkranken Egon neben der toten Edith Ende Oktober 1918
und versucht noch sein Leben zu retten.

 


Über den Prozess 1912


Egon Schiele hat damals in Neulengbach gewohnt und wie man sich vorstellen kann wurde ein zugezogener Künstler aus Wien damals nicht gern gesehen, noch dazu da Wally bei ihm gelebt hat, obwohl die beiden unverheiratet waren, also eine wilde Ehe geführt haben. Er ist immer in das Kaffeehaus in Neulengbach gegangen, man kannte ihn dort bereits und schließlich haben die Bauernkinder und Kinder aus der Umgebung aus Neugierde angefangen ihn zu besuchen. Eines dieser Kinder war ebendieses Mädchen, durch das es zu dem Prozess 1912 kam- Tatjana von Mossig, die Tochter eines Marineoffiziers. Eines Abends wollte das Mädchen nicht mehr nachhause gehen, sondern lieber mit Egon und Wally in die Stadt, nach Wien fahren und behauptete, sie würde dort ihre Großmutter besuchen.


Hierbei handelt es sich um wirklich recherchierte Szenen- nur hat es in Wien keine Großmutter gegebenund so haben die drei in einem Hotelzimmer übernachtet. Es gibt eine Zeichnung aus einem Skizzenbuch, die wir auch im Film verwendet haben: ein Bett in dem eine Frau liegt- und etwas Kleineres, mit
abgewandtem Kopf. Wir haben uns gedacht, das könnte dieses Bett gewesen sein. Auch weil man unter den Werken von Egon Schiele kein vergleichbares Motiv gefunden hat; so klassisch, ein Bett, Kopfpölster, zwei Köpfe. Natürlich ist das immer so, man denkt sich die Szenen aus, sieht Bilder, versucht diese zu
deuten. Als es dann zu dem Prozess kam wurde dieses arme Mädchen, gerade 13 Jahre alt, untersucht und als sich herausstellte, dass sie Jungfrau war wurde die Anklage wegen Schändung fallen gelassen sowie die Anklage wegen Entführung.

Schließlich wurde er jedoch angeklagt, weil ihm vorgeworfen wurde er hätte den Kindern in seinem Häuschen unsittliche Bilder gezeigt. Natürlich sind dort Bilder von nackten Kindern an der Wand gehangen, ich glaube jedoch, dass er die Kinder nicht unbedingt nackt gemalt hat. Wenn man die Zeichnungen genau betrachtet sind die Körper, die Unterkörper relativ erwachsen. Die Gesichter sind sehr kindlich, meistens schlafen sie. Ich vermute, dass Egon Schiele die schlafenden Kinder gezeichnet hat und den Rest aus Studien zusammengesetzt und konstruiert hat.

 


Über die Gratwanderung zwischen historischer Treue, Faktentreue und narrativer Freiheit


Die Frage ist immer: wem bin ich verantwortlich. Ich bin natürlich Egon Schiele verantwortlich, bin den Frauen verantwortlich, darf nichts dazu erfinden oder ihnen in die Schuhe schieben. Man denkt sich in die Figuren hinein. Wenn man weiß wo sie hergekommen sind, wie sie gelebt haben, wie viel Geld sie zur Verfügung hatten und wo sie gewohnt haben. Es gibt Pläne von dem Häuschen in Neulengbach und das Atelier in der Hietzinger Hauptstraße wird zwar heute von jemandem bewohnt, sieht aber noch immer genauso aus wie damals. Schön langsam kommt man auf das Leben dieser Menschen, wo waren die
Kaffeehäuser, wie ist man dorthin gekommen? Damals hat es schon eine Schnellbahn gegeben, mit der Schiele gefahren ist. Natürlich sind dichterische Freiheiten enthalten aber es kann wirklich so gewesen sein. Die Eckpunkte sind jedenfalls richtig, die sind wahr.